»Wir stehen in der Hand Gottes, Vater.«
»Ja, Frances, und auf ihn wollen wir vertrauen, er wird die Anschläge unsrer Feinde zunichte machen.«
Sie wandte ihr Auge von dem See und sagte: »Ich will jetzt mit Hilfe der Sergeantin für deine Behaglichkeit sorgen.«
»Tue das, Kind, wir wollen nach der beschwerlichen Reise einen langen Schlaf tun.«
Er führte sie wieder hinab und sie betrat mit Frau Wood das Kommandantenhaus.
»Wir müssen nun wohl etwas Kriegsrat halten, Herr Graf, um zu erörtern, was wir in unsrer Lage tun können. Es ist geboten, die Meinung aller zu hören, welche mit uns die Gefahr teilen.«
Johnson, der Konstabel, die beiden Indianer wurden herbeigerufen und ließen sich mit dem Oberst und Edgar neben dem Offiziershause nieder, während Michael, Heinrich und Sumach auf den Wällen weilten.
»Es ist nicht zu leugnen, Männer,« begann der Oberst, »daß wir uns in einer sehr bedenklichen Lage befinden. Zwar sind Wall und Pallisaden hoch, doch nicht hoch genug, um ein Uebersteigen gänzlich zu verhindern. Greift der Feind mit Entschlossenheit an, so sind wir zu gering an Zahl, um den Angriff abwehren zu können. Ich habe leider keinen Zweifel, daß Peschewa die unter Kapitän Blackwater heranziehenden Truppen angegriffen und zurückgeworfen hat, sonst hätten wir schon von ihnen gehört; wir sind also auf uns allein angewiesen. Ich habe die Absicht, hier den Potta-watomie, sobald die Nacht hereingebrochen ist, nach Fort Jefferson zu senden, aber Hilfe von dort kann frühestens in vier Tagen hier sein. Das ist unsre Situation, und nun sagt eure Meinung, Männer, darüber, was wir tun können, um uns zu retten.«
»Colonel,« nahm nach einigem Schweigen Johnson das Wort, [268]
»ich denke nicht, daß Peschewa angesichts von sechs oder sieben guten Büchsen einen Sturm am Tage wagen wird, und nachts fechten die Indianer höchst ungern. Hat er sich mit Ihren Truppen geschlagen, so wird das nicht ohne Verluste abgegangen sein, selbst wenn er Sieger geblieben sein sollte. Alles dies läßt mich nicht an einen offenen Angriff glauben. Auch dürfte es den Roten schwer werden, Leitern zu verfertigen, und ohne diese kann Peschewa nicht stürmen.«
»Es ist sehr zu fürchten,« ließ Weller sich vernehmen, »daß die blutigen Schurken, welche ich im Namen des Gesetzes dieser Staaten verfolge, sich den Ottawas angeschlossen haben, und diese verstehen auch Leitern herzustellen. Im Notfall genügten auch junge Bäume, um die Pallisaden zu erklettern, wenn sie sich der Aeste als Sprossen bedienen. Daß sie angreifen werden, wenn sie die Soldaten zurückgeschlagen haben, ist außer allem Zweifel; sie kennen unsre Schwäche, und das Fort mit seinen reichen Schätzen an Waffen, Munition und so vielen andern Dingen, welche ihnen wert dünken, reizt sie übermächtig. Wie ich gesehen habe, sind ja zahlreiche Boote da, ich wäre dafür, diese in der Nacht zu benutzen, uns nach dem andern Ende des Sees zu begeben, und den Weg durch die Wälder zu suchen.«
»Den Gedanken habe ich auch schon gehabt,« sagte der Oberst, »aber ich halte es meiner Tochter wegen für unmöglich, in den Wäldern einer Verfolgung von seiten der Indianer zu entgehen. Selbst wir Männer hätten dazu wenig Aussicht, wenn diese leichtfüßigen Krieger auf unsrer Spur sind. Auch wissen sie, daß wir Kanoes haben, und der Gedanke, über den See zu entfliehen, liegt so nahe, daß sie sicher Vorsichtsmaßregeln getroffen haben, um unsre Flucht zu entdecken, dann haben wir sie auf den Fersen. Der See ist an einigen Stellen so schmal, daß eine Büchsenkugel dessen Mitte erreicht.«
»Was meinst du, Enkel des großen Panthers der Wyandots,« wandte sich der Oberst an Athoree, »lasse der Häuptling uns seinen Rat hören.«
Athoree erhob sich und sagte mit der ruhigen Würde, welche den meisten Indianern besonders bei Beratungen eigen ist: »Denken nicht, daß Ottawa angreifen, solange die Sonne scheint, er schon viel Leute verloren. Er gestern fechten, heute fechten, er müde, greifen nicht am Abend an; wenn er kommen, kommen am Morgen, ehe Sonne da. Das rechte Zeit, wenn fliehen in Kanoe, er bald wissen, sehr weiter Weg zu den Ansiedelungen, weiße Rose kleine Füße, sie nicht viel gehen, holen ein, nehmen Skalp von Männern, führen weiße Rose gefangen fort.« [269]
»Da wäre Tod noch besser,« murmelte erbleichend der Oberst, der wie alle wohl verstand, daß Athoree in der bilderreichen Art seines Volkes mit der weißen Rose seine Tochter bezeichnete.
»Nicht fliehen in Kanoe über See. Rose nicht gehen können, nicht verwundeter Mann gehen können.«
Der Oberst schlug sich vor die Stirn: »Wie schäme ich mich meines Egoismus, ich denke nur an mein Kind und nicht an die verwundeten Kameraden. Es ist ja kein Gedanke an Flucht möglich, wir müssen den Feind hier ruhig erwarten.«
»So tun, ja. Wenn Ottawa kommen, nicht gehen auf Wall, zu wenig Männer. Große Büchse schießen weit, nicht nah.« Er hatte wohl erkannt, daß wenn der Angreifer im Graben war, das Geschütz nicht auf ihn gerichtet werden konnte. »Warum gehen nicht in klein Haus?« er deutete auf das Haus des Sergeanten, »es sehr dick Holz, machen noch dicker. Fenster zu, Türen zu, nur Loch für Büchse. Tragen Gewehr hinein,« er deutete auf die auf dem Wall befindlichen Soldatenflinten, »Brot, Wasser, Pulver, wehren uns dort, ein Tag, zwei Tag. Nicht leicht nehmen. Warten bis Hilfe kommt. Dies alles.«
»Und wenn sie Feuer anwenden?«
»Balken schwer, nicht leicht brennen. Machen Haus naß, ganz naß, Brunnen dort.«
»Und kommt keine Hilfe? - dann?«
Athoree zuckte die Achseln: »Dann sterben - alles vorbei.«
Tiefes Schweigen herrschte nach diesen Worten unter den versammelten Männern.
Plötzlich drang leise die feierliche Weise eines Kirchenliedes in getragenen Orgeltü-nen zu dem Ohr der überrascht Aufhorchenden. Wie aus hoher Luft herabkommend, erklang fast geisterhaft der Ton.
Atemlos lauschten sie.
Jetzt einte sich die schöne Stimme Frances Schuylers mit den getragenen Accorden in der hehren Weise des 62. Psalms.
»Meine Seele harret nur auf Gott, denn er ist meine Hoffnung.
»Er ist mein Hort, meine Hilfe und mein Schutz, daß ich nicht fallen werde.
»Bei Gott ist mein Heil, meine Ehre, der Fels meiner Stärke, meine Zuversicht ist bei Gott.«
Leise verhallten die Töne der schönen, herzergreifenden Stimme, die Accorde des Harmoniums.
Die Hörer waren tief bewegt. [270]
Gleich als die feierliche Weise Händels begann, hatte der Oberst unwillkürlich die Hände gefaltet, alle Weißen folgten seinem Beispiele, auch Heinrich und Michael auf dem Walle, und nie hat eine Gemeinde andächtiger erhabenem Worte gelauscht, als die kleine Schar der hier vereinigten Männer.
Der brave Ire war so ergriffen, daß ihm die hellen Tränen in die Augen traten.
Mit tiefer Aufmerksamkeit lauschten auch die Indianer den nie vernommenen feierlichen Tönen.
Der Eindruck war so mächtig, daß keiner ein Wort fand, als Frances schon einige Zeit geschlossen hatte, bis Athoree in gedämpftem Tone fragte: »Die weiße Rose sprach mit dem großen Geist? Wie?«
»Ja, Indianer, meine Tochter rief auf zu ihm, der uns allein retten kann.«
Es dauerte eine kleine Weile, ehe sie in der Beratung fortfuhren.
»Was meint der Pottawatomie?«
»Der Wyandothäuptling großer Krieger, er ganz recht. Nicht fliehen, müssen fechten, am besten dort fechten.« Und er deutete auf das Blockhaus der Sergeanten. »Das können verteidigen, nicht Fort.«
Nach einiger Ueberlegung fanden alle, daß der Vorschlag Athorees das einzige Mittel enthielt, um die Verteidigung längere Zeit fortsetzen zu können, und man beschloß sofort ans Werk zu gehen, um das Haus in wehrfähigen Zustand zu versetzen.
Johnson, Michael und der Konstabel, welche alle drei trefflich mit der Axt umzugehen verstanden, übernahmen es, Schutzvorrichtungen gegen feindliche Kugeln herzustellen. Sie bedienten sich dazu der Dachbalken der Kaserne, und Johnsons erstaunenswerte Kraft kam ihnen hierbei trefflich zu statten. Dieser und der Konstabel zimmerten mit der Geschicklichkeit amerikanischer Waldleute für Tür und Fenster starke Befestigungen, die sie mit Schießscharten versahen. Sie verbanden die Balken noch mit eisernen Klammern, die sie im Magazin vorgefunden hatten. Heinrich und die von der Absicht, ihr Haus in eine Festung zu verwandeln, unterrichtete Sergeantin trugen Pulver, Patronen und Musketen, Wasser und Nahrungsmittel aller Art in die Behausung. Edgar nahm die Verschlüsse der Geschütze fort, ließ diese aber selbst stehen. Dann half er Heinrich beim Ueberführen von Munition und Gewehren. Den Vorrat von Kartätschenladungen ließ man liegen, die Pulverfäßchen aber wurden in das Wasser versenkt. Der Oberst ordnete überall an, griff auch mitunter selbst mit zu. [271]