»Die Kanonen? Ja, sie sind bereit, Tod und Verderben auszuspeien.«
»Gut.«
Die Wassertür wurde wieder geöffnet und die Leichen der Indianer ohne weiteres jenseits des Sperrbalkens in den See geworfen, wo sie rasch untersanken.
Mehrere Stunden waren so in angestrengter, ernster Arbeit vergangen und die Männer ließen sich jetzt ermüdet neben dem Kommandantenhause an dem Tisch, an dem gestern Davis noch so glücklich und heiter gesessen hatte, nieder. Die Sergeantin kam jetzt unaufgefordert und brachte ihnen Speise und Trank, Pökelfleisch, Schinken, Zwieback, eine Flasche mit Rum und sogar aus dem Vorrat der Offiziere eine Flasche mit Wein.
Edgar dankte ihr und fragte, halb im bitteren Ernste, halb im Scherze: »Wenn wir belagert werden, Frau, so brauchen wir uns wohl wegen Mangel an Nahrungsmitteln nicht zu einer Kapitulation zu entschließen?«
»O nein, Herr, es ist genug für viele Monate von allem da.«
Während die Männer, zwischen ihnen Athoree, dem Frühstück zusprachen, begab sich die Sergeantin ins Haus hinein, um nach dem Leutnant zu sehen.
Als sie zurückkam, sagte sie zum Grafen: »Leutnant Sounders ist wach, Herr, er möchte Sie sprechen.«
Sofort begab sich Graf Edgar ins Haus. Er fand den Verwundeten bei klarem Bewußtsein.
»In welcher Lage, Herr, führt uns das Geschick zusammen,« redete er ihn an, reichte ihm die Hand und nannte ihm Namen und Stand.
»Mir ist immer noch sehr wirr zu Sinne. Sagen Sie mir nur, wie ich hierher komme, was geschehen ist?« ließ sich Sounders mit schwacher Stimme vernehmen.
Vorsichtig teilte der Graf ihm alles mit, was er selbst wußte und erlebt hatte.
[247]
Sounders, der halb aufgerichtet im Bett saß, verbarg, als in den Worten des Grafen alle Schrecken des vergangenen Tages sich aufrollten, das Haupt in den Händen.
Lange blieb er so, während der Graf, seine Gefühle respektierend, in anteilvollem Schweigen verharrte. Endlich ließ der Verwundete die Hände langsam sinken und sagte mit fast gebrochener Stimme: »Es ist viel schlimmer, als ich geahnt habe.« Dann setzte er hinzu: »Ich selbst war abwesend; als ich die Gewißheit erlangte, daß etwas gegen das Fort geplant werde, kehrte ich schleunigst mit meiner geringen Mannschaft zurück. Nachdem ich erst einige Streifpartien der Roten zurückgeschlagen hatte, wurde ich gegen abend mit starker Uebermacht angegriffen, ich selbst sank bald getroffen und bewußtlos nieder. Als ich erwachte, lag ich im Dunkel der Nacht in einem dichten Busche, der wohl verhindert hat, daß mich die Indianer fanden.
Was aus meinen armen Burschen geworden, ob einer oder der andre davongekommen ist, oder alle gefallen sind, ich weiß es nicht. Ich verband meine Wunden so gut ich konnte und schleppte mich taumelnd, fast instinktiv, nach dem Fort; oftmals sank ich auf diesem entsetzlichen Wege zusammen, mich mit aller Energie immer wieder aufraffend, bis ich endlich liegen blieb.«
Edgar sagte ihm, wie er gefunden und gerettet worden sei.
Sounders dankte gerührt.
»Aber wie steht's mit dem Fort?«
Der Graf gab ihm genaue Kunde von allem, was er getan und angeordnet hatte.
»O, es ist gut, Sie sind ein umsichtiger Soldat, Herr.« Er drückte ihm matt die Hand. »Die Hunde werden Sie angreifen - doch« - unterbrach er sich - »mein Gott, mein Gott - der Oberst auf dem Wege hierher? Der Herr sei ihm gnädig, aber die Wilden werden sich wie Wölfe auf die Ahnungslosen werfen - entsetzlich.«
Der Graf erschrak heftig.
»Erwarten Sie Oberst Schuyler so bald?«
»Heute, Sir, heute - mit der neuen Garnison und seiner Tochter.«
»Und seiner Tochter?« Edgar wurde so bleich, da Sounders nicht ohne Erstaunen fragte: »Kennen Sie sie?«
»Ich habe erst kürzlich in Lansing des Obersten und Miß Schuylers Bekanntschaft gemacht, Ja, Sie haben recht -« fügte er mit bebender Stimme hinzu, »ihnen sei Gott gnädig. Und kein Mittel, ihnen Hilfe zu bringen, sie zu warnen?«
»Ich halte es für unmöglich, daß jemand am Tage unbemerkt [248] das Fort verlassen kann, und ohne unsichtbar zu sein, wird keiner, der es versuchte, der Hand der Feinde entgehen.«
»O, armes, armes Mädchen!« murmelte Edgar leise in tiefem Schmerze.
»Ich sehe, Herr Kamerad, Sie sind erschüttert von dem Unglück, das uns betroffen hat und noch ferner droht. Es ist furchtbar, aber ich sehe kein Mittel, den Heranziehenden Hilfe zu bringen oder sie auch nur zu warnen.«
»Und Sie glauben den Oberst schon in der Nähe?«
»Den getroffenen Dispositionen nach kann er unmöglich weit sein.«
»Von welcher Richtung kommen die Truppen heran?«
»Sie marschieren den See entlang und zwar auf dessen östlichem Ufer.«
»Ich werde einige Kanonenschüsse abgeben, vielleicht daß das als Warnungszeichen aufgefaßt wird.«
»Das ist ein guter Gedanke, tun Sie es, es muß den Oberst stutzig machen, wenn er es hört, denn er weiß, daß wir hier keine Munition verschwenden.«
Edgar drückte Sounders noch die Hand und ging rasch hinaus. Die nahe Gefahr, welche den Oberst und dessen Tochter bedrohte, unter dem Messer blutdürstiger Wilden zu fallen, riefen im Grafen fieberhafte Aufregung hervor, welche durch die Unmöglichkeit, sie auch nur zu warnen, noch erhöht wurde.
Er begab sich auf den Wall und rief Athoree zu sich.
»Höre, Häuptling,« er gab ihm jetzt auch öfter diesen Titel, »es ziehen Truppen heran, welche die hiesige Garnison ablösen sollten, glaubst du, daß Peschewa sie überfallen wird?«
»Ich so denken, wenn wissen, es tun, wenn nicht wissen, er vielleicht überfallen werden.«
»Nimmst du an, daß er mit seiner ganzen Schar hier in den Wäldern liegt?«
»Nicht wissen können, nicht durch Baum sehen.«
»Der Oberst kommt mit seiner Schar, ohne Ahnung davon, daß die Ottawas die Streitaxt ausgegraben haben. Wird er heimtückisch überfallen, sind er und seine Leute sicher verloren. Könnte man sie nicht warnen, Athoree?«
»Niemand Fort verlassen, solange Sonne scheint, dort,« er wies auf den Wald, »Ottawa genug, schießen ihn tot, Botschaft nicht ankommen.«
Graf Edgar hatte einen aussichtslosen Versuch gemacht, die letzte schwache Hoffnung, von dem Indianer Hilfe zu erlangen, war erloschen.
»Nun, so sollen die Kanonen sprechen, vielleicht reden sie eine verständliche Sprache. Ich will die Geschütze abfeuern, vielleicht daß das sie warnt.«
»Das gut, große Büchse losschießen, gut, denken, ihm besser hören.«
Graf Edgar ging auf das Geschütz, welches den See beherrschte, zu und Atho-ree folgte ihm. Er hatte zum erstenmal hier im Fort eine Kanone gesehen. Der Graf richtete die Mündung höher, hieß den Indianer zur Seite treten und zog dann die Zündschnur.
Donnernd entlud sich das Geschütz und weckte ein vielfaches Echo, welches von den Ufern des Sees zurücktönte. Der sonst so eisenfeste Indianer bebte zurück bei dem so gewaltigen, durch das Echo verstärkten ehernen Laut. Fernhin sausten die Kartätschen ins Wasser und ließen es hoch aufspringen.
»Das hören,« sagte Athoree und betrachtete mit staunenden Blicken das blanke Rohr. »Große Büchse gut. Sprechen wie Manitou, wenn zornig.«
Der Graf ging den Wall entlang und feuerte nach und nach die übrigen Geschütze ab. Mit Hilfe Heinrichs brachte er die Kanonen wieder in ihre Position und lud sie von neuem.
»Wir wollen von Zeit zu Zeit einen Warnungsschuß abgeben, Heinrich, vielleicht daß er seinen Zweck bei den herannahenden Truppen erfüllt.«
In hoher Aufregung schritt er dann auf dem Walle auf und nieder, von Zeit zu Zeit einen Blick auf die See und das Ufer werfend, woher nach Sounders' Angabe der Oberst kommen mußte. Noch zweimal weckte er das Echo mit dem Hall der Geschütze. Während er wiederum angstvoll durch eine der Schießscharten lugte und jeden Augenblick das Knattern der Gewehre im Walde zu hören fürchtete, bemerkte er zwei Kanoes, welche in weiter Entfernung eilig quer über den See ruderten. Durch sein Glas gewahrte er, daß jedes mit vier Indianern bemannt war.