«Hat Charlie Ihnen auch gesagt, wem Energise gehört?«fragte ich.
«Nein, hat Charlie nicht«, sagte Charlie.
«Was zum Henker liegt daran, wem er gehört?«wollte Bert wissen.
«Er gehört mir«, sagte ich.
Bert blickte mehrmals von einem zum anderen. Verschiedene Gedanken schossen durch seinen Kopf, und Charlie und ich warteten.
«He, Mann«, sagte er schließlich.»Haben Sie das Rennen manipuliert?«
«Das Pferd ist sauber und ehrlich gelaufen, und ich habe es am Toto gewettet«, sagte ich.
«Ja, und wieso dachte mein Chef dann — «
«Ich habe keine Ahnung«, log ich.
Charlie zündete sich am Stummel seiner Zigarette eine neue an. Es waren schließlich seine Lungen.
«Die Frage ist«, sagte ich,»wer hat Ihrem Chef die Falschinformation geliefert?«
«Weiß ich nicht. «Er überlegte, schüttelte aber den Kopf.»Keine Ahnung.«
«Könnte es Ganser Mays gewesen sein?«
«Oh, verdammt!«
«Von wegen übler Nachrede«, meinte Charlie.»Dafür könnte er Sie drankriegen.«
«Ich frage ja nur«, sagte ich.»Und ich schließe die Frage an, ob Bert vielleicht noch andere kleine Firmen kennt, die so eingegangen sind.«
«Oh, verdammt!«entfuhr es Bert noch einmal.
Charlie seufzte resigniert, als hätte er das ganze Frühstücksgespräch nicht selber eingefädelt.
«Ganser Mays«, sagte ich im Plauderton,»hat im Lauf des letzten Jahres eine große Anzahl von Wettbüros eröffnet. Wo ist die Konkurrenz geblieben?«
«Die besäuft sich in der Kneipe«, sagte Charlie.
Charlie blieb noch ein wenig, nachdem Bert gegangen war, machte es sich in einem meiner Ledersessel bequem und wurde wieder er selbst.
«Bert ist ein prima Kerl«, sagte er.»Aber ich finde ihn anstrengend. «Mir fiel auf, daß sein Eton-Akzent wieder voll da war, und plötzlich wurde mir klar, wie sehr er sich in Redeweise und Verhalten auf seine Gesprächspartner einstellte. Der Charlie Canterfield, den ich kannte, der mächtige, zigarrenrauchende Banker, der täglich mit Millionen umging, war nicht derjenige, als der er sich Bert Huggerneck präsentiert hatte. Von allen mir bekannten Leuten, die von einer Welt in eine andere eingetreten waren, schien Charlie der Schritt am besten gelungen zu sein. Er bewegte sich im Big Business wie ein Fisch im Wasser, konnte aber auch mit Bert völlig ungezwungen umgehen, was mir, dem weniger Welterfahrenen, schon schwerfiel.
«Wer ist der Schurke«, fragte Charlie.»Ganser Mays oder Jody Leeds?«
«Beide.«
«Zu gleichen Teilen?«
Wir dachten darüber nach.»Läßt sich im Moment nicht sagen«, meinte ich.
«Im Moment?«Er zog die Brauen hoch.
Ich lächelte ein wenig.»Ich wollte vielleicht mal was in, sagen wir, Richtung Selbsthilfe versuchen.«
«Das Gesetz nimmt man besser nicht in die eigenen Hände.«
«Ich habe ja nicht direkt vor, jemand zu lynchen.«
«Sondern?«
Ich zögerte.»Erst muß ich etwas nachprüfen. Am besten heute noch. Sollte ich recht haben, werde ich ordentlich Theater machen.«
«Ohne Rücksicht auf Beleidigungsklagen?«
«Weiß ich nicht. «Ich schüttelte den Kopf.»Es ärgert mich maßlos.«
«Was wollen Sie denn prüfen?«fragte er.
«Rufen Sie mich morgen früh an, dann sage ich es Ihnen.«
Bevor er ging, fragte auch Charlie, wie schon Allie, ob ich ihm zeigen würde, wo ich die Spielsachen machte. Wir gingen hinunter in die Werkstatt und fanden dort Owen Idris vor, meinen Helfer für alle Arbeiten, der damit beschäftigt war, den sauberen Fußboden zu fegen.
«Morgen, Owen.«
«Morgen, Sir.«
«Das ist Mr. Canterfield, Owen.«
«Morgen, Sir.«
Owen schien ohne Unterbrechung weiterzufegen, doch ich wußte, daß der rasche Blick, den er auf Charlie geworfen hatte, so gut wie ein Foto war. Mein gepflegtes, verschlossenes kleines Waliser Faktotum hatte ein phänomenales Personengedächtnis.
«Brauchen Sie heute den Wagen, Sir?«sagte er.
«Heute abend.«
«Dann wechsle ich das Öl.«
«In Ordnung.«
«Brauchen Sie mich zum Parken?«
Ich schüttelte den Kopf.»Heute nicht.«
«Sehr wohl, Sir. «Er sah resigniert drein.»Danke«, sagte er.
Ich zeigte Charlie die Maschinen, doch er verstand von Technik weniger als ich vom Bankgeschäft.
«Wo fangen Sie an, mit den Händen oder mit dem Kopf?«
«Erst der Kopf«, sagte ich.»Dann die Hände, dann der Kopf.«
«Sonnenklar.«
«Ich denke mir etwas aus, ich bastle es, ich zeichne es.«
«Zeichnen?«
«Konstruktionszeichnungen, keine künstlerische Skizze.«
«Blaupausen«, sagte Charlie und nickte wissend.
«Blaupausen sind Kopien… Die Originale sind schwarz auf weiß.«
«Man lernt nie aus.«
Ich zog eine der langen Schubladen mit meinen Plänen auf und zeigte ihm ein paar. Die feinen spinnwebartigen Linien mit den Schraubenmaßen, Materialangaben und Zeichenerklärungen sahen ganz anders aus als die bunten Spielsachen, die in den Handel kamen, und Charlie schaute mit einem bedächtigen Kopfschütteln von den Entwürfen zur fertigen Ware.
«Mir schleierhaft, wie Sie das können.«
«Training«, sagte ich.»Genau wie Sie in einer halben Stunde mit zehn verschiedenen Währungen jonglieren und zum Schluß um ein paar Tausender reicher sind.«
«Das geht heute auch nicht mehr so«, meinte er düster. Er sah zu, wie ich die Pläne und Spielsachen wegräumte.»Denken Sie aber dran, daß mein Institut immer Geld für gute Ideen beschaffen kann.«
«Ich denke dran.«
«Es gibt bestimmt eine Menge Banken, die sehnlich auf Sie warten, wenn Sie sich nach Geld umschauen.«
«Die Finanzierung regeln die Hersteller. Ich heimse nur die Patentgebühren ein.«
Er schüttelte den Kopf.»So werden Sie nie Millionär.«
«Aber ich kriege auch keine Magengeschwüre.«
«Kein Ehrgeiz?«
«Das Derby zu gewinnen und mit Jody Leeds abzurechnen.«
Ungebeten, heimlich und zu Fuß traf ich eine halbe Stunde nach Mitternacht in Jodys teurem Rennstall ein. Den Wagen hatte ich, wie auch meine Vorsicht, eine halbe Meile weiter hinten zurückgelassen.
Fahles, unbeständiges Mondlicht fiel auf das große Herrenhaus mit der übergiebelten Eingangstür und den Reihen einheitlicher Fenster. In dem Schlafzimmer im ersten Stock, das Jody mit Felicity teilte, war kein Licht, und auch nicht in dem großen Wohnzimmer darunter. Der ungepflegte Rasen, noch gesprenkelt mit ein paar welken Blättern, erstreckte sich friedlich vom Haus bis zu den Sträuchern am Tor, hinter denen ich mich versteckt hielt.
Ich wartete eine Zeitlang. Nichts deutete darauf hin, daß jemand wach war, und ich hatte auch nicht damit gerechnet. Jody lag wie die meisten Frühaufsteher spätestens um elf im Bett, und nach zehn wurden Anrufe, wenn überhaupt, unwirsch beantwortet. Allerdings scheute er sich nicht, andere morgens vor sieben schon anzurufen. Für Lebensgewohnheiten, die von den eigenen abwichen, hatte er kein Verständnis.
Rechts vom Haus und etwas zurückgesetzt schimmerten matt die Dächer der Stallungen. Dahinter lagen weiß abgezäunt die Koppeln mit einzelnen großen Bäumen. Beim Bau von Berksdown Court war die Qualität wichtiger als die Kosten gewesen.
Eine große, nicht angeschaltete Taschenlampe mit schwarzem Gummigriff in der Hand, ging ich leise die Einfahrt entlang zu den Pferden. Kein Hund schlug an. Kein Nachtwächter schoß auf mich los. Der ganze Hof war in Ruhe und Frieden getaucht.
Mein Atem ging trotzdem schneller. Mein Herz klopfte. Wehe, mich erwischte jemand. Ich hatte mir zwar einzureden versucht, daß Jody mich nicht tätlich angreifen würde, hatte mir aber selbst nicht geglaubt. Wie neulich schon, als ich mich vor den Pferdetransporter gestellt hatte, brachte ich mich aus Zorn in Gefahr.