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Simon R. Green

WÄCHTER DER MENSCHHEIT

Kapitel Eins

Alles bis auf eine Weintraube

Es begann wie eine ganz alltägliche Mission. Ein gewisser Sehr Wichtiger Politiker, dessen Name und Gesicht Ihnen nicht fremd wären, war - sehr heimlich - in die Harley Street in London gekommen, Heimat einer der fachkundigsten - und zweifelsohne einer der teuersten - Stellen für medizinische Spezialbehandlungen der gesamten zivilisierten Welt. Dieser Politiker, lassen Sie ihn uns Mr. President nennen - und nein, nicht der, an den Sie jetzt denken -, hatte sich unter fremdem Namen ein Zimmer im Hospiz Saint Baphomet reservieren lassen, nachdem er sich auf einer Goodwilltour durch Thailand eine übernatürliche Geschlechtskrankheit zugezogen hatte. Er war so dumm gewesen, das Halsband mit der Leine seines Hundeführers abzustreifen und in den Bars der Seitengassen Bangkoks ein bisschen Spaß zu suchen, und hatte so viel Pech gehabt, zu guter Letzt eine Agentin der Dunkelheit, die sich als Ladydingsda verkleidet hatte, zu bumsen. Als Folge davon war Mr. President jetzt sehr hochschwanger mit etwas, was das genaue Gegenteil eines Kinds der Liebe war. Es war angeordnet worden, diese unnatürliche Schwangerschaft gnadenlos und ohne Rücksicht auf den Sprössling zu beenden. Er sollte nicht geboren werden, oder wenn doch geboren, dann nicht frei in der materiellen Welt herumlaufen gelassen werden.

Man hatte mich mit einer Waffe ausgestattet, und man erwartete von mir, dass ich sie benutzte.

(Wie wir das herausgefunden haben? Meine Familie weiß alles. Das ist ihre Aufgabe. Und wenn man so viele Jahrhunderte wie wir auf der guten Seite gekämpft hat, dann ist es unvermeidlich, dass ein weit reichendes Netzwerk von Informanten und Spitzeln entsteht.)

Ich schlenderte, gut sichtbar versteckt, lässig die Harley Street hinunter. Niemand sah zweimal nach mir; niemand tut das je. Ich bin dazu ausgebildet worden, mit der Menge zu verschmelzen, nur ein weiteres Gesicht darin zu sein. Ich trug einen schön anonymen dreiteiligen Anzug, teuer genug, um zur Gegend zu passen, aber nicht elegant genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich schritt die Harley Street entlang, als ob ich alles Recht hätte, dort zu sein, weshalb alle anderen einfach annahmen, dass ich das auch hatte. Es ist alles eine Frage der Haltung, ehrlich. Mit der richtigen Haltung kann man sich überall einfügen. Es hilft, dass ich die Art von Gesicht habe, die einen immer an jemand anders erinnert: durchschnittlich, angenehm, nichts, was einem hinterher noch Kopfzerbrechen bereitet. Das Gesicht eines Agenten.

Es ist alles eine Frage der Ausbildung. Auch Sie könnten lernen, wie niemand Besonderes auszusehen, wenn Sie es wollten.

Es war das träge Ende eines Sommernachmittags in London. Angenehm warm unter einem blassblauen Himmel und nur der Hauch einer Brise. Im Hintergrund brauste der Verkehr vorbei, aber die Straße selbst war relativ still und ruhig. Es gab Taxis, die gedrungenen schwarzen Londoner Taxis, die Leute absetzten und mitnahmen, Männer und Frauen sämtlicher Nationalitäten, die sich geflissentlich um ihre eigenen Dinge kümmerten. Und einen großen Prozentsatz, der weder Männer noch Frauen noch etwas in der Art war. Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele Monster Tag für Tag vor aller Augen offen herumspazieren, vor den Blicken reiner Sterblicher nur durch die oberflächlichste Illusion verborgen. Aber ich bin ein Drood, und ich trage den goldenen Torques um meinen Hals, und deshalb kann ich den Blick benutzen, um alles zu sehen, solange ich es aushalten kann.

Nur ein paar Schritte weiter weg stieg ein Elbenlord, ein Angehöriger einer der zahlreichen Elfenrassen, aus einem Taxi, groß und königlich anzuschauen in seinen leuchtenden Gewändern. Er hatte spitze Ohren, völlig schwarze Augen und einen Ausdruck äußerster Verachtung für die ganze Menschheit in seinem Gesicht. Er zahlte den Taxifahrer mit einer Banknote von hohem Nennwert aus und wies das Wechselgeld mit einer Gebärde aristokratischer Geringschätzung zurück. Der Fahrer wäre gut beraten, diese Banknote schnell bei einer Bank einzuzahlen, bevor sie mit Kalteisen in Berührung kam und sich in ein Blatt oder so was zurückverwandelte. Elben leben, um die Menschheit übers Ohr zu hauen; es ist alles, was ihnen noch geblieben ist.

Überall auf der Straße gingen Geister in Wände oder kamen aus ihnen heraus, Wände, die zu ihren Lebzeiten noch nicht da gewesen waren, gefangen in ihrer Wiederholung wie Insekten in Bernstein. Echos in der Zeit. Dämonen ritten ungeahnt auf den Rücken von Leuten, gruben ihnen die gespornten Fersen tief in Schultern und Rückenmuskeln und flüsterten ihren Reittieren in die Ohren. Man konnte immer sagen, welche Reittiere auf sie hörten, denn deren Dämonen waren fett und aufgebläht. Ein Mann hatte einen beginnenden Heiligenschein; er begleitete einen Freund mit Stigmata. Es sind Momente wie dieser, die einem Hoffnung geben. Ein Alien mit grauer Haut und großen schwarzen Augen erschien aus dem Nichts, die dreifingrige Hand um eine London A-Z gekrallt. Der Ruf der Harley Street reicht weiter, als man denkt.

Keiner von ihnen beachtete mich im Geringsten. Ich habe es Ihnen ja gesagt - ich bin ausgebildet worden.

Es gibt Zeiten, da frage ich mich, ob es nicht nett wäre, ein normales Leben zu führen, mit nur normalen Sorgen und Verantwortungen, und nicht all die Dinge wissen zu müssen, die ich weiß. Nicht all die Dunkelheit auf der Welt sehen zu müssen. Eins der Schafe zu sein und nicht der Schäfer. Aber andererseits kriege ich mit, was wirklich läuft und wer die wirklich bösen Typen sind, und ich darf ihnen regelmäßig in die widerlichen Ärsche treten. Was viel wettmacht.

Die Harley Street besteht noch immer größtenteils aus langen georgianischen Häuserzeilen mit kostspielig langweiligen, anonymen Fassaden. Namen sind kaum welche zu sehen; entweder weiß man, wohin man geht, oder man gehört nicht hierher. Die schweren, insgeheim verstärkten Türen öffnen sich beim Ertönen des Summers nur, wenn man die richtigen Worte zu sagen weiß, durch keins der Fenster lässt sich ins Innere sehen; und viele dieser ehrwürdigen Einrichtungen werden auf Arten bewacht und beschützt, über die man gar nicht erst nachdenken will.

Das waren die, für die ich mich interessierte.

Ich studierte das Hospiz des Heiligen Baphomet aus sicherer Entfernung, während ich scheinbar in mein Handy lauschte. Fabelhafte Dinger, die perfekte Entschuldigung, um mit ausdrucksloser Miene einfach in der Gegend herumzustehen. Es war zwecklos, sich dem Vordereingang des Hospizes auch nur zu nähern: Ich konnte Schicht auf Schicht von Verteidigungsanlagen ausmachen, die zum richtig harten Kern gehörten. Die Art, die nicht einmal eine Leiche zum Identifizieren übrig lässt. Stellen Sie sich übergroße magische Fußangeln mit echt großen Zähnen und einem eingebauten Hang zur Gemeinheit vor. Die Art von Verteidigungsanlagen, die man um ein Krankenhaus herum, das auf bizarre und schreckliche Krankheiten spezialisiert ist, erwarten würde; die Art, von der man wirklich nicht will, dass der Rest der Welt davon erfährt.

Also entschied ich mich dafür, in das Gebäude neben Saint Baphomet einzubrechen, einer kleineren und noch spezialisierteren Praxis, Dr. Dee & Söhne & Söhne. Sie beschäftigten sich strikt mit Exorzismen - sehr strikt, nach allem, was man hörte. (Ihr Motto: Wir machen ihnen die Hölle heiß.) Ihre Verteidigungsanlagen waren genau so stark, aber mehr darauf ausgerichtet, Dinge drinnen zu halten als Leute draußen, aus dem völlig logischen Grund, dass nur ein Wahnsinniger hineinwollen würde. Die meisten Leute mussten hineingeschleift werden und traten dabei die ganze Zeit schreiend um sich. Aber andererseits bin ich nicht die meisten Leute. Ich steckte mein Handy weg und blickte die Straße hoch und runter, aber wie immer waren alle anderen viel zu sehr in ihre eigenen wichtigen Geschäfte vertieft, als dass sie Interesse für einen Niemand wie mich hätten erübrigen können. Also schlüpfte ich einfach in die schmale verlassene Gasse neben Dr. Dee und aktivierte meine lebende Rüstung.