Heinrich rüttelte Michael an der Schulter. »Komm nur, roter Spitzbube,« murmelte dieser, griff noch halb im Schlafe nach seinem Stocke und starrte dann mit weit aufgerissenen Augen ins Zimmer. Er rieb sich die Stirn und allmählich wurde ihm die Situation klar.
»Das ist eine schöne Geschichte, Ew. Gnaden, das wird kein Mensch in Leitrim glauben, wie wir uns herumgehauen haben.«
»Hoffentlich hast du noch Gelegenheit, deine Taten in der Heimat zu erzählen; doch nun komm, wir wollen uns für den Tag stärken, er kann heiß werden.«
»Alles recht, Ew. Gnaden, mag's kommen, wie's will, Michael O'Donnel ist bei allem dabei, sei's bei der Flasche, sei's bei Hieben. Ich werde Ew. Gnaden nicht verlassen.« [243]
Sie setzten sich um den Tisch und die Forderungen der Natur ließen alles Grausen ringsumher vergessen; sie sprachen dem Frühstück wacker zu und Michael O'Donnel stand auch hier seinen Mann. Als sie ihren durch die Anstrengungen des vorigen Tages geschärften Appetit gestillt hatten, sagte der Graf: »Wir müssen auch nach unserm Gefangenen sehen und dürfen ihn nicht verhungern lassen.«
Johnson und Michael begaben sich nun in die Kammer, wo der junge Ottawa gefesselt lag, mit etwas Brot und Fleisch.
Der Ire bewaffnete sich zu diesem Gange wohlweislich mit seinem Stocke. Der Gefangene wurde losgebunden und ihm die Speise geboten, die er auch annahm und gierig verschlang. Michael, den Shillalah zum Hiebe bereit, ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen, ebensowenig Johnson.
Als der junge Indianer gegessen hatte, fragte Johnson: »Will uns der junge Ottawakrieger jetzt sagen, warum er mit seinen Brüdern das Fort des großen Vaters in Washington überfallen hat?«
Der Indianer blieb stumm.
»Der Ottawa nicht will reden? Gut, so wird man ihn am Halse aufhängen müssen, bis er tot ist.«
Der Indianer zuckte zusammen und ein Blick wilden Hasses fiel auf die beiden Männer, ein Zeichen, daß er wohl verstanden hatte, was Johnson sagte, aber er schwieg.
»Nun, der Ottawa bereitet sich sein Los selbst, er muß wissen, was er tut.«
Johnson band ihn dann wie vorher und man schloß ihn wieder ein.
Draußen begegneten ihnen schon der Graf und Heinrich.
»Kommt,« sagte Edgar, »wir wollen vor allem das Depot besichtigen und die Geschütze laden.«
Sie gingen hinaus, schritten auf das Magazin, welches Johnson kannte, zu und erschlossen es.
Hier zeigte sich ein reichlicher Vorrat von Waffen und Kriegsmunition, auch die Kartätschenkartuschen fanden sich bald, ebenso Granaten.
»Wir wollen die Geschütze laden, Heinrich, und ebenso die vorhandenen Gewehre.«
»Zu Befehl, Herr Graf.«
»Die letzteren stellen wir dann an den Schießscharten auf und feuern sie gegebenen Falles so rasch als möglich ab.«
Er wiederholte dieses Johnson englisch.
»Ja, das ist gut,« meinte dieser, »das ist gut.« [244]
»Michael muß auch so viel beigebracht werden, daß er ein Gewehr abfeuern kann. Du kannst ihn in die Schule nehmen, Heinrich.«
»Zu Befehl.«
Der Jäger und der Graf nahmen nun einige Geschützmunition, dem hierin unerfahrenen Hinterwäldler und Michael vertrauten sie sie der Gefahr wegen, welche die leicht explodierende Ladung bei unvorsichtiger Handhabung mit sich führte, nicht an, begaben sich nach dem Wall und luden sorgfältig die vier Geschütze mit Kartätschen.
Neugierig sahen Johnson und Michael zu.
»Ew. Gnaden können aber auch alles,« sagte der Ire, als er die geheimnisvollen Manipulationen an dem Hinterlader anstaunte, welcher auch Johnsons großes Interesse erregte, da auch diesem solch neuere Geschützkonstruktion fremd war.
»So, nun holt mir die Gewehre der Leute hierher.« Die drei machten sich ans Werk, trugen die Gewehre der Soldaten auf den Wall und lehnten sie neben den Schießscharten an die Pallisaden. Der Graf holte selbst Patronen aus dem Magazin. Auch wurde für jedes Geschütz noch eine Kartätschenladung herbeigeschafft. Dann machten sich die Männer ans Laden der Gewehre, was einige Arbeit verursachte, da es Vorderlader waren.
Heinrich winkte Michael heran und zeigte ihm, wie man ein Gewehr laden müsse. Der Ire, der in seinem Leben noch keine Flinte geladen oder abgefeuert hatte, begriff es indes rasch und förderte unter Heinrichs Aussicht die Arbeit wesentlich.
»Jetzt wird meiner Mutter Sohn auch noch schießen lernen, Ew. Gnaden,« sagte er vergnügt, »aber über meinen Shillalah geht doch nichts.«
»Unter Umständen ist er gewiß gut.«
»Welchen Vorteil,« äußerte Heinrich, »sind doch die Hinterlader; Herr Graf, mich wundert, daß man die hier noch nicht hat.«
»Werden wohl schon angefertigt sein und nur auf diesem entlegenem Platze noch fehlen.«
Johnson hatte schon früher mit demselben Interesse wie Grover Heinrichs Mausergewehr angestaunt, und war von der Vorzüglichkeit der Erfindung nicht minder überzeugt als jener.
Als sie ihr Werk vollendet hatten, überblickte der Graf dasselbe und äußerte: »Was wir tun konnten, um uns in verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen, das haben wir, wie mir scheint, getan, nun muß Gott das übrige fügen.«
Nachdem sie nun einige Augenblicke gerastet hatten, fuhr er [245] fort: »Nun, Freunde, bleibt uns noch die traurige Arbeit, diese Toten zu bestatten, laßt uns zunächst die Leichen zusammentragen.«
Michael, Heinrich und Johnson schafften mit starken Armen die Toten, welche sich innerhalb der Wälle befanden, in eine Ecke des Forts, während Graf Edgar aus dem Magazin Hacken und Schaufeln herzutrug. Dann öffnete man die nach dem Wasser führende Pforte und trug die Leiche des Kapitäns und dann der andern herein. Dreiundvierzig Tote lagen vor ihnen, als sie jetzt die in dem mörderischen Kampfe Gefallenen zählten.
»Der Kapitän soll allein ruhen, für die andern heben wir ein gemeinschaftliches Grab aus.«
Der Graf untersuchte dann die Kleider des Kapitäns und entnahm ihnen ein Notizbuch, die Uhr und einen kleinen Ring, der an seidener Schnur auf die Brust herabhing. Nicht ohne Wehmut betrachtete er das zarte Erinnerungszeichen, welches der Tote auf seinem Herzen bewahrt hatte.
Er legte alles sorgfältig beiseite.
Es wurde dann Raum abgesteckt für das Grab der Soldaten und dann daneben für das des Kapitäns.
»Ich will meines Kameraden letzte Ruhestatt bereiten, Leute, hebt ihr die Grube für die Soldaten aus.«
Johnson und Michael, an solche Arbeit gewöhnt, handhabten mächtig Hacke und Schaufel, und da der Boden leicht und weich war, wurden die Gräber in nicht allzulanger Frist hergestellt.
Man versenkte die Körper der Soldaten und schaufelte das Grab zu. Ein Gleiches geschah dann mit den sterblichen Ueberresten des Kapitäns.
Als die Grabhügel vollendet waren, nahmen die Männer die Kopfbedeckungen ab und sprachen für sich ein kurzes Gebet.
»Schlaft wohl, Kameraden,« sagte dann laut der Graf, »und Gott tröste eure Hinterbliebenen.«
Damit war die Totenfeier inmitten des einsam in den Urwäldern liegenden, von unversöhnlichen Feinden bedrohten Forts vollendet.
Während des letzten Aktes des Begräbnisses war Athoree aus dem Hause getreten und hatte schweigend zugesehen.
Er trat dann auf Graf Edgar zu, deutete auf die Leichen der Ottawas, welche noch am Walle lagen, und fragte: »Was mit roten Mann tun?«
»Was meinst du, Athoree,« entgegnete der Graf, »sollen sie in derselben Erde mit ihren Schlachtopfern ruhen?«
»Ottawa heulende Hunde, werfen in Wasser, zu gut noch, daß Skalp behalten.«
»Das war meine Meinung auch, der Grund des Sees mag die Mörder aufnehmen.«
Athoree wechselte einige Worte mit seiner Mutter, welche als wachsame Hüterin auf dem Walle umherschlich und von Zeit zu Zeit Umschau hielt, und betrachtete dann die getroffenen Verteidigungsanstalten, äußerte aber nur: »Große Büchse auch geladen?«