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Als ich näher an die Boxen herankam, war wenig mehr zu hören als von weitem. Jodys Pferde standen jetzt, wo die Strohpreise um das Dreifache gestiegen waren, auf Sägemehl und bewegten sich lautlos. Das plötzliche Niesen eines Pferdes erschreckte mich.

Jodys Stall war nicht als Viereck angelegt, sondern bestand aus einer Reihe unterschiedlich großer U-förmiger Höfe von ganz eigenem Reiz. Es gab insgesamt vierzig Boxen, ohnehin nicht viel für eine so aufwendige Wirtschaft, doch seit meine Pferde fort waren, standen hier wohl nur noch etwa zwanzig Tiere. Jody mußte dringend wieder einen Dummen finden.

Mit Arbeitskräften hatte er immer gespart, da er und Felicity seiner Meinung nach für vier arbeiten konnten. Seine unerschöpfliche Energie sorgte tatsächlich dafür, daß Stallangestellte es nie allzulange bei ihm aushielten, da ihnen das Tempo zu scharf war. Seit der letzte sogenannte Futtermeister im Zorn gegangen war, weil Jody ihm dauernd dreingeredet hatte, führte er hier allein das Regiment. Unter den gegebenen Umständen war kaum anzunehmen, daß er einen neuen Mann eingestellt hatte; das Häuschen am Ende des Hofs würde also leerstehen.

Jedenfalls brannte kein Licht dort, und es kam auch niemand herausgestürzt, um den nächtlichen Besucher zu stellen. Ich ging vorsichtig zur ersten Box im ersten Hof und schob leise die Riegel zurück.

Drinnen stand eine ausladende Fuchsstute, die gemächlich Heu fraß. Sie drehte ihr Gesicht ruhig in den Lampenstrahl. Große Blesse auf Stirn und Nasenrücken. Asphodel.

Ich sperrte die Tür wieder ab, indem ich zentimeterweise die Riegel vorschob. Jedes laute Geräusch würde in der kalten, stillen Nacht deutlich zu hören sein, und Jodys Unterbewußtsein schlief nicht. In der zweiten Box stand ein schwerer brauner Wallach mit schwarzen Flecken, in der dritten ein Dunkelfuchs mit weißer Socke. Ich ging langsam durch die erste Abteilung und leuchtete die Pferde der Reihe nach an.

Anstatt mich zu beruhigen, wurde ich immer nervöser. Noch hatte ich nicht gefunden, was ich suchte, und mit jeder Minute wuchs die Gefahr meiner Entdeckung. Ich paßte mit der Lampe auf. Paßte mit den Riegeln auf. Mein Atem ging flach. Einen miserablen Einbrecher hätte ich abgegeben.

Box Nr. 9, in der nächsten Abteilung, beherbergte einen dunkelbraunen Wallach ohne Abzeichen. Die nächste einen gewöhnlichen Braunen, die nächste noch einen und die nächste ebenso. Danach kamen ein fast schwarzes Pferd mit arabisch angehauchter Nase, ein Schwarzbrauner und zwei weitere Braune. In den nächsten drei Boxen standen Füchse, an denen mir nichts weiter auffiel. In der letzten belegten Box stand der einzige Schimmel.

Leise schloß ich die Tür des Schimmels und kehrte zu dem

Fuchs in der benachbarten Box zurück. Leuchtete ihn sorgfältig Zentimeter für Zentimeter ab.

Der einzige Schluß, zu dem ich kam, war, daß ich nicht genug von Pferden verstand.

Ich hatte getan, was ich konnte. Zeit, heimzufahren. Zeit, daß mein Herz aufhörte, mit zweifacher Schallgeschwindigkeit zu bummern. Ich wandte mich zur Tür.

Überall ging das Licht an. Erschrocken machte ich einen Schritt auf die Tür zu. Nur einen.

Drei Männer drängten sich im Eingang.

Jody Leeds.

Ganser Mays.

Den dritten kannte ich nicht, aber sein Aussehen erweckte nur wenig Freude und Vertrauen. Er war groß, breit und kräftig, trug dicke Lederhandschuhe, eine in die Stirn gezogene Stoffmütze und, um zwei Uhr früh, eine Sonnenbrille.

Wen sie auch immer erwartet hatten, ich war es nicht. In Jodys Gesichtsausdruck mischten sich Bestürzung und Wut, aber die Bestürzung überwog bei weitem.

«Was zum Teufel tust du hier?«sagte er.

Es war keine Antwort möglich.

«Der darf nicht weg«, sagte Ganser Mays. Die Augen hinter dem Brillengestell waren ungut zusammengekniffen, und die lange Nase stach wie ein Dolch hervor.

Das weltmännische Gehabe, mit dem er seine Kunden einlullte, wenn er sie um ihr Geld erleichterte, war umgeschlagen in die nackte Bösartigkeit des bedrohten Kriminellen. Nicht mehr zu ändern, daß ich die Bedrohung darstellte.

«Was?«Jody sah ihn verständnislos an.

«Er darf nicht weg.«

«Und wie wollen Sie ihn daran hindern?«fragte Jody.

Niemand erklärte es ihm. Mir auch nicht. Ich machte zwei Schritte auf den Eingang zu und fand es heraus.

Der große Kräftige sagte überhaupt nichts, sondern trat in Aktion. Geschlagen als hochwirksamer Haken aus kurzer Distanz, krachte mir eine schwere, behandschuhte Faust in die Rippen. Der Atem entwich meinen Lungen schneller als von der Natur vorgesehen, und ich hatte Mühe, ihn wiederzuerlangen.

Über Schuljungengerangel hinaus hatte ich mich noch nie ernsthaft wehren müssen. Zum Lernen war keine Zeit. Ich rammte Jody einen Ellbogen ins Gesicht, trat Ganser Mays in den Bauch und versuchte zur Tür zu kommen.

Der Muskelmensch mit Mütze und Sonnenbrille war mir gegenüber im Vorteil. Drei, vier Zentimeter größer, zehn, zwölf Kilo schwerer, ganz auf Prügel eingestellt. Ich setzte ihm einen achtbaren Schlag unter die Nase, während er mir zwei vor die linke Brust gab, und kam der Freiheit keinen Schritt näher.

Jody und Ganser Mays erholten sich von meinem ersten Angriff und hängten sich wie Kletten an mich, an jedem Arm einer. Ich wankte unter ihrem vereinten Gewicht. Der Muskelmensch nahm Maß, um mir die geballte Faust ans Kinn zu schmettern. Ich konnte den Kopf gerade noch wegziehen und spürte das Sengen des Lederhandschuhs auf meiner Backe. Dann kam die andere Faust geflogen und erwischte mich voll. Ich taumelte und fiel quer durch die Box, als Jody und Ganser Mays mich plötzlich losließen, und krachte mit dem Kopf genau auf die Eisenstangen der Krippe.

Sofortige völlige Bewußtlosigkeit war die Folge.

So ähnlich könnte der Tod sein.

Kapitel 6

Das Leben kam als undurchdringlicher Schleier zurück. Ich konnte nicht richtig sehen. Nichts erkennen. Hörte seltsame Geräusche. Bekam meinen Körper nicht unter Kontrolle, konnte die Beine nicht bewegen, den Kopf nicht heben. Konnte nicht sprechen. Mir drehte sich alles. Alles war zusammenhanglos und verschwommen.»Betrunken«, sagte jemand deutlich. Das Wort gab keinen Sinn. Ich jedenfalls war nicht betrunken.

«Sturzbesoffen.«

Der Boden war naß. Glänzend. Blendete mich. Ich saß auf dem Boden. Zusammengesackt, etwas Hartes im Rük-ken. Ich schloß die Augen vor dem Geflirr, und alles drehte sich noch schlimmer. Ich merkte, wie ich wegkippte. Schlug mit dem Kopf an. Die Wange im Nassen. Die Nase im Nassen. Lag auf dem harten, nassen Boden. Um mich herum ein Geräusch wie Regen.

«Sachen gibt's«, sagte eine Stimme.»So, dann wollen wir mal.«

Starke Hände griffen mir unter die Achseln und packten meine Fußgelenke. Ich konnte mich nicht wehren. Begriff nicht, wo ich war und was mit mir geschah.

Irgendwie schien ich auf der Rückbank eines Autos zu sein. Ich roch die Polsterung. Lag mit der Nase darauf. Irgend jemand atmete sehr laut. Schnaufte fast. Irgend jemand sagte etwas. Ein Durcheinander von Lauten, die keine Wörter ergaben. Ich konnte es nicht sein, der da sprach. Sicher nicht.

Der Wagen blieb mit einem Ruck stehen. Der Fahrer fluchte. Ich rollte vom Sitz herunter und verlor das Bewußtsein.

Als nächstes dann helles Licht, und wieder trugen mich Leute. Ich versuchte etwas zu sagen. Brachte nur ein Gelalle heraus. Diesmal wußte ich, daß das Gelalle von mir selber kam.

«Er kommt wieder zu sich«, sagte jemand.

«Raus hier mit ihm, bevor er sich übergibt.«

Abmarsch. Ich wieder als Traglast. Laute Tritte auf hallendem Boden.

«Verdammt schwer, der Gute.«

«Wirklich ärgerlich.«

Der Drehwurm blieb. Das ganze Gebäude drehte sich wie ein Karussell.