»So lassen wir das Tier zurück,« meinte der Graf.
»Es wäre nicht gut, denn stoßen wir wirklich auf die Ottawas, so liefern die Geschenke und Schreiben, welche Sie, wie Sie mir sagten, mitführen, den Beweis, daß Sie in der freundschaftlichsten Absicht hierhergekommen sind. Wir müssen den Ue-bergang versuchen, nasse Kleider wird's freilich geben.«
Sie schritten einige Hundert Schritt am Wasser hinauf und Johnson sagte stehenbleibend: »Hier ist die Furt, sie erstreckt sich direkt in der Richtung von hier nach jener Schierlingstanne drüben. Erst will ich die alte Frau ans andre Ufer bringen, der Irlander kann warten, bis ich zurückkomme.«
»Athoree alte Mutter tragen.«
»Das überlaß nur mir, Häuptling, ich kenne die Furt besser und bin stärker als du.«
Er nahm Sumach auf den Arm und schritt ins Wasser, welches ihm bald bis unter die Achseln reichte, aber festen Schrittes, Athorees Mutter auf der linken Schulter tragend, mit der Rechten die Büchse emporstreckend, während die Alte ihm Pulverhorn, Kugelbeutel und Jagdtasche hielt, schritt er hinüber und setzte seine Bürde ans Land.
Ihm auf dem Fuße war Athoree gefolgt.
Johnson ging wieder zurück.
Der Graf und Heinrich wateten hinüber, gleich Johnson, hoch in den Händen empor haltend, was nicht naß werden durfte.
»Nun du, mein guter Bursche,« sagte Johnson zu Michael. »Nimm die Ladung auf deinen irischen Schädel und kreuze den Fluß, ich komme mit dem Tiere nach.«
Wie er gesagt, tat Michael und brachte auch seine Last trocken auf die andre Seite. Das Saumtier hinüber zu führen, konnte aber nur einem Mann von der Körperkraft gelingen, wie sie Johnson besaß. Das starke, bockige Tier scheute und stemmte sich mit aller Kraft dem Versuche entgegen, es ins Wasser zu ziehen. Aber Johnsons eiserner Arm zwang es hinein. Mit derselben Kraft hielt er dem in der Flut in wilder Angst kämpfenden Tier den Kopf über Wasser und brachte es glücklich ans andre Ufer, wo es zitternd anlangte.
Alle, selbst Michael, der ein ungewöhnlich starker Bursche war, staunten bei dieser Kraftprobe, und der Ire sagte: »Das hätte meiner Mutter Sohn nicht fertig gebracht. Bei St. Patrick, das sind Muskeln.«
Michael belud dann das Tier wieder, alle rangen sich so gut sie konnten die Kleider aus, und von neuem begann in tiefem Schwelgen der Marsch, unter Beobachtung der größten Vorsicht. [216]
Die Stimmung war eine sehr ernste geworden, und jeder hielt seine Büchse schußfertig im Arm, selbst Michael, welchem das Tier, nachdem Johnsons machtvoller Arm es gebändigt, ruhig folgte, hielt seinen Stock kampfbereit.
Athoree ging mit den Schritten einer Katze voran, ohne sich aber weit von dem Zuge zu entfernen, so daß ihn die Folgenden stets im Auge hatten.
Lautlose Stille herrschte hier im tiefen Walde. Kein Vogel ließ sich hören, kein Eichhörnchen kletterte munter in den Aesten, kaum ein Luftzug war zu spüren. Hoch lag das welke Laub am Boden und dämpfte das Geräusch der Schritte. Mit Vorsicht vermieden es nach Johnsons Anweisung die Dahinschreitenden, am Boden liegende dürre Aeste mit dem Fuße zu berühren, ob es gleich trotz der Warnung oft genug vorkam, daß das Knacken eines solchen hörbar wurde.
Seltsam war Graf Edgar zu Sinne, als er so mit der Büchse in der Hand in der Dämmerung des amerikanischen Urwaldes einherschritt, vor sich des Indianers schattenhaft nur erscheinende Gestalt, dessen Schritte auf dem Laub und bei dem von weichem Hirschleder umhüllten Fuß nicht vernehmbar waren, über sich das dichte Laubdach, welches kaum hie und da ein Sonnenstrahl durchdrang, ringsumher aufragende Waldesriesen und mehr oder minder dichtes Buschwerk, zu seinen Füßen oftmals vermoderte Baumstämme, welche den Weg versperrten. Sorglos hatte er den ersten Teil seiner Waldreise zurückgelegt, und das Gefühl, gefährdet zu sein in dieser Einsamkeit, war ihm erst seit seiner Zusammenkunft mit Johnson aufgestiegen und durch die jüngsten Entdeckungen wesentlich gestärkt worden. Er sowohl als auch Heinrich waren Männer von unbezweifelter Tapferkeit, die in mehr als zwanzig Schlachten und Gefechten die Kugeln um sich pfeifen hörten, aber dieses leise Einherschleichen im düsteren Walde, in dessen Halbdunkel möglichenfalls das Leben nur vom scharfen Auge und feinen Gehör abhing, diese ununterbrochene Anspannung aller Sinne hatte etwas unheimlich Aufregendes. Mit Hurra! und schlagenden Tambours gegen eine Batterie anzustürmen, schien den europäischen Kriegern leichter, als so zwischen Baum und Busch, wo die tiefe geheimnisvolle Stille jeden Augenblick vom Donner einer Büchse unterbrochen werden konnte, einherzumarschieren. Dabei bevölkerte die erregte Phantasie die düstere Umgebung mit den Gestalten wilder Feinde, und mehr als einmal, wenn ein Tier flüchtig wurde oder die Blätter stärker rauschten, wurde die Büchse emporgerissen. [217]
Mit ernstem, doch gleichmütigem Gesicht ging Johnson einher, dessen schneeiges Haar und weißer Bart ihn in dieser Umgebung wirklich wie den Geist des Urwalds erscheinen ließen, ein Name, den ihm der Offizier des Forts nicht unpassend erteilt hatte.
Ihr Weg lief fortwährend neben dem tief ausgetretenen Kriegspfad her, welchen die Schritte der Ottawas hinterlassen hatten, denn dieser führte in seiner Verlängerung direkt auf das Fort zu.
Nachdem sie einige Meilen auf diese Weise zurückgelegt hatten, immer den Spuren der Indianer entlang, machte Athoree die Folgenden aufmerksam, daß die Ottawas sich geteilt haben müßten.
Dies war am Boden leicht zu erkennen, sie waren fast im rechten Winkel auseinander gegangen. Beide Teile aber in derselben Ordnung, in welcher der ganze Zug einhergeschritten war.
»Wo der See?« fragte er Johnson.
Dieser deutete gerade auf sich hin.
»Wo Fort?«
Johnson gab ihm die Richtung an.
»Ottawa sich teilen, Fort und See umgehen? Kanoes hier?«
»Dies mag wohl sein, denn ich weiß, daß sie im Chippeway-See fischen, und so werden sie gewiß ihre Kähne hier versteckt haben.«
Der Indianer entgegnete nichts und ging nach kurzer Frist langsam weiter, dann blieb er, wie vorher der Graf, stehen und wartete, bis Michael kam, dem in der letzten Zeit bei dem Geheimnisvollen, was ihn hier umgab, die Lust zu reden vergangen war.
Athoree ging langsam neben ihm her, und da er nicht sprach, fragte Michael endlich: »Willst du etwas von mir?«
»Du starke Hand, starkes Herz; ihm sehen. Was du tun, wenn Injin kommen?«
»Du meinst, wenn deine Landsleute uns zu Leibe rücken?«
»Nicht Landsleute, Ottawa ander Volk, nicht Athorees Volk.«
»Na, 's wird sich ziemlich gleich bleiben,« murmelte der Ire.
»Was du tun, wenn kommen Injin? Mir sagen.« »Je nun, ich werde sie behandeln wie die Bärin, und das hast du ja gesehen.«
»Gut, wenn kommen nah. Bärin keine Büchse, Ottawa Büchse, schießen gut. Was du tun, wenn schießen? Das sagen.«
Der Irländer kratzte sich den buschigen Kopf.
»Höre einmal, Indianer, zum Ausreißen ist meiner Mutter Sohn nicht gemacht, verstehst du? Und wenn sie auf uns schießen -? Hm. Du glaubst doch an Gott, nicht wahr?« [218]
»Glaube an großen Geist.«
»Nun ja, siehst du, dann muß mich der liebe Gott schützen, wir stehen alle in seiner Hand.«
»Das gut. Großer Geist mächtig. Noch besser, du kommen gleich hinter Athoree, legen in Gras, er für dich schießen. Kommt mit Tomahawk, Ottawa, du nehmen Stock und machen so wie mit Bärin. He?«
»Segne meine Seele, du bist wirklich ein guter Kerl, Indianer,« und Michael reichte ihm treuherzig die Hand, »anfangs, weißt du, mochte ich dich nicht recht, das kam davon, daß ich deinesgleichen noch nicht gesehen hatte, aber ich weiß jetzt, besonders seitdem du deine Mutter wieder hast, daß dir das Herz auf dem rechten Fleck sitzt.«
»Nicht so viel reden. So tun wie Athoree sagen.«
Der Wyandot ging zu seiner Mutter.