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Ich trank den Tee aus, lehnte mich in die Kissen zurück und schloß die Augen, matt und erschlagen von Kopf bis Fuß. Verdammter Jody Leeds, dachte ich. Zur Hölle fahren soll er.

Kein Wunder, daß er so wild entschlossen gewesen war, Energise von Sandown mit nach Hause zu nehmen. Sicher hatte er das Double schon in seinem Stall stehen gehabt und nur auf einen günstigen Moment für den Austausch gewartet. Als ich dann sagte, Energise solle sofort woandershin, war er bereit gewesen, alles zu tun, um das zu verhindern. Hätte Jody statt Andy-Fred den Pferdetransporter gesteuert, dann wäre ich, daran zweifelte ich jetzt kaum noch, im Krankenhaus, wenn nicht im Leichenschauhaus gelandet.

Ich dachte über die Pässe nach, die zur Identifizierung britischer Vollblüter ausgegeben werden. Ein Blankopaß enthielt drei stilisierte Umrißlinien eines Pferdes, nämlich eine Seitenansicht links, eine rechts und eine Vorderansicht.

Wenn das Jungtier seinen Namen bekam, meist als Jährling oder Zweijähriges, trug der den Rennstall betreuende Tierarzt dessen Abzeichen in die Graphik ein und fügte eine schriftliche Beschreibung hinzu. Der Paß ging dann an die oberste Rennsportbehörde, die ihn stempelte, zu den Akten nahm und dem Trainer eine Kopie zukommen ließ.

Mir war gelegentlich aufgefallen, daß unter meinen Pferden kaum eine Blesse, ein Stern oder eine weiße Socke zu finden war. Ich hatte mir nie etwas dabei gedacht. Tausende von Pferden haben keine Abzeichen. Mir waren sie ohne sogar lieber.

Einmal ausgestellt, wurden die Pässe selten gebraucht. Von Auslandsreisen abgesehen, gab es meines Wissens die einzige Kontrolle an dem Tag, an dem das Pferd sein erstes Rennen lief, und auch da nicht aus Mißtrauen, sondern nur, um zu prüfen, ob die Beschreibung des Tierarztes wirklich zutraf.

Ich hatte keinen Zweifel, daß das Pferd, das jetzt statt Energise im Stall bei Rupert Ramsey stand, dem Paß von Energise in jeder Hinsicht entsprach. Einzelheiten wie die Form der Nase, die Rippenwölbung, der Winkel des Sprunggelenks standen ja nicht darauf.

Ich seufzte und drehte mich ein wenig, um diverse Wehwehs zu lindern. Ohne Erfolg. Jody hatte mit seinem Stiefel ordentlich ausgeteilt.

Mit Genugtuung dachte ich an den Bauchtritt, den ich Ganser Mays verpaßt hatte. Aber vielleicht hatte auch er sich revanchiert.

Plötzlich kam mir in den Sinn, daß Jody bei unsauberen Rennen gar nicht auf Raymond Child als Reiter angewiesen war. Jedenfalls nicht immer. Wenn er ein leistungsschwaches Double besaß, brauchte er es ja nur anstelle des guten Pferdes einzusetzen, wann immer es ein Rennen zu verlieren galt.

Die Geschichte des Rennsports war voll von Gerüchten über vertauschte Pferde, und zwar gute Pferde, die für schlechte liefen. Jody, da war ich mir sicher, hatte die Sache einfach umgedreht und schlechte Pferde unter dem Namen guter antreten lassen.

Wenn ich zurückschaute, war es allen meinen Pferden ziemlich gleich ergangen. Erst kam eine Phase sporadischer

Erfolge, durchsetzt allerdings mit Fehlschlägen, immer dann, wenn ich große Summen wettete, und danach ein langer Abstieg ohne jeden Erfolg. Sehr wahrscheinlich war die Flaute darauf zurückzuführen, daß ich mittlerweile auf dem Double saß, das in einer viel zu hohen Klasse antrat.

Das hätte erklärt, wieso Ferryboat den ganzen Herbst schwach gelaufen war. Nicht aus Unmut über Raymond Childs Peitsche, sondern weil er gar nicht Ferryboat war. Dasselbe mit Wrecker. Und mindestens bei einem der drei älteren Pferde, die ich in den Norden geschickt hatte.

Das allein waren schon fünf. Dazu die Jungstute. Dazu meine zwei ersten, bereits als Versager weiterverkauft. Acht. Ich hielt es für möglich, daß ich noch den echten Dial hatte und noch den echten Bubbleglass, denn das waren Sieglose, die ihren Wert erst noch beweisen mußten. Danach aber wären auch sie ausgetauscht worden.

Ein systematischer Betrug. Man mußte nur einen Dummen dafür finden.

Ahnungslos war ich zufrieden gewesen. Kein Besitzer erwartet, daß er dauernd gewinnt, und sicher hatte es auch viele Renntage gegeben, an denen Jodys Enttäuschung ungespielt war. Auch die bestangelegten Wetten gingen daneben, wenn das Pferd auf schnellere Gegner traf.

Das Geld, das ich bei Ganser Mays gelassen hatte, war Kleingeld gewesen im Vergleich zum Wert der Pferde.

Unmöglich herauszufinden, wie viele Tausender eigentlich auf diesem Weg verschwunden waren. Nicht nur, weil der Wiederverkaufswert der Doubles nach einer Serie schwacher Rennen gering war, sondern auch, weil die echten Pferde mir Rennpreise hätten bringen können und in Hermes' Fall womöglich auch noch Deckgelder. Der echte Hermes wäre vielleicht dafür geeignet gewesen. Das Double würde als Vierjähriger kontinuierlich verlieren, und niemand würde Nachkommen von ihm haben wollen. Jody hatte mich geschröpft, wo und wie er nur konnte.

Energise…

Mein Ärger nahm plötzlich zu. Für Energise empfand ich mehr Bewunderung und Zuneigung als für alle anderen. Bei ihm ging es nicht um den Geldwert. Er war ein Individuum, das ich in einem Pferdetransporter kennengelernt hatte. Irgendwie würde ich ihn mir zurückholen.

Ich wälzte mich herum und stand auf. Unklug. Die Kopfschmerzen, die mich den ganzen Tag begleitet hatten, dröhnten wie Hammerschläge. Ob das noch der Alkohol war oder die Gehirnerschütterung allein, änderte wenig am unangenehmen Ergebnis. Gereizt ging ich ins Schlafzimmer, zog einen Morgenmantel über Hemd und Hose und legte mich aufs Bett. Der kurze Dezembernachmittag wurde allmählich dämmrig grau, und meiner Schätzung nach waren jetzt zwölf Stunden vergangen, seit Jody mich auf der Straße abgesetzt hatte.

Ich fragte mich, ob der Arzt mit dem in die Vene geleiteten Gin richtig lag. Die Stelle, die er als Einstich gedeutet hatte, war wie vorausgesagt durch die Prellung verschwunden. Ich zweifelte, ob es überhaupt ein Einstich gewesen war. Die Methode schien bei Licht besehen unwahrscheinlich, denn sie hatte einen ganz schlichten Haken: Wieso hätte Jody einen Beutel Kochsalzlösung im Haus haben sollen? Es mochte stimmen, daß es sie in jeder Apotheke zu kaufen gab, aber nicht mitten in der Nacht.

Nur in London gab es auch nachts geöffnete Apotheken. Hätte die Zeit gereicht, um die M4 hinaufzubrettern, die Kochsalzlösung zu kaufen und sie mir einzuträufeln, während der Wagen mitten in London stand? Fast mit Sicherheit nicht. Und wozu die Mühe? Ein in den Schlund gesteckter Gummischlauch hätte es auch getan.

Nachdenklich massierte ich mir den Hals. Kein wundes Gefühl in der Kehle. Es bewies so und so nichts.

Noch weniger wahrscheinlich war, daß Ganser Mays, zu Besuch bei Jody, Injektionsnadel und Tropf dabeihatte. Rabenschwarzes Pech, dachte ich düster, daß ich ausgerechnet an einem der seltenen Abende bei Jody herumschnüffeln mußte, wo er nicht um halb elf im Bett lag. Wahrscheinlich war trotz aller Vorsicht der Strahl meiner Taschenlampe zu sehen gewesen. Wahrscheinlich war Jody mit hinausgekommen, um seine Gäste zu verabschieden, und sie hatten den wandernden Lichtschein entdeckt.

Ganser Mays. Ihn verabscheute ich auf eine ganz andere

Weise als Jody, denn ich hatte nie Sympathie für ihn empfunden. Von Jody fühlte ich mich zutiefst getäuscht, doch Ganser Mays hatte ich nie als Mensch vertraut, sondern ihn lediglich für einen ehrlichen Vertreter seines Berufsstands gehalten.

Nach Bert Huggernecks Schilderung von der Übernahme der kleinen Buchmacherfirma stand zu vermuten, daß Ganser Mays so viel Berufsehre besaß wie eine Krake. Seine

Fangarme schnellten vor, er umschlang das Opfer und saugte es aus.

Im Geist sah ich eine ganze Schar verzweifelter kleiner Männer in ihren Büros auf dem Boden sitzen, weil der Gerichtsvollzieher die Möbel gepfändet hatte, und vor Erleichterung schluchzen, wenn Ganser Mays anrief und sich erbot, ihnen die Bürde ihres Mietvertrags für einen Apfel und ein Ei abzunehmen. Und ich sah die gleiche Schar von kleinen Männern sich in schäbigen Kneipen betrinken vor Kummer über den Anblick der funkelnagelneuen