»Kalkuliere, war ein Mensch, wenn auch nur ein roter Mensch, konnte sie nicht sterben lassen. Hat sich belohnt, war ruhiger hinterher.«
Sie rauchten schweigend.
Dann nahm Graf Edgar das Wort: »Nach dem, was ich von Ihnen gehört habe, Mister Johnson, und bei dem Vertrauen, welches Sie mir einflößen, will ich Ihnen auch nicht länger das meinige vorenthalten und Ihnen Kenntnis geben von der Absicht, die mich hierher führte.«
Er erzählte nun von dem Schicksal seiner Schwester und setzte ihm den Zweck seiner Reise auseinander.
»Das ist ein trauriges Ende für eine deutsche Lady, Fremder. Habe nie etwas davon erfahren, daß die Ottawas eine weiße Frau verborgen halten. Muß wohl so sein, wie Ihre Freunde am Muskegon sagen, die Angst bindet ihre Zungen. Hat der damals kommandierende General kurzen Prozeß mit einigen der grimmigsten Bluthunde gemacht, sie von Standgerichten verurteilen und ohne weiteres aufknüpfen lassen. Haben die größte Angst vor dem Hängen, die Indianer, bedeutet ihnen ein solcher Tod ewige Vernichtung, während sie sonst auf ein seliges Dasein in ihren glücklichen Jagdgründen hoffen. Die Angst vor Strafe macht die Indianer so schweigsam in dieser traurigen Sache. Wenn ich helfen kann, Herr, stehe ich gern zu Gebote.«
»Ich nehme jede Hilfe mit Dank an. Wenn ich nur erst über meine nächsten Maßnahmen im klaren wäre.«
»Wir wollen ruhig warten, bis der Indianer kommt, vielleicht bringt er uns Nachrichten.« [167]
»Wieviel Zeit brauchen wir, um nach Fort Jackson zu gelangen?«
»Es sind zwei Tagemärsche bis dorthin.«
»Kennen Sie den gegenwärtig dort kommandierenden Offizier?«
»Kapitän Davis? Flüchtig. Mir scheint er ein lebenslustiger Herr, der sich hier an der Grenze sehr unbehaglich fühlt. Er hat mir auch schleunigst einen Namen gegeben, und mich den >Geist des Urwalds< getauft.«
»Es ist zweifelhaft, ob wir ihn noch antreffen,« und Edgar unterrichtete Johnson von dem bevorstehenden Garnisonwechsel.
»Das ist freilich eine ungewöhnliche Maßnahme.«
Ein leichter Schritt ließ sich draußen hören, geräuschlos ging die Tür auf und Athorees braunes Gesicht erschien in der Oeffnung. Rasch trat er ein, warf einen Blick umher und blieb dann wie gebannt stehen.
Die Augen aller waren auf ihn gerichtet.
»Nun, Athoree?«
Der Indianer antwortete nicht, er stand, den Kopf vorgebeugt, bewegungslos, doch zeigte ein merkliches Zittern der ganzen Gestalt, daß eine hohe Aufregung den starken Mann ergriffen haben mußte. Die weit aufgerissenen, dunklen Augen waren mit einem Ausdruck auf die alte Indianerin gerichtet, wie man ihn niemals bisher an ihm wahrgenommen hatte. Ein leiser Ausruf, der fast wie ein Stöhnen klang, entrang sich der Tiefe seiner Brust.
Sumach saß in der Ecke auf ihrem Schemel und starrte aus den entzündeten Augen Athoree an, dann hob sie die magere Hand empor, und jede Falte in ihrem runzeligen Gesicht schien Leben zu bekommen, und leise sagte sie, in bebendem Tone: »Atho-ree.«
Mit einem Sprung war der Indianer bei ihr, und sein heller Jubelruf, der weithin hallte, strafte allen indianischen Stoizismus Lügen.
»Mutter!«
Er faßte ihre mageren Hände und drückte sie an die Brust. Dann streichelte er ihr die runzeligen Wangen, fuhr mit der Hand sanft über ihren grauen Scheitel, und schaute die Alte mit einem Blicke an, aus dem eine Liebe und Sanftmut strahlte, wie man sie nimmer in diesem Antlitz gesucht haben mürde.
Erstaunt und schweigend sahen alle diesem überraschenden Vorgange zu.
»Es ist seine Mutter,« flüsterte Johnson. »Seltsam.«
Die alte Frau bebte vor innerer Bewegung heftig, und mehrmals [168] wollte sie sprechen, aber sie konnte es nicht. Rührung erstickte ihre Stimme.
Mit sanftem Tone sprach Athoree zärtliche Worte zu ihr.
Die Alte verhüllte das Antlitz in ihren Händen, und große Tränen rollten zwischen den braunen Fingern hernieder.
Ruhig und ehrerbietig wartete Athoree, bis die Tränen der Mutter versiegten. Sie ließ endlich die Hände sinken, blickte den vor ihr stehenden, sonst so ernsten, fast finsteren Mann an und sagte (Johnson übersetzte es später den übrigen) in der Sprache der Wyandots: »Manitou hat Sumach lieb, er sendet ihr den Sohn.«
Johnson winkte den übrigen, die Hütte zu verlassen, um die beiden tief bewegten Menschen bei Austausch ihrer Gefühle nicht zu stören, und alle folgten ihm geräuschlos durch eine in der Hinterwand angebrachte Türe in den Wald, der sich hier bis dicht an die Hütte heranzog.
»Da spricht man nun diesen roten Menschen das Herz ab,« sagte Johnson draußen, »ich kann mir keinen ergreifenderen Gefühlsausbruch denken, als ihn hier der stoische Indianer wahrnehmen ließ.«
»Ich bin überrascht und bewegt von diesem Wiedersehen,« ließ Graf Edgar sich vernehmen, »ich muß gestehen, auch ich hätte nach dem, was ich bisher von Athoree gesehen habe, eine solche tiefe Herzensregung nicht erwartet.«
»Es ist ein wildes Geschlecht, das der roten Leute, eine erbarmungslose Rasse, wenn ihre Leidenschaften erregt sind, aber sie hassen und lieben, wie wir Menschen alle. Also ein Wyandot ist Ihr Indianer, diesem Stamme gehört Sumach an. Das ist gut. Die Wyandots sind ein ganz andrer Menschenschlag, als diese Chippewayvölker, und ich bin nun über ihn beruhigt. Der verrät Sie nicht an die Ottawas. Anfänglich betrachtete ich ihn mit Mißtrauen, denn unter den roten Leuten gibt es gefährliche Umhertreiber, wie unter den Weißen, hier an der Grenze.«
Aus der Hütte tönten die gedämpften Stimmen der Indianer zu ihnen herüber, bald Athorees, bald der Alten.
Sie harrten geduldig.
Dann kam der Indianer sehr eilig heraus, wühlte eifrig in dem Gepäck, welches das Maultier trug, es war hinter dem Hause abgelegt, holte ein scharlachrotes Tuch und ein paar silberne Ohrgehänge hervor, welche zu den für die Ottawas bestimmten Gaben gehörten, zeigte sie dem Grafen und sagte: »Gib dies, Athoree alter Mutter schenken, dir wieder geben.« [169]
Lächelnd nickte der Graf.
Athoree eilte wieder in die Hütte und führte bald die Alte heraus, welche er mit dem Tuche und den Ohrgehängen geschmückt hatte.
Schöner war Frau Sumach freilich nicht dadurch geworden, aber aus jedem Zuge ihres faltigen Gesichtes strahlte Wonne, und der Indianer blickte mit Stolz auf die Mutter, in ihrem kostbaren Schmuck.
»Athorees Mutter, Gutherz,« sagte er, »lange nicht gesehen. Glauben tot. Großer Geist lassen wieder finden. Er gut.«
»Ich freue mich herzlich deines so seltenen Glückes, Athoree, und wenn du deine Mutter erfreuen willst, so nimm nur, es ist ja genug von dem Zeug da.«
»Ganz genug, alte Frau sich freuen, ganz genug.« Dann ging er auf Johnson zu und sagte: »Du guter Mann gegen alte Mutter, sie mir sagen. Athoree nur ein Leben, es dir gerne geben, wenn du haben willst.«
»Du bist ein guter Sohn, Wyandot, das sehe ich und das freut mich. Deine Mutter hat mir das, was ich für sie getan habe, längst vergolten.«
Michael, der ein weichherziger Bursche war, hatte sich, als ihm das Verhältnis der beiden Indianer klar wurde, verstohlen eine Träne abgewischt, der groteske Aufputz der Alten aber jegliche Rührung verscheucht, so daß er große Luft hatte, in Heiterkeit auszubrechen, wie auch die andern ein Lächeln nicht unterdrücken konnten, als die geschmückte Sumach erschien, aber er bezwang es weislich. Doch murmelte er in den Bart: »Ein guter Kerl mag der Athoree sein, aber Geschmack hat er nicht.« Nachdem wieder ruhige Sammlung in die Gemüter zurückgekehrt war, wandte sich der Graf mit der Frage an den Indianer: »Was hat Athoree Neues gesehen?«
»Nicht viel sehen, nicht weit genug gehen. Viel Ottawa im Walde, sehen Spuren, gehen hin, gehen her, nicht wissen, was Ottawa denken. Besser gehen Fort, dann immer noch zu Peschewa, gehen.«