»Ein Grauzwerg-Magier mit einem Aufhebungszauber könnte uns jetzt gründlich den Tag verderben«, bemerkte Ryld. »Macht dich diese Methode der Fortbewegung nicht zumindest ein wenig nervös?«
»Mit großen Höhen kam ich schon immer gut zurecht, aber reden wir nicht mehr davon.«
Ryld mußte lachen. Tagelang war ihre Reise ereignislos und trübsinnig verlaufen. Die taktische Herausforderung, im Herzen der Duergar-Stadt zu spionieren, war für sie beide eine fesselnde Abwechslung.
»Etwas mehr nach links«, sagte Valas und unterbrach seine Gedankengänge. »An der Höhlenwand verläuft ein kleiner Vorsprung in die Richtung, in die wir müssen.«
Ryld setzte die Anweisung um, dann folgten die beiden weiter dem abfallenden Höhlendach, bis es so steil verlief, daß es die Wand der Höhle bildete. Dort verlief eine alte verwitterte Fuge ähnlich den Traufen einer Taverne. Der Waffenmeister betrachtete sie zweifelnd, doch als sie näherkamen, löste sich Valas von ihm und sprang leichtfüßig los, um sich wie eine dürre Spinne darauf zu hocken.
Ryld folgte ihm, wenn auch etwas ungelenk. Er schaffte es nur mit Mühe, doch er hatte das Glück, sich auf die Magie seines Emblems verlassen zu können, sollte er keinen Halt finden.
Valas bewegte sich sicher weiter und folgte der Fuge, die steil abfiel und hinter einer scharfen Biegung verschwand, die eine Seitenhöhle überragte.
Ryld krabbelte hinter ihm her hinab und fluchte leise, als er einige lockere Steine lostrat, die an der klippenartigen Wand nach unten stürzten. Die Schmieden und Hämmer von Gracklstugh übertönten das Geräusch zum Glück, und sie befanden sich immer noch über Ladaguers Furche, so daß die Steine in die Schlucht fielen und verschwanden.
Valas sah sich um.
Vorsicht, bedeutete er. Komm her, sieh dir das an.
Ryld huschte an die Seite des Spähers und legte sich auf den Bauch, um auf dem Vorsprung nicht den Halt zu verlieren. Die Naht verlief in eine Seitenhöhle und beschrieb einen scharfen Knick. Von ihrer Position gut dreißig Meter über dem Boden aus konnten sie eine Höhle von beträchtlicher Größe erkennen, die hundert bis hundertzwanzig Meter lang und in etwa halb so breit war. In die Wände waren Kasernenräume geschlagen worden, die einer großen Zahl Soldaten Platz boten, doch der Boden war plan und weitläufig und eignete sich bestens als Truppenübungsplatz.
Die gesamte Höhle war voller Wagen und Packechsen, und Hunderte von Duergar schwärmten dazwischen umher, machten an den häßlichen Reptilien große Kiepen fest, beluden Wagen und bereiteten Belagerungseinheiten für den Transport vor. Der Gestank von den Gießereien der Stadt genügte nicht, um den stechenden Geruch von Tierexkrementen in der weitläufigen Höhle zu überdecken. Zudem war die Luft erfüllt vom Zischeln und Krächzen der Echsen.
Valas begann, Wagen und Packtiere zu zählen, um das Heer schätzen zu können, das abmarschbereit zu sein schien. Nach Minuten wandte er den Blick ab.
Zwischen zwei- und dreitausend? fragte Ryld.
Der Späher zog die Brauen hoch und erwiderte: Ich glaube, mehr. Vielleicht viertausend. Aber in anderen Höhlen können sich weitere Züge gesammelt haben.
Gibt es Grund zu der Annahme, daß sie nicht nach Menzoberranzan marschieren? fragte Ryld.
Wir sind nicht ihre einzigen Feinde. Dennoch mißfällt mir der Zeitpunkt.
»Ich glaube auch nicht an Zufälle«, flüsterte Ryld. Er begann, vorsichtig von der Felskante zurückzurobben und achtete darauf, nicht noch mehr Steine zu lockern. »Ich würde ja vorschlagen, daß wir die anderen Höhlen aufsuchen, ob dort noch mehr Soldaten sind. Aber ich glaube, wir haben schon jetzt mehr gesehen, als es den Duergar recht sein kann, und ich möchte unser Glück nicht herausfordern. Am besten machen wir uns auf den Rückweg und berichten den anderen davon.«
8
»Wir sollten einfach gehen«, brummte Jeggred. Sein weißes Fell war rotweinbefleckt, und Bratenfett eines Stücks Rothé-Fleischs glänzte rings um seine Schnauze. Der Draegloth bewies keine große Geduld, wenn es ans Warten ging, und zwei Tage im Kalten Gießhaus praktisch eingesperrt zu sein war extrem schwierig für ihn. »Wir könnten die Stadt verlassen haben, ehe jemand merkt, daß wir weg sind.«
»Ich fürchte, so einfach würde es nicht sein«, sagte Ryld. Er kniete vor seinem Gepäck und verstaute die am wenigsten verderblichen Speisen vom Büfett in Beutel, die er dann in einen klaffenden schwarzen Kreis neben sich warf – ein magisches Loch, das man aufheben und mit sich herumtragen konnte, als sei es nur ein Stück dunkler Stoff. Es konnte Hunderte Pfund Ausrüstung und Vorräte aufnehmen, wog aber fast nichts. »Dir sind sie vielleicht nicht aufgefallen, aber ich bin sicher nicht der einzige, der die Spione bemerkt hat, die das Gasthaus beobachten. Wir würden keine fünfhundert Meter weit kommen, ehe sich Duergar-Soldaten auf uns stürzen würden.«
»Na und?« knurrte der Draegloth. »Ich fürchte keinen Zwerg.«
»Duergar sind keine Goblins oder Gnolle, die zu dumm sind, ihre Überzahl wirkungsvoll zu nutzen, oder zu tolpatschig und grobschlächtig, um im Kampf Mann gegen Mann eine Chance zu haben. Ich bin Duergar-Schwertkämpfern begegnet, die fast so gut waren wie ich. Ich habe keinen Zweifel daran, daß man eine ganze Gruppe solch hervorragender Kämpfer gegen uns antreten ließe. Außerdem gibt es in ihren Reihen Magier und Kleriker.«
»Wir hätten wissen sollen, daß wir uns nicht in eine Duergar-Stadt begeben sollten«, sagte Halisstra. »Der Zeitpunkt hätte nicht verkehrter sein können.«
Sie zog eilig ihre Rüstung an, ein massiv mit Zaubern belegtes Kettenhemd, das auf der Brust das Wappen des Hauses Melarn trug. Sie fragte sich, ob die beste Strategie die war, einfach noch ein paar Tage abzuwarten und den Duergar Zeit zu geben, damit sie in ihrer Wachsamkeit nachließen. Doch wenn sie ihre Abreise allzulange hinauszögerten, bestand die Gefahr, daß der Händler, den sie dazu gebracht hatte, ihr die für Danifae bestimmte Ausrüstung zu überlassen, zu Sinnen kam und den Vorfall meldete. Hätten sie doch bloß die beiden Händler getötet ... aber nein, denn wenn man sie dabei ertappt hätte, dann wären sie längst tot.
Sie zog am langen Saum ihrer Halsberge und wand sich, damit sie besser auf ihren Schultern lag.
»Meister Argith, wie lange wird es dauern, bis sich die Duergar-Armee in Bewegung setzt?« fragte Halisstra.
»Nicht lange«, erwiderte Ryld. »Allzulange können sie marschbereite Packechsen nicht ruhig halten. Die Frage ist, wieviel Zeit nach dem Abmarsch der Armee vergehen wird, ehe man das Reisen wieder freigibt. Wenn wir warten, bis sie aufgebrochen ist, können wir noch tagelang hier festsitzen.«
»Entweder das, oder man wird sich unserer entledigen«, warnte Danifae.
»Wir werden sofort aufbrechen«, setzte Quenthel der Diskussion ein Ende.
Die Herrin der Akademie war kampfbereit gekleidet, sie hatte eine finstere Miene aufgesetzt, und ihre Peitschenschlangen zuckten vor Erregung.
»Damit stellt sich wieder die Frage, die wir eben schon hatten – wohin?« fragte Ryld.
Der Waffenmeister hatte alle Vorräte zusammengepackt, hob das Loch auf, rollte es zusammen und verstaute es in seinem Gepäck.
»Ich kann unseren Weg zurück nach Mantol-Derith nachvollziehen«, erklärte Pharaun. »Aber es wird schwierig sein, von hier weiterzugehen. Ich kenne den Weg zum Labyrinth nicht, daher würde jeder Ausflug in die Ebene der Schatten für uns ohne jeden Zweifel ein merkwürdiges, unerfreuliches Ende nehmen. Wir sind zu viele, als daß ich uns alle teleportieren könnte, womit diese Lösung wohl auch nicht in Frage kommt, falls nicht ein paar von Euch den Wunsch verspüren, den Duergar das Verschwinden eines Teils der Truppe zu erklären.«
»Was ist mit einem Zauber, der unsere Identität verbirgt?« fragte Ryld.
»Bedauerlicherweise«, erwiderte der Magier, »sind Duergar berüchtigt dafür, daß sie gegen jegliche Art von Illusion resistent sind.«