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Verdammung

Richard Baker

Für Lynn R. Baker jr.

1942-2002 Gute Reise, Dad.

Dank an Phil Athans, der große Pläne schmiedete und es anschließend ausbaden durfte, an Bob Salvatore, der mich in seinem Sandkasten mitspielen ließ, und an Ed Greenwood, der mir Zutritt zu seiner Welt gewährte.

Ein ganz besonderes Dankeschön geht an Kim, weil sie es mit mir aushält, sowie an Alex und Hannah, von denen ich jeden Tag etwas Neues lerne.

Die Nahrung war verbraucht, und mit ihr auch die Wärme. Alles war hohl und leer, da war nur der Ruf, sich zu befreien. Dieser Ruf war äußerst beharrlich – ein schleichendes Drängen, das sich allmählich in Verzweiflung steigerte.

Acht Beinchen reagierten auf diesen flehenden Ruf. Acht winzige Waffen trafen auf der konkaven Wand auf. Ein Schlagen und Reißen, das dem helleren Grau an diesem so finsteren Ort folgte.

Ein Loch entstand in der ledernen Oberfläche, woraufhin die acht Beine ihre Angriffe auf diesen einen Punkt konzentrierten, da sie dort Schwäche wahrnahmen. Schwäche konnte nicht toleriert werden. Schwäche mußte ausgenutzt werden, sofort und gnadenlos.

Eines nach dem anderen, Millionen und Abermillionen, bewegten sich diese winzigen Beine zum ersten Mal in dem trüben Raum zwischen den Universen und befreiten sich aus ihren kreisrunden Gefängnissen. Von Hunger, Ehrgeiz, Angst und einer instinktiven Schlechtigkeit getrieben, führten die Millionen von Arachniden ihren ersten Kampf gegen eine geschmeidige, lederne Barriere. Die stellte zwar alles andere als einen würdigen Gegner dar, doch sie kämpften mit einer Verbissenheit, die aus dem Wissen geboren war, daß die ersten, die sich befreien konnten, einen großen Vorteil hatten, da sie wußten, daß sie allesamt Hunger hatten.

Daß es nichts anderes zu essen gab als ihren Nächsten.

Die Wärme des Eiersacks war verschwunden, verbraucht. Die ruhigen Augenblicke der Einsamkeit, des Erwachens, des ersten Wahrnehmens eines Bewußtseins gehörten der Vergangenheit an. Die Wände, die ihnen Schutz geboten hatten, waren zu einem Hindernis geworden, zu nichts anderem. Die weiche Schale hielt sie vom Fressen ab, von einem notwendigen Kampf, von einer Befriedigung in so vieler Hinsicht.

Von Macht.

Vor allem das konnte von diesen gesegneten, verfluchten Nachkommen nicht geduldet werden. Also kämpften sie, zerrten, kratzten und krabbelten, um nach draußen zu kommen.

Um zu fressen.

Um nach oben zu gelangen.

Um zu herrschen.

Um zu töten.

Um zu werden ...

1

Wogen von Staub und Sand fegten über den alten roten Stein. Halisstra Melarn zog ihren Piwafwi eng um sich, da der eisige Wind sie zittern ließ. Die Nacht war kalt, um einiges kälter als die Tiefe mit ihren Höhlen weit unter der Oberfläche der Welt. Der Wind fegte klagend durch die verwitterten Ruinen, die sich tot und schweigend in die karge Hügellandschaft duckten. Einst hatte dort eine prachtvolle Stadt gestanden, doch das war lange her. Zertrümmerte Kuppeln und wacklige Säulengänge waren stumme Zeugen einer stolzen, handwerklich hochentwickelten, aber vor langer Zeit untergegangenen Rasse. Gewaltige Festungswälle trotzten noch immer beharrlich dem Wüstenwind, und die Stümpfe zerschlagener Türme reckten sich dem Himmel entgegen.

Unter anderen Umständen hätte Halisstra vielleicht Tage damit zugebracht, durch die immensen Ruinen zu spazieren und über deren längst vergessene Geschichte nachzudenken. Doch im Augenblick hielt ein größeres, weit erschreckenderes Mysterium sie in seinem Bann und erfüllte sie mit Ehrfurcht und Entsetzen. Über den schwarzen Silhouetten verfallender Türme und schiefer Mauern glitzerte ein Sternenmeer wie kaltes, unerbittliches Eis an einem grenzenlosen, schwarzen Himmel.

Natürlich hatte sie davon gehört. Rein verstandesmäßig begriff sie das Konzept eines freien Himmels anstelle einer Höhlendecke, und sie wußte auch von diesen unglaublich weit entfernten Lichtpunkten hoch über ihr. Doch unter einem freien Himmel zu sitzen und dieses Schauspiel mit eigenen Augen zu sehen ... das war eine völlig andere Angelegenheit. In den zweihundert Jahren ihres Lebens hatte sie sich noch nie mehr als ein paar Dutzend Kilometer von Ched Nasad entfernt, und selbst wenn, war sie immer noch viele Meilen von der Oberfläche weg gewesen. Nur wenige Drow aus der Stadt der schimmernden Netze waren jemals bis ganz nach oben vorgedrungen. Wie die meisten anderen Drow ignorierte auch sie die Dinge, die sich außerhalb der endlosen Intrigen, des Ränkeschmiedens und dem unerbittlich auf die eigenen Interessen ausgerichteten Leben in Ched Nasad abspielten.

Sie starrte hinauf zu den funkelnden Lichtern und war sich der bitteren Ironie bewußt. Die winzigen funkelnden Diamanten und der immense Nachthimmel waren real. Sie hatten bereits vor einer unvorstellbar langen Zeit existiert, ehe sie von ihrem Platz in der verlassenen, eisigen Wüste aus nach oben gesehen und sie entdeckt hatte, und würden zweifellos weiterhin existieren, lange nachdem sie selbst tot war. Was es dagegen nicht mehr gab, war Ched Nasad – ihre Geburtsstadt, die Stadt, deren Rivalitäten und Loyalitäten und Erfolge ihr Leben lang all ihren Intellekt und ihre Aufmerksamkeit für sich beansprucht hatten. Es war noch keinen Tag her, da hatte sie auf einem Balkon des Hauses Nasadra gestanden und voller Entsetzen mit ansehen müssen, wie der Stein brannte, wie ein Haus nach dem anderen fiel und ihre Stadt auf eine verheerende Weise zerstört wurde. Ched Nasad mit den wunderbaren steinernen Netzen und düster-schönen Märchenschlössern, die sich an die Wände der Felsspalte klammerten. Ched Nasad mit seiner unglaublichen Arroganz und seinem Trotz, mit den finsteren Adelshäusern und der unablässigen Verehrung der Spinnenkönigin selbst. Ched Nasad, der Mittelpunkt von Halisstras Existenz, war nicht mehr.

Seufzend riß sich Halisstra vom Anblick des Himmels los und stand auf. Für eine Drow war sie mit ihren fast einem Meter fünfundsechzig verhältnismäßig groß, und zugleich war sie so schlank wie ein Rapier. Auch wenn ihren Zügen die vielen hochgeborenen Drow-Frauen eigene, verlockende, fast habsüchtige Sinnlichkeit fehlte, war sie auf ihre ernste und erhabene Art dennoch hübsch. Trotz stundenlanger, heftiger Kämpfe und eines verzweifelten Ringens darum, dem Feuer zu entkommen und trotz der unglaublichen Katastrophe bewegte sich Halisstra mit einer kühlen, gedankenverlorenen Eleganz, mit der ruhigen Selbstbeherrschung einer Frau, die zur Königin geboren war.

Sandkörner prasselten gegen den pechschwarzen Stahl ihrer Rüstung, während der Wind ihr den Mantel wegzureißen versuchte. Halisstra kannte die feuchten, kalten Luftbewegungen in den gewaltigen Hohlräumen unter der Erde gut, doch dieser Wüstensand wurde von einem unablässigen, stechenden Wind gepeitscht, der sie ständig aus einer anderen Richtung traf. Sie verdrängte den Wind, die Sterne und die Ruinen aus ihren Gedanken und schlich zurück zu den anderen. Die hatten sich an der windabgewandten Seite einer hohen Mauer in einem kleinen Hof zusammengekauert, der mit zerbrochenen Säulen gesäumt war. An einem Ende des Platzes standen die verlassenen Überreste eines einst herrschaftlichen Palastes. Von den Möbeln hatte nichts die jahrhundertelange Einwirkung des Sandes und des Wetters überdauert, die gemeinsam die Stadt bestürmt hatten, doch die Säulengänge und die Höfe, die hohen Säle und die immer noch stolzen Flure deuteten darauf hin, daß dieses Gebäude früher einmal die Residenz einer Familie gewesen war, die in der Stadt eine gewisse Macht besessen, vielleicht sogar über sie geherrscht hatte. Nicht weit von ihnen entfernt stand inmitten der vom Sand geglätteten Mauern ein schmuckloses Steinportal, ein Torbogen aus einem fremden schwarzen Stein, der ein magisches Portal beherbergte, durch das man zurück nach Ched Nasad gelangen konnte. Durch dieses Portal waren Halisstra und die anderen aus der untergehenden Dunkelelfen-Stadt entkommen.

Sie blieb stehen und betrachtete ihre Begleiter. Danifae, ihre Hofdame, kniete elegant am Boden, ihr perfekt geschnittenes Gesicht gefaßt, die Augen geschlossen. Es war möglich, daß sie döste, ebensogut konnte sie auch gleichmütig warten, was als nächstes geschehen würde. Vor fünfzehn Jahren war Danifae, eine gefangengenommene Priesterin aus der Stadt Eryndlyn, Halisstra als Dienerin geschenkt worden. Die junge, hübsche, kluge Danifae hatte sich mit erstaunlicher Würde dieser Gefangenschaft unterworfen, auch wenn sie genaugenommen ohnehin keine andere Wahl gehabt hätte, denn das silberne Medaillon, das auf Danifaes Herzen ruhte, erlegte ihr einen starken Zauber auf. Was hinter diesen leuchtenden Augen und dem perfekten Gesicht vor sich ging, wußte Halisstra nicht, doch Danifae hatte ihr so treu und gut gedient, wie es der sie bindende Zauber von ihr verlangte, aber vielleicht hatte sie sogar noch etwas mehr als das zwingend Notwendige gegeben; daß Danifae noch immer bei ihr war, stellte für Halisstra einen großen Trost dar.