Der Oberst, seine Tochter im Arm haltend, blickte in das Gesicht des Redenden.
»Mein Gott - Herr Graf -« und die Besorgnis, welche auf seinen Zügen lagerte, machte einem unverhohlenen Erstaunen Platz. »Sie hier - Herr Graf?«
Ein Seufzer Frances wandte seine Aufmerksamkeit wieder dieser zu.
Schon kam die Sergeantin hervor und sagte: »Ueberlassen Sie die Lady mir, Herr,« und sie wies auf ihre Behausung.
Oberst Schuyler nahm, ohne etwas zu erwidern, seine Tochter auf den Arm und trug sie zur Wohnung des Sergeanten, wo er sie auf dem Bett der Frau niederlegte.
Er kam zurück und ging auf Edgar zu.
»Was um des Himmels willen ist hier vorgefallen, Herr Graf?«
»Es gehört Mut dazu, um die Wahrheit zu vernehmen.«
»Sagen Sie mir alles - auch das Schlimmste, ich bin wie von einem Blitz aus wolkenlosem Himmel getroffen durch die Vorgänge der letzten Stunde.«
Edgar berichtete ihm kurz die ganze gräßliche Wahrheit.
Der Ernst, der für gewöhnlich auf des Obersten Zügen lagerte, vertiefte sich, als er schweigend den Bericht anhörte.
Als der Graf geschlossen hatte, der Oberst alles wußte, ging dieser einige Male auf und ab, blieb dann wieder bei jenem stehen, reichte ihm die Hand und sagte: »Und Ihnen, mein deutscher Kamerad, verdanken wir unsre Rettung.«
»Gott sei Dank, daß es gelungen ist, ich war in tödlicher Aufregung von dem Augenblick an, wo ich wußte, daß Sie dem Fort nahten.«
»Daß mir in Sicherheit sind, verdanken wir nebst Ihnen der Vorsehung. Diese ließ uns, als ich beschlossen hatte, den Truppen voranzueilen, den Weg auf dem westlichen Ufer wählen, da nach Aussage des indianischen Führers, den ich bei mir hatte - es war
[254] der Pottawatomie, welcher die Briefe der Offiziere zwischen den Forts hin und her trug -, es weniger waldig sei als das östliche; meiner Tochter hätte ein Ritt zwischen den Bäumen doch großes Unbehagen bereitet. Ich hörte Ihre wiederholten Kanonenschüsse und es stieg, wie Sie mit Recht vorausgesetzt hatten, der Gedanke in mir auf, es sollten Warnungssignale sein. Als ich aber gewahrte, und ich konnte es deutlich gewahren, daß das Fort eine Granate nach den Kanoes der Indianer warf, ein Meisterschuß übrigens, da ward mir klar, daß die Wilden kriegerisch gegen dasselbe vorgegangen seien. In unsagbarer Angst um meine Tochter legte ich den letzten Teil des Weges zurück. Zahlreich können, die Ottawas auf diesem westlichen Ufer nicht gewesen sein, doch für uns gerade genug. Auch wären wir sicher ihre Opfer geworden, wenn Sie nicht dieses starke Feuer unterhalten hätten, das hat uns gerettet.«
»Ich danke Gott dafür.«
»Aber meine Truppen?« fuhr der Oberst mit tiefer Besorgnis fort, »ich fürchte das Schlimmste für sie, obgleich Kapitän Bla[c]kwater ein erfahrener und kaltblütiger Offizier ist. Also wieder ein Indianerkrieg? Schrecklich, schrecklich. Gott möge Kapitän Davis ein gnädiger Richter sein, aber er hat mit der Behandlung Peschewas alle schlimmen Leidenschaften dieses Volkes entfesselt und es ist gut für ihn, daß ihm die schwere Verantwortung für seine unüberlegte Handlungsweise hier auf Erden erspart bleibt. Die Indianer sind grausame, wilde Tiere, aber eine gewisse Ritterlichkeit ist ihnen nicht abzusprechen. Es war ein großer Fehler des Kriegsministers, einen jungen lebenslustigen Südstaatenmann zum Kommandanten eines dieser an der Grenze liegenden Außenforts zu machen. Also nur zwei sind von der ganzen Besatzung noch übrig?«
»Der Leutnant und der Sergeant, wenn nicht noch einige Soldaten gerettet sind, welche sich zur Zeit des Ueberfalls mit dem Leutnant außerhalb des Forts befanden.«
»Es ist ein herber Schlag für die ganze Union. Haben Sie sich aus dem, was Sie erkundeten, ein Bild machen können, wie stark die Angreifer waren?«
»Der Leutnant und der Sergeant schätzten ihre Zahl nicht höher als auf achtzig bis hundert Mann.«
»Das ist mir unerklärlich. Es kann dann nur ein Bruchteil der Ottawas in Waffen sein, denn wenn diese Krieg führen wollen, können sie achthundert bis tausend Kämpfer ins Feld stellen, und vor allem würden sie dieses Fort mit starker Macht angegriffen haben.
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Das ist mir einstweilen noch rätselhaft. Selbst die Art des Ueberfalls kann ich mir noch nicht ganz vorstellen.«
»Der Sergeant ist der einzige, der davon erzählen kann.«
»Ich kenne den alten Wood, er ist ein tüchtiger Soldat, ich werde seinen Bericht ja selbst hören. - Unter welch seltsamen Umständen kommen wir wieder zusammen, Herr Graf? Wer hätte ahnen können, daß wir so bald mitten in den Indianerkrieg hineingeraten würden, als wir so friedlich in Lansing, im Hause von Freund Myers weilten. Ihnen und Ihren wackern Begleitern danken wir es, daß das Fort nicht im Besitze der Wilden ist, daß wir noch unter den Lebenden weilen. Es soll nicht vergessen werden, Herr Graf,« und wiederum schüttelte er ihm herzlich die Hand.
Edgar stellte dem Oberst Johnson vor, dessen auffällige Erscheinung diesen wie jedermann überraschte, der ihn sah.
»Mister Johnson, der mich zufällig im Walde antraf, führte mich hierher und gehört nebst meinem Jäger Heinrich, einem Soldaten von 1870 und Träger des eisernen Kreuzes, und meinem indianischen Führer zu den Verteidigern dieses Platzes.«
»Ich bin auch Ihnen Dank schuldig, Sir,« redete ihn der Oberst freundlich an und gab ihm die Hand. »Leben Sie hier in der Nähe?«
»Ich wohne seit drei Jahren auf der Reservation der Ottawas, Colonel, in meinem Shanty.«
»Auf der Reservation?«
»Ja, Sir, wohnte früher am Kalamazoo.«
»Sie haben also Fühlung mit den Ottawas?« und des Obersten klares Auge schien bis in die Brust des Mannes dringen zu wollen.
»Nein, Colonel,« erwiderte Johnson, »sie duldeten mich nur, als ich mich unwissend innerhalb ihrer Grenzen niedergelassen hatte, und gingen mir dabei scheu aus dem Wege, da mein Aeußeres ihnen abergläubische Scheu einflößte.«
»Wie kommt Ihr vom Kalamazoo hierher, Mann?«
»Hatte Gründe, Herr,« sagte Johnson traurig.
Edgar gab dem Obersten einen Wink, der diesen veranlaßte, mit seinen Nachforschungen inne zu halten.
Er blickte in das Gesicht Johnsons und maß dessen kraftvolle Glieder mit dem Auge. »Dünkt mich, Mann, Ihr seid früh ergraut? Wie alt seid Ihr?«
»Bin vor der Zeit weiß geworden, Herr, ich zähle erst vierzig Jahre.«
Ein zweiter Wink des Grafen verhinderte den Obersten fortzufahren. [256]
»Bin Euch verpflichtet, Mann, und werde es zu vergelten suchen. - Das dort ist Ihr indianischer Führer, Herr Graf?«
»Ja, Oberst. Athoree, komm näher.« Dieser hatte mit dem Pottawatomie einige Worte getauscht und kam nun heran. »Er hat mich mit Umsicht und Treue hierher geführt und große Tapferkeit gezeigt.«
»Das freut mich zu hören, Indianer.«
Athoree neigte würdevoll das Haupt.
»Bist du ein Pottawatomie?«
»Athoree ist Wyandot.« »Wie? Ein Wyandot? Wie kommst du denn hierher?«
»Gehen jagen für weißen Mann. Hier Gutherz nehmen mit, Schwester bei Ottawas suchen.«
»Du hast also den Herrn Grafen hierher geführt?«
»So tun.«
»Du bist ein Krieger?«
»Denken so.«
»Ein Häuptling?«
»Enkel Meschepesches, des großen Panthers meines Volkes.«
»O, bist du von so vornehmer Abkunft?« fragte der Oberst, der mit der Geschichte der größeren Indianerstämme wohl vertraut war, ohne jede Ironie, denn Meschepe-sche, der Huronenhäuptling, hatte in den Kämpfen zwischen Weißen und Roten einst eine große Rolle gespielt.
»Enkel des großen Häuptlings meines Volkes.«
»Gut, Athoree ist ein Krieger und ein Häuptling, ich danke ihm, daß er meinen Freund und mich verteidigt hat. Der große Vater in Washington soll es erfahren.«
»Gut!« sagte der Indianer mit Befriedigung.