Athoree trat mit leisem Schritt in das Zimmer, welches unsre Freunde beherbergte, und berührte leicht Johnsons Schulter.
Augenblicklich schlug dieser die Augen auf und fragte: »Was gibt's?« indem er gleichzeitig nach der neben ihm liegenden Büchse griff.
»Jetzt der tote Mann und Sumach machen, Athoree schlafen,« sagte dieser leise, um die Ruhenden nicht zu stören.
»Recht, Häuptling, du hast genug getan.« [236]
Er erhob sich, um hinauszugehen, als auch Graf Edgar aus seinem unruhigen Schlummer, der von wilden Träumen gestört war, erwachte.
»Ist etwas vorgefallen?« fragte er hastig, als er die beiden Männer vor sich stehen sah.
»Nichts, Sir, wir lösen uns nur ab, der Indianer und ich. Die Nacht ist ruhig verlaufen, Athoree? Nicht so?«
»Ottawa schlafen, nichts sehen, nichts hören.«
Der Graf stand auf.
»Ich will Sie begleiten, Johnson.«
Er nahm seine Büchse und ging mit ihm hinaus, während Athoree sich in einem kleinen Nebengemache zum Schlafe niederlegte.
Sie traten hinaus in den balsamischen Morgen.
Was die Nacht mit ihrem dichten Schleier liebreich verborgen hatte, zeigte nunmehr der Strahl der goldnen Sonne in seiner schrecklichsten Gestalt.
Ein Grausen überlief den jungen Offizier, der doch an den Anblick der Schlachtfelder gewöhnt war, als er jetzt im Tagesscheine sah, wie Beil und Messer der Wilden hier gewütet hatten.
Ringsum lagen die Toten zerstreut, und starre Augen richteten sich aus schmerzverzerrten Gesichtern gen Himmel. Der Boden war mit Blutlachen bedeckt.
Sie gingen umher und ließen ihre Blicke über die entsetzlichen Gruppen schweifen, über Leichname, welche von dem Skalpiermesser der Wilden entstellt waren. In dem als Kaserne dienenden Blockhause hatten sich die Krieger tapfer gewehrt, ehe sie gefallen waren, das sah man an den blutgeröteten Bajonetts der Gewehre, welche die toten Hände noch fest umklammert hielten. Sie schritten weiter und erblickten nun auch die Leichen der Indianer, welche ihre Gefährten am Wall in sitzender Stellung zurückgelassen hatten. Sie waren alle mit Bajonettstichen durchbohrt.
»Sie haben sich verteidigt, die Männer,« sagte der Graf, als er die toten Ottawas gewahrte. »Wie war es nur möglich, Johnson, ein so gut besetztes kleines Festungswerk zu überraschen, daß mit Ausnahme des Sergeanten und seiner wackeren Frau auch nicht ein Lebender von diesem Schreckenstage erzählen kann?«
»Wie die Roten das vollbracht haben, den Kommandanten und seine Mannschaft in solch völlige Sicherheit einzulullen, kann ich mir nicht erklären, denn es ist ihnen verboten, mit Büchsen ins Fort zu kommen, auch wird unter keinen Umständen eine größere Anzahl [237] eingelassen, doch ist der Indianer der schlaueste und verräterischste Krieger, den es geben kann.«
»Und was kann dieser Ueberfall, diese Mordtat, denn weiter ist es doch nichts, bezwecken? Die Wilden wissen doch, wie ich gehört habe, wie furchtbar die Regierung sie zu züchtigen im stande ist. Ihre einsichtsvolleren Männer müssen sich doch sagen, daß sie es nimmer mit den Weißen aufnehmen können.«
»Ich stehe hier vor einem Rätsel. Doch ist der Indianer so unberechenbar, daß ein kleiner Anlaß ihn zu der unbändigen Wut treiben kann, deren traurige Resultate wir hier vor uns sehen.«
Sie gingen auf den Wall hinauf, blickten über den friedlichen See, der im Morgensonnenschein vor ihnen lag, und dann auf die Toten hinunter, welche auf der Plattform am Wasser ruhten.
Johnson zeigte auf Davis' Leiche und sagte: »Das ist der Kommandant dort. Wenn, wie der Indianer wohl ganz richtig vermutet, der Angriff hier vom Wasser aus erfolgt ist, worauf auch die zahlreichen Kanoes schließen lassen, so ist der Kapitän wahrscheinlich gleich anfangs gefallen.«
Mit einer stillen Rührung betrachtete Edgar den Leichnam des unter Mörderhand gefallenen Kameraden, der an Jahren ihm ungefähr gleichstehen mußte.
»Was beginnen wir mit den Leichen, Johnson?«
»Werden sie wohl begraben müssen, Herr, wird nicht angehen, sie so liegen zu lassen.«
»Natürlich nicht, wollen uns hernach ans Werk machen. Hätte nicht geglaubt, auch hier im fernen Amerika solch traurige Handlung vornehmen zu müssen.«
Sie gingen auf dem Walle weiter.
»O,« äußerte der Graf überrascht, »ich sehe mit Vergnügen, daß der Platz auch Geschütz führt.« Und er betrachtete den bronzenen Vierpfünder, welcher ihm unter einem Bretterschutz bis jetzt entgangen war.
Es war ein Hinterlader neuester Konstruktion.
Er blickte dann auf den einsam vor ihm liegenden See hinaus und sagte nach einer Weile: »Dürfen wir annehmen, daß die Wilden abgezogen sind?«
Johnson wies auf die Wälder hüben und drüben: »Von allen Seiten bewachen das Fort scharfe Augen, Herr. Schon diese,« und er deutete mit der Hand auf die Leichen der Indianer, »würden ihre Stammesgenossen veranlassen, zurückzukommen.« [238]
»Können Sie sich nach dem, was wir hier gesehen haben, ein Bild machen, wie stark die Angreifer etwa gewesen sind?«
»Das ist schwer zu sagen. Doch muß die Zahl derer, welche ein Fort mit sechzig Mann Besatzung anzugreifen wagen, nicht klein gewesen sein.«
»Und wie erklären Sie sich es, daß wir bei unsrer Ankunft das Fort ganz verlassen fanden?«
»Habe schon darüber hin und her gedacht, Herr, muß eine plötzliche und unerwartete Veranlassung gewesen sein, welche die Wilden nach vollbrachter Tat zum Fort hinauslockte. Das geht daraus hervor, daß sie die Leichen der Ihrigen hier zurückließen, ebenso aber auch ihre Absicht, hierher zurückzukehren.«
»Doch die Angreifer von gestern abend schienen mir nicht zahlreich zu sein.«
»Nein, das waren sie nicht, aber es ist denkbar, daß eine kleinere Schar der Indianer, im Begriff zurückzukehren, durch unsern Anmarsch überrascht wurde, während der Haupttrupp noch entfernt war. Jetzt werden sie wohl sämtlich in den Wäldern versammelt sein.«
»Glauben Sie, daß wir einen Angriff zu gewärtigen haben?«
»So sicher, wie dort die Sonne scheint.«
»Und wie denken Sie sich den?«
»Vergeblich ist's, darüber nachzusinnen. An ein Ersteigen der Pallisaden ohne lange Leitern ist nicht zu denken, und diese zu fertigen, dürften sie weder die Mittel, noch die Geschicklichkeit besitzen, auch wäre ein solcher Sturm unter unsern Büchsen immer noch eine gefährliche Sache! Der Wilde setzt sein Leben nur dann direkt in Gefahr, wenn die indianische Tollwut ihn überkommt, sonst ficht er aus dem Hinterhalte und sichert seine Glieder möglichst vor feindlichen Geschossen. Feuer anzuwenden scheint bei der starken Balkenbedachung nicht tunlich. Daß sie etwas gegen uns unternehmen werden, ist sicher, aber wann und wie sie ihren Angriff ausführen werden, weiß nur der droben. Wir müssen die Augen offen halten und auf jede indianische List gefaßt sein.«
»Glauben Sie, daß wir länger hier festgehalten werden können?«
»Die Wilden gehen nicht von dannen, bis sie entweder das Fort mit seinen Schätzen an Waffen und Pulver nebst unsern Skalpen haben, oder durch Gewalt zum Abzug genötigt werden.«
Dem Grafen schoß der Gedanke an den beabsichtigten Garnisonswechsel durch den Kopf. Konnten nicht die ablösenden Truppen im Anmarsch sein? Und der Oberst und Miß Frances? [233]
»Der Offizier, den wir gestern abend hereinholten, muß während des Ueberfalls außerhalb des Forts gewesen sein.«
»Wahrscheinlich genug. Möglich, daß ein Teil der Besatzung draußen überfallen worden ist, das würde vielleicht auch den Abzug der Wilden erklären.«
Der Graf schwieg in ernstem Nachdenken.
Sie gingen weiter und blickten nach allen Richtungen durch die Schießscharten, ohne das mindeste Verdächtige zu bemerken. An den gestrigen Kampf erinnerte nur das tote Maultier.