»Sie sind stammlos.«
»Sein Häuptling Peschewa auch?«
»Er ganz stammlos, nicht mehr Ottawa, nicht Häuptling. Nicht Ottawa graben Streitaxt aus - der Namenlose, ihm folgen Niake, er nicht Ottawa.«
Der Gefangene brachte dies mit bemerkbarem Nachdruck vor, es war klar, der Oberst hatte die richtige Seite berührt und der junge Wilde wollte sein Volk von dem Vorwurfe entlasten, Krieg gegen die Langmesser, wie die Indianer die amerikanischen Truppen nannten. [264] geführt zu haben, denn er ersann sich wohl der harten Züchtigung, welche seinen Stamm vor drei Jahren dezimiert hatte.
Der Oberst, welcher sich sehr viel und eingehend mit indianischer Eigenart beschäftigt hatte, begriff jetzt vollständig, welches Spiel gespielt worden war.
»Hier, Herr Graf,« sagte er zu diesem, »hier haben wir ein Stück echt indianischer Diplomatie. Dieser junge Mensch behauptet, er sei kein Ottawa, er sei stammlos, und alle seine Genossen ebenso. Merken Sie auf, so folgert der Indianer: Peschewa ist tödlich beleidigt von einem amerikanischen Offizier, er will sich rächen, kann aber oder will sein Volk nicht zu Teilnehmern seiner Handlungen machen, und scheidet deshalb aus diesem Verbande aus, er erklärt sich für stammlos. Seine Gefährten tun wie er. So führen also nicht die Ottawas Krieg gegen uns, sondern nur Herr Peschewa mit seiner Bande. Das ist echt indianische Logik.«
Er wandte sich dann wieder an den Ottawa: »Der große Vater in Washington wird nicht glauben, daß es stammlose Krieger seien, welche seine jungen Männer erschlagen haben, denn er blickt in ihr Herz, und siehe da, es ist das Herz eines Ottawas in jedem. Und er sieht in das Herz der Ottawas, welche in ihren Dörfern geblieben sind, und gewahrt, wie sie sich freuen über jeden Skalp, den die Stammlosen nehmen. Und so wird der große Vater sagen: die Ottawas sind nicht mehr meine Kinder, denn sie haben meine jungen Männer erschlagen. Er wird nicht mehr Korn schicken und Kühe und Schafe, nicht mehr Pulver und Blei, er wird seine Krieger senden und alle Ottawas töten lassen. Das danken die Ottawas euch, die ihr euch stammlos nennt.«
Es wurde jedem Zuschauer klar, daß die Worte des Obersten einen tiefen Eindruck auf den jungen Mann machten, sein Auge irrte umher und er atmete schwer.
Der Oberst gewahrte wie die andern die Wirkung seiner für den jugendlichen Ottawa klug berechneten Worte.
»Der junge Krieger hat verstanden, was ich sagte?«
Der Indianer neigte das Haupt.
»Gut wäre es, wenn ein Freund der Ottawas es dem jetzigen Häuptling ins Ohr singen wollte, denn nicht möchte ich das Volk erschlagen sehen.«
Der Indianer sah ihn aufmerksam an.
»Der große Vater in Washington wird sagen: Wenn Peschewa durch einen meiner Offiziere beleidigt worden ist, warum tötet er
[265] meine Leute, die ihm nichts zuleide getan haben? Er wird sagen: Wenn die Ottawas meine Kinder wären, so würden sie es verhindern, daß die Stammlosen meine Krieger von hinten erschlagen, und all dies sollten die Männer der Ottawas wissen, aber wer wird es in ihr Ohr singen?«
Nach einem kurzen Schweigen sagte der Ottawa: »Niake wird es tun.«
»Ich fürchte, Niake wird zu Peschewa gehen, wenn ich ihm das Tor öffne, und fortfahren, gegen uns zu kämpfen.«
Mit großer Bestimmtheit erwiderte der Indianer: »Niake wird zu Kitate gehen und in sein Ohr singen, was der große Vater in Washington denkt.«
»Das wäre sehr gut, denn den Ottawas ist er gewogen, die Stammlosen hingegen wird er am Halse aufhängen lassen. Ich werde dem jungen Krieger glauben und ihm die Tür öffnen. Will er gleich gehen?«
»Nein,« entgegnete dieser nach kurzer Ueberlegung. »Niake wird gehen, wenn es dunkel ist.«
»Gut. Ich vertraue dir. Ich will dir am Abend die Tür öffnen lassen und dann tue, was du für am vorteilhaftesten für die Ottawas hältst.«
Er ließ ihn dann zurückführen und einschließen, ohne ihn jedoch fesseln zu lassen.
Er erklärte Graf Edgar seine Unterredung mit dem Wilden. »Diese braven Leute glauben durch eine solche kindliche Fiktion die Regierung täuschen und von ernsten Schritten gegen sie abhalten zu können. Aber schon daß sie einen solchen überhaupt für nötig halten, zeigt, daß sie den Streit fürchten, wie ja auch schon das Benehmen des Kitate, von dem mir Sounders berichtet hat, angezeigt. Da also nicht das Ottawavolk bei dem Angriff beteiligt ist, sondern nur Peschewa mit seinem persönlichen Anhang, so kann die Zahl der Angreifer in der Tat nicht groß sein, und ich hoffe, daß ihnen Blackwater zu widerstehen vermag.«
»Glauben Sie, daß der junge Mann zu seinem Volke gehen wird, statt zu seiner Räuberhorde?«
»Das glaube ich sicher. Er fühlt sehr gut die Wahrheit meiner Worte und daß die Gefahr nahe liegt, daß das ganze Volk für Peschewas Tat verantwortlich gemacht werden kann. Es genügt schon, ihnen die gewährleisteten Provisionen und Geldbeiträge zu entziehen, um sie zahm zu machen, sie werden ja von der Regierung erhalten.
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Diese wird das freilich nicht tun, denn das hieße eine Rotte vor Hunger wahnsinniger Mörder auf die Ansiedelungen zu entfesseln. Es wird wohl nötig sein, einige Bataillone Reguläre hierherzusenden.«
»Aber was beginnen wir hier, Herr Oberst? Wir werden gegen einen ernstlichen Angriff das Fort nicht verteidigen können.«
»Nein, das können wir nicht. Verstehen die Feinde, Leitern herzustellen, so genügt ein Scheinangriff auf der einen, um den Feind auf andrer Stelle über die Pallisaden zu bringen. Ich denke mit Dunkelwerden den Pottawatomie hinauszusenden, daß er sich nach Blackwater umsieht und Botschaft nach Fort Jefferson bringt. Meine heimliche Befürchtung, daß auch zugleich jenes Fort angegriffen sein könnte, ist durch des Indianers Aussage vollständig geschwunden. Wir hier müssen ruhig die Dinge an uns herankommen lassen.«
Die Türe des Sergeantenhauses ging auf und Miß Schuyler erschien in derselben. Durch den Inhalt des Mantelsacks, welchen der Pottawatomie auf seinem Pferde mitgeführt hatte, war es ihr ermöglicht worden, das Reitkleid abzulegen und sich umzukleiden; sie erschien in einem einfachen dunklen Gewand, von welchem das bleiche Antlitz sehr abstach.
Ihr Vater und Edgar gingen auf sie zu.
»Ich hielt es nicht länger in dem engen Stübchen der guten Frau aus, es trieb mich, die Wälle zu sehen, welche uns vor den Feinden schützen.«
»Komm, mein Kind,« sagte der Oberst und nahm ihren Arm, »die Luft wird dir gut tun. Auch wird Frau Wood dir ein Heim im Kommandantenhause bereiten, nicht so?« wandte er sich an diese, welche hinter Frances hergekommen war.
»Ist schon geschehen, Herr Oberst, alles, was wir Gutes hatten, ist in Miß Schuylels Zimmer gebracht worden.«
Der für sie bestimmte Raum, im Giebel des Offiziershauses liegend, war von der Raubgier der Indianer verschont geblieben.
Die Zerstörung, welche deren Hand im Fort hervorgerufen hatte, war einigermaßen beseitigt worden, doch sah es noch wild genug ringsum aus, und Frances' Gesicht wurde noch eine Nuance bleicher, als sie den Blick umherschweifen ließ, doch sagte sie nichts.
Der Oberst geleitete sie nach dem Wall und ließ sie einen Blick auf den See werfen, der in seiner ruhigen Schönheit vor ihnen lag.
Lange sah Frances durch eine der Schießscharten.
Die stillen Wälder spiegelten sich in den klaren Fluten zugleich [267] mit dem unbewölkten Himmel. Wasservögel schwammen lustig auf dem See umher und neckten sich im muntern Spiele.
»Welch ein Bild des Friedens, Vater,« sagte sie, nachdem sie den Eindruck voll hatte auf sich wirken lassen.
»In der Tat, ein herrlicher Anblick.«
»Und zu denken, daß unter dieser friedlichen Stille der grause Mord lauert.« Ein Schauer überlief ihren Leib.
»Mein Herzenskind muß sich nicht solchen Gedanken hingeben; ist die Lage, in der wir uns befinden, gleich ernst, so bedrohen uns doch keine unmittelbaren Gefahren.«