«Ich geh dann mal, Sir«, sagte er,»wenn Sie zurechtkommen.«
Kapitel 8
Ob es Owens Fürsorge war oder der natürliche Lauf der Dinge, am Morgen fühlte ich mich wesentlich besser. Das Gesicht im Badezimmerspiegel zierte jetzt zwar ein Zweitagebart, aber es sah nicht mehr so grau aus und guckte nicht mehr so benebelt. Auch die schwarzen Ringe unter den Augen gingen zurück.
Ich rasierte mich und bemerkte beim anschließenden Bad, daß die blauen Flecke jetzt gut ein Fünftel meiner Haut bedeckten. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, daß ich nicht wach gewesen war, als ich sie mir einfing. Die lästigen Schmerzen, die sie mir tags zuvor bereitet hatten, waren mehr oder weniger abgeklungen, und mit Kaffee und Frühstück ließ es sich wieder leben.
Die Polizei machte mir in Sachen Lamborghinidiebstahl wenig Hoffnung. Sie ließ sich die Einzelheiten durchgeben und meinte pessimistisch, in acht Tagen würde ich vielleicht was hören; in weniger als einer halben Stunde rief sie dann wutschnaubend wieder an. Kollegen hätten meinen Wagen in der Nacht davor abgeschleppt, weil ich ihn auf einem für Taxis reservierten Platz am Leicester Square geparkt hätte. Ich könne ihn am Abstellplatz Marble Arch abholen und müsse eine Abschleppgebühr zahlen.
Owen erschien um neun mit langem Gesicht und schaute gleich freundlicher drein, als ich ihm das mit dem Wagen erzählte.
«Haben Sie schon die Zeitung gesehen, Sir?«
«Noch nicht.«
Er hielt mir seine hin.»Es ist besser, Sie wissen Bescheid. «Ich faltete sie auseinander. Allie hatte recht gehabt mit dem Klatschkolumnisten. Die Notiz war kurz und bissig und ließ niemand im unklaren.
Grund zum Schämen für den wohlhabenden Pferdebesitzer Steven Scott (35), der gestern morgen in Soho von der Polizei aus dem Rinnstein gezogen wurde. Vor dem Schnellgericht Marlborough Street bekannte sich der sichtlich mitgenommene, verknautschte Scott der Volltrunkenheit für schuldig. Nur kein Mitgefühl. Rennsportfreunde werden sich erinnern, daß Scott kürzlich Jody Leeds (28), den Trainer seiner sämtlichen Sieger, fristlos an die Luft gesetzt hat.
Ich sah meine beiden eigenen Tageszeitungen und die Sporting Life durch. Alle brachten die Geschichte in ähnlicher Form, wenn auch nicht so reißerisch. Geschah ihm recht, dem nach unten Tretenden, daß er selbst mit der Nase im Dreck gelandet war.
Man durfte annehmen, daß die Story an alle Zeitungen gegangen und von den meisten aufgegriffen worden war. Obwohl ich damit gerechnet hatte, gefiel es mir nicht. Kein bißchen.
«Das ist verdammt unfair«, meinte Owen, der den Beitrag in der Life las.
Ich sah ihn überrascht an. Sein normalerweise unbeteiligtes Gesicht verriet hilflosen Zorn, und ich fragte mich, ob sich in seinem Ausdruck mein eigener spiegelte.
«Danke für Ihr Verständnis.«
«Kann nicht anders, Sir. «Seine Züge glätteten sich mehr oder weniger, aber es kostete ihn Mühe.»Kann ich sonst noch was tun, Sir?«
«Den Wagen abholen?«
Er wurde etwas fröhlicher.»Schon unterwegs.«
Seine Fröhlichkeit war jedoch von kurzer Dauer, denn eine halbe Stunde später kam er mit blassem Gesicht und wütender, als ich es für möglich gehalten hätte, zurück.
«Sir!«
«Was ist?«
«Der Wagen, Sir! Der Wagen!«
Seine Gestik, sein Ton sagten alles. Stammelnd vor Wut berichtete er die Einzelheiten. Der linke vordere Kotflügel war völlig zerdrückt. Die Scheinwerfer zertrümmert. Eine Radkappe verschwunden. Die Motorhaube verbeult. Der Lack über die ganze linke Seite zerschrammt bis aufs Metall. Die Beifahrertür war glatt herausgerissen, ihre Scheiben zerschlagen, der Türgriff ab.
«Es sieht aus, als hätten sie ihn gegen eine Mauer gefahren oder so etwas, Sir.«
Ich dachte kalt an die Beifahrerseite von Jodys Pferdetransporter, die genauso beschädigt war. Mein Wagen war aus Rache demoliert worden.
«Hat der Schlüssel gesteckt?«fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.»Er war nicht abgeschlossen. Ging auch gar nicht, denn das Schloß war kaputt. Und ich habe wie gewünscht nach Ihrer Brieftasche gesucht, aber die war nicht auffindbar. Gar nichts von Ihren Sachen, Sir.«
«Läßt sich der Wagen fahren?«
Er beruhigte sich ein wenig.»Ja, der Motor ist in Ordnung. Die sind ja damit zum Leicester Square. Der Wagen sieht zwar schrottreif aus, aber fahren wird er noch, wie hätten sie ihn sonst dahin gekriegt?«
«Das ist doch immerhin etwas.«
«Ich habe ihn auf dem Abstellplatz stehen lassen. Er muß ohnehin in die Werkstatt, und die können ihn genauso gut von dort abholen.«
«Klar«, stimmte ich zu. Ich nahm an, er hätte es nicht ertragen, einen Totalschaden durch London zu chauffieren; zu Recht war er stolz auf seine Fahrkünste.
Owen ging mit seinen in Aufruhr gebrachten Gefühlen hinunter in die Werkstatt, und ich setzte mich oben mit meinen auseinander. Schließlich spielte mir Jody nur so übel mit, weil ich es gewagt hatte, nachts in seinen Stall einzudringen. War es das wert gewesen? Ich hatte einen ziemlich horrenden Preis für einen kurzen Blick auf Energise bezahlt; aber zumindest wußte ich jetzt, daß Jody ihn vertauscht hatte. Es war eine Tatsache, nicht mehr nur eine Vermutung.
Ich verbrachte den ganzen Morgen am Telefon, um das Chaos zu bereinigen. Veranlaßte die Autoreparatur und bestellte einen Mietwagen. Teilte meiner Bank und ungefähr zehn anderen Stellen mit, daß ich Scheckbuch und Kreditkarten verloren hatte. Versicherte mehreren Verwandten auf Anfrage, daß ich weder im Gefängnis noch ein Quartalsäufer sei. Hörte einer schrill tönenden Dame zu, deren Anruf irgendwie dazwischenrutschte und die mir sagte, sie finde es widerlich, wenn reiche Leute betrunken im Rinnstein lägen. Ich fragte sie, ob es denn für arme Leute in
Ordnung sei und wenn ja, warum die mehr Rechte haben sollten als ich. Fair geht vor, sagte ich. Freiheit, Gleichheit. Sie zischte mir ein unanständiges Wort ins Ohr und legte auf. Es war der einzige Lichtblick des Tages.
Zuletzt rief ich Rupert Ramsey an.
«Was heißt, Sie wollen nicht, daß Energise läuft?«Seine Stimme klang fast so überrascht wie die von Jody in Sandown.
«Ich dachte«, sagte ich schüchtern,»er braucht vielleicht noch Zeit. Sie sagten ja selbst, er müsse aufgebaut werden. Dieses Weihnachtsrennen ist aber schon in ungefähr acht Tagen, und ich will nicht, daß er unter seinen Möglichkeiten läuft.«
Hörbare Erleichterung löste die Überraschung am anderen Ende ab.
«Wenn Sie das so sehen, okay«, sagte er.»Das Pferd hat mich im Training offengestanden etwas enttäuscht. Ich hatte ihn gestern in der schnellen Arbeit neben einem Hürdler, den er in Grund und Boden hätte laufen müssen, und er konnte noch nicht mal mit ihm mithalten. Er macht mir etwas Sorgen. Tut mir leid, daß ich Ihnen nichts Erfreulicheres sagen kann.«
«Schon gut«, sagte ich.»Wenn Sie ihn behalten und Ihr Bestes tun, bin ich zufrieden. Lassen Sie ihn nur nirgends laufen. Ich kann warten. Ich will bloß nicht, daß er Rennen läuft.«
«Alles klar. «Das Lächeln kam mit den Worten durch die Leitung.»Was ist mit den beiden anderen?«
«Sie sind der Trainer. Von Ferryboat erwarte ich nichts weiter, aber auf Dial würde ich gern setzen, wenn Sie sagen, daß er soweit ist.«
«Das ist er schon. Er ist für Newbury in vierzehn Tagen genannt. Da wird er ganz gut laufen, denke ich.«
«Prima.«
«Kommen Sie hin?«Eine sehr beziehungsreiche Frage. Auch er hatte Zeitung gelesen.
«Kommt drauf an, ob ich mich traue«, sagte ich scherzhaft.»Reden wir noch mal drüber.«
Schließlich fuhr ich dann.
Die meisten Leute vergessen schnell, und mir zeigten nicht mehr die kalte Schulter, als ich erwartet hatte. Es war kurz nach Weihnachten, und vielleicht war man allen Mitmenschen noch wohlgesinnt, auch wenn sie Jody Leeds in die Pfanne gehauen und sich eine Strafe wegen Trunkenheit eingehandelt hatten. Man begegnete mir eher mit amüsiertem Gekicher als mit schroffer Mißbilligung, ausgenommen natürlich Quintus Leeds, der seiner Abneigung nach Kräften Luft machte. Er versicherte mir erneut, daß man mich niemals in den JockeyClub wählen würde. Nur über seine Leiche, sagte er. Er und Jody hatten es mit dieser Redewendung.