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Doch Nastassia gleitet vom Trapez in Rogoschins Arme.

Vor einer riesigen roten Ikone steht eine Leiter, auf der Myschkin sitzt. Rogoschin liegt rücklings auf einer Pritsche, hört mit zunehmender Spannung der Erzählung Myschkins zu und beobachtet erregt, wie Myschkin langsam von der Leiter heruntersteigt.

Jedem meiner Augenblicke zähle ich einen fremden Augenblick zu, den Augenblick eines Menschen, den ich in mir verborgen trage zu jeder Zeit, und sein Gesicht in diesem Augenblick, das ich nie vergessen werde, mein Leben lang nicht.
(Kein Gesicht, das abends von innen reift!) Bedeckt vom Reif einer Kerkernacht und frostgrün, weht es dem Morgen entgegen, mit dem Gitter über den Augen, die doch dem Himmel einmal aufgetan waren.
Durch die kalten Gänge der Glieder verläßt den Gefangenen der Schlaf. Die Schritte des Wärters hallen in seiner Brust. Ein Schlüssel sperrt seinen Seufzern auf.
Weil er keine Worte hat, weil keiner ihn versteht, bringt man ihm Fleisch und Wein und übt Nächstenliebe an ihm. Er aber, versunken in die Zeremonien des Ankleidens, kann Wohltaten nicht begreifen, auch nichts von der Vermessenheit dessen, was befohlen ist.
Es beginnt ja ein langes Leben, wenn die Tür aufgeht und offen bleibt, wenn die Straßen in Straßen münden und das Gefälle der Stimmen des ganzen Volkes ihn hinunterträgt an die Gestade des Blutmeers, das von den verbrecherischen Gerichten der ganzen Welt mit Todesurteilen gespeist wird.
Nun ist aber eine Gemeinsamkeit zwischen uns und dem Urteil, das auch sagt, daß dieser Mann mit einem vollkommen wahren Gesicht zu der einen Wahrheit kommt, eh er den Kopf genau auf das Brett legt (obwohl sein Gesicht weiß ist und ohne Bewegung, und die Gedanken, die er denken mag, sind vielleicht ohne Bedeutung, er sieht nur den rostigen Knopf an der Jacke des Scharfrichters).
Eine Gemeinsamkeit ist auch zwischen uns und dem Verurteilten, da er uns zu überzeugen vermag, daß dem Mord, den wir bereiten, und dem Mord, der für uns bereitet wird, die Wahrheit vorangeht.
Und es liegt einer vor mir, und ich stehe vor einem mit allen Möglichkeiten zu dieser Wahrheit und mit dem Mut zu ihrem Leben und zu unserem Tode.
Doch in meiner Sterblichkeit kann ich nichts lehren und könnt'ich's, so selbst nur in dem Augenblick, von dem ich spreche, und ich hätte in diesem Augenblick nichts mehr zu sagen.

Jetzt springt Rogoschin auf und wirft Myschkin, der gegen Ende der Erzählung die unterste Sprosse erreicht hat, zu Boden. Es erklingt wieder die sehr zarte Musik. Verwandelt geht Rogoschin auf Myschkin zu, hebt ihn auf und hält ihn in den Armen. Sie tauschen ihre Kreuze.

Auf der leeren schwarzen Bühne ist in ganz dünnen, weißen Umrissen ein schloßartiges Haus aufgebaut. Durch das Haus ist eine gleichfalls weiße Ballettstange gezogen, an der Aglaja, in ein blendend weißes Tutu gekleidet, steht. Myschkin, der die Variation auf Puschkins Ballade vom armen Ritter auf der Vorderbühne mit dem Gesicht zum Publikum spricht, dreht sich zu Aglaja kein einziges Mal um, die jedes Mal, wenn der Text von der Musik — einem Ritornell — unterbrochen wird, an der Ballettstange ein kristallklares Ballettexercise vollbringt. Die Szene beginnt mit Musik.

Bürgschaft übernehm ich für einen, der auf dieser Welt lebte vor langer Zeit und als sonderbar galt, einen Ritter, aber wie nenn ich ihn heute, da's kein Verdienst ist, in Armut und nicht auf Schlössern zu leben?
Sorglos kleidete er sich in die Tage, bis einer um seine Schultern franste und ihm ein Licht auflud, in dessen Umkreis die Scham nicht geduldet war und der endliche Friede der Langmut.
Die den Krieg verdammen, sind auserwählt, zu kämpfen in diesem Licht. Sie streuen das Korn auf die toten Äcker der Welt, sie liegen in den Feuerlinien einen Sommer lang, sie binden die Garben für uns und fallen im Wind.

Aglaja wiederholt zum ersten Teil des Ritornells ihre Variation.

In der Zeit der Vorbereitung mied ich die Städte und lebte gefährlich, wie man es aus Liebe tut.
Später geriet ich in eine Abendgesellschaft und erzählte von einer Hinrichtung. So fehlte ich abermals.
Meinen ersten Tod empfing ich aus der Hand eines Gewitters und ich dachte: so hell ist die Welt und so außer sich,
wo ich die Wiesen verdunkle, schaufelt der Wind Erde über ein Kreuz, laßt mich liegen mit dem Gesicht nach unten!
Blaue Steine flogen nach mir und erweckten mich vom Tode. Sie rührten von einem Sternengesicht, das zerbrach.

Aglaja wiederholt zum ersten Teil des Ritornells ihre Variation.

Und ausgestoßen aus dem Orden der Ritter, verwiesen aus den Balladen, nehme ich einen Weg durch die Gegenwart, zu auf den Horizont, wo die zerrissenen Sonnen im Staub liegen, wo die Schattenspiele auf der unerhörten Wand des Himmels zu Verwandlungen greifen und ihr einen Stoff einbilden aus dem alten Glauben meines Kindergebets.
Wenn auch die Kränze entzwei sind, abgesprungen die Perlen, wenn der Kuß in die blauen Falten der Madonnen, abgeschmackt nach den Ekstasen so vieler Nächte, beim ersten Hauch das Licht in den Nischen löscht, trete ich aus dem schwarzen Blut der Ungläubigen in mein eignes und höre auf den Abgesang einer Geschichte, die unsre Opfer verachtet.

Aglaja wiederholt zum ersten Teil des Ritornells ihre Variation.

Mir will eine Schwäche, der Wahnsinn willkommen ist, meinen Weg vertreten und mich der Freiheit entziehn.