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»Wirklich? Na, dann hast du seltsame Vorstellungen von der Politik des Vereinigten Königreichs«, meinte Juffin kichernd. »Wen interessieren schon innere Konflikte in den Grenzgebieten? Soll sich der Dunkle Sack damit auseinandersetzen. Der langweilt sich ohnehin schon seit geraumer Zeit.«

»Welcher Sack?«, fragte ich erstaunt.

»Na, der Dunkle Sack - Graf Richiri Gatschilo Wuk, einziger Lord dieses hinterwäldlerischen Gebiets und früherer Erzieher unseres hochgeschätzten Friedenskönigs Gurig VII., ein echter Held der Vergangenheit und überhaupt eine starke Persönlichkeit. Ich muss euch irgendwann miteinander bekannt machen. Unter uns gesagt: Seine Heimat ist eine sehr hübsche Gegend. An deiner Stelle würde ich Sonderurlaub beantragen, um mir einen Eindruck von diesem Gebiet zu verschaffen.«

»Ich habe hier genug zu tun - den Magistern sei Dank«, widersprach ich entschieden. »Soll ich etwa nach dem ersten Abendessen im Juffins Dutzend die Stadt verlassen? Niemals!«

»Interessant, wohin es dich wieder mal verschlagen hat! Hat dich Sir Kofa etwa dorthin geschleppt?«

»Sie jedenfalls nicht! Warum besuchen Sie dieses Wirtshaus eigentlich nicht? Dort haben Sie doch einen eigenen Tisch. Ich an Ihrer Stelle würde

»Das kann ich mir nur zu gut vorstellen«, unterbrach mich Juffin spöttisch. Dann lächelte er breit und sagte: »Um ehrlich zu sein, meide ich dieses Lokal, um nicht die Hälfte oder mehr von Mochis Kundschaft zu verscheuchen. Seine Gäste blicken etwas enttäuscht zu meinem Platz herüber, freuen sich aber doch, dass er leer ist.«

»Warum das denn?«, fragte ich naiv.

»Weil ich ein schrecklicher Mensch bin«, sagte Juffin und zog dabei eine wüste Grimasse, die ihm ausgesprochen gut gelang. Dann machte er wieder ein normales Gesicht und zuckte die Achseln.

»Natürlich bin ich sehr nett, aber in dieser Welt gibt es nur wenige, die in das größte Geheimnis eingeweiht sind. In Mochis Wirtshaus verkehren fast nur Menschen, die im Einklang mit dem Gesetz leben und die Gesellschaft von Sir Kofa deshalb gern und vollauf genießen. Und meine Wenigkeit mit ihrer dunklen Vergangenheit trägt ganz und gar nicht dazu bei, dass die Besucher sich bei Mochi wohl fühlen.«

»Zu meinem persönlichen Wohlgefühl tragen Sie ungemein viel bei«, seufzte ich schmeichlerisch. »Sie haben also nicht vor, mit mir dorthin zu gehen?«

»Jedenfalls nicht heute. Sieh mich bitte nicht so erschrocken an, Max. Ich muss ein spannendes Verhör mit einem älteren Romantiker beenden, der in den letzten dreihundert Jahren mehrfach versucht hat, den Großen Magister Nuflin Moni Mach zu töten. Für mein Empfinden ist das ein klarer Beweis dafür, dass er in die nächste Psychiatrie gehört. Aber Nuflin war wirklich erschrocken und hat mich gebeten, mich dieses Falls persönlich anzunehmen. Zudem will ich meinem Landsmann nicht das Geschäft verderben. Dieser Mochi ist ein sehr ungewöhnlicher Mensch.«

»Genau darum geht es.«

»Ich hatte nie bezweifelt, dass du das einschätzen kannst. Also nimm's mir nicht krumm, Max. Außerdem bin ich nicht der Einzige, dessen Anwesenheit dir Freude macht.«

»Was meine Freundin Techi anlangt, habe ich den starken Verdacht, dass nicht Lojso Pondochwa ihr leiblicher Vater ist, sondern Sie, denn eure Seelenverwandtschaft macht mich stutzig. Auch sie sagt gern »Jedenfalls nicht heute«, wenn ich vorschlage, in eine nette Kneipe zu gehen.«

»Sei froh, dass es sich nur um Kneipenbesuche handelt«, kicherte Juffin. »Na schön, Max - mach jetzt, was du willst. Ich bleib noch zwei Stunden. Dann musst du wieder auftauchen. So stelle ich es mir jedenfalls vor.«

»Eine sehr originelle Idee!«, meinte ich kopfschüttelnd.

»Also geh essen und störe die arbeitende Bevölkerung nicht länger«, sagte mein Chef mit Nachdruck.

Allein, doch hoch erhobenen Hauptes machte ich mich auf den Weg in mein neues Stammlokal. Weil ich in Echo viele Freunde und Kollegen hatte, war ich fast nie allein unterwegs und hatte - was das anging - inzwischen einiges nachzuholen. Und wer wusste schon, wann das Schicksal mir wieder das kostbare Geschenk machen würde, allein sein zu können.

Beinahe hätte ich den Weg verfehlt, aber dann gelang es mir doch noch, mich im Gewirr der Gassen zu orientieren und Juffins Dutzend zu finden. Dabei half mir vor allem der verführerische Duft, den ich schon von weitem erkannte.

»Jetzt weiß ich, dass es Ihnen bei mir gefällt«, fuhr Mochi Fa mich an.

Er musterte mich so vorwurfsvoll, als hätte ich der Menschheit seit meinem letzten Besuch in seinem Lokal etwas Schreckliches angetan. Schuldbewusst zuckte ich zusammen, setzte mich auf den nächsten freien Platz und hoffte, nicht aus dem Gasthaus geworfen zu werden.

Diesmal gelang es mir, eine Expedition in die Wunderwelt der tolanischen Küche abzulehnen, und ich bestellte das von Sir Kofa gepriesene Kushi auf kumanische Art.

»Möchten Sie die Kamra auch heute wieder vor dem Essen?«, fragte mich Mochi spöttisch.

»Selbstverständlich - und nach dem Essen auch.«

Kaum war ich wieder allein, sah ich mich um. Das Wirtshaus war fast leer - natürlich kamen die Stammgäste eher spät am Abend. Aber an einem der weiter entfernten Tische saß der Mann, der mir schon am Vortag aufgefallen war und den selbst Sir Kofa nicht hatte identifizieren können. Ich erkannte ihn an Lochimantel und Brille - der gleichen, die auch Mochi Fa trug. Ich spürte Sympathie für den Unbekannten, weil auch er dieses Wirtshaus ins Herz geschlossen hatte.

Ich bekam meine Kamra, rauchte genüsslich eine Zigarette und stellte mich darauf ein, lange auf mein Essen warten zu müssen. Aber hier erfüllte mich selbst das Warten mit sinnlichem Behagen. Mich befiel die wohlige Trägheit, die nur Besucher guter Restaurants kennen. Allenfalls bereute ich ein wenig, keine Zeitung dabeizuhaben.

»Guten Abend, Sir Max. Wie ich sehe, kennen auch Sie dieses Wirtshaus.«

Ein groß gewachsener, gut aussehender Mann im schwarzen Lochimantel begrüßte mich freundlich vom Eingang her und trat an meinen Tisch.

»Sir Rogro!«, rief ich erstaunt. »Ich freue mich, Sie hier zu treffen, und muss sagen, dass Sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis haben.«

»Sie haben mich ja auch nicht vergessen«, entgegnete der Besitzer und Chefredakteur der Königlichen Stimme, der auch anonymer Mehrheitsaktionär beim Trubel von Echo war.

Wir waren uns so gut wie unbekannt, da wir uns nur ein paar Mal flüchtig begegnet waren, doch Melamori hatte mir seine Biografie in aller Ausführlichkeit geschildert, vor allem, was seine stürmische Jugend anging, die mir den groß gewachsenen Intellektuellen sehr sympathisch gemacht hatte.

»Ich dachte gerade, es wäre eigentlich nicht schlecht, eine Zeitung dabeizuhaben«, sagte ich lächelnd zu ihm.

»Was dieses Lokal anlangt, haben Sie völlig Recht. Hier wartet man nämlich lange aufs Essen«, pflichtete der Pressezar mir bei.

»Setzen Sie sich doch zu mir«, schlug ich vor. »Sofern Sie nichts anderes Vorhaben, versteht sich.«

»Stellen Sie sich vor: Ich habe nichts anderes vor. Eigentlich hatte ich erwartet, allein zu essen, da ich sehr früh dran bin. In Juffins Dutzend gleich nach Sonnenuntergang einzukehren, ist eine ziemlich dumme Idee, aber was bleibt mir übrig? Wenn ich nicht vor Mitternacht in der Redaktion erscheine, bricht alles zusammen. Kennen Sie das?«

»Natürlich. Ich erlebe Nacht für Nacht nichts anderes - mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass sich ohne mich rein gar nichts bewegt.«

»Sie Glücklicher, Max! Ohne mich bricht alles zusammen - davon habe ich mich schon mehrmals überzeugen müssen.«

Mochi Fa trat zu uns, wünschte dem Neuankömmling etwas, das nach »Guten Abend!« klang, gab ihm eine umfangreiche Speisekarte und verschwand.

»Wie geht es meinem Protege?«, fragte ich vorsichtig. »Ich hoffe, Sie nehmen mir nicht übel, dass ich Ihnen einen neuen Mitarbeiter vermittelt habe.«

»Sie meinen Ande Pu? Nein, nein - ich bin sehr zufrieden mit ihm, denn seine Anwesenheit traumatisiert die übrigen Angestellten. Leider taucht er recht selten am Arbeitsplatz auf. Immerhin kann er aber sehr gut schreiben.« Rogro hielt kurz inne und fuhr dann flüsternd fort: »Das wollte ich Sie schon lange fragen: Im Frühling letzten Jahres ist Ande Pu mit Ihnen in den Wald von Mahagon gefahren. Danach hat er ein paar wirklich sensationell gute Artikel verfasst, in denen er vor allem von seinen eigenen Erfolgen berichtet hat - hat er das wirklich selbst erlebt?«