Er brauchte nicht mehr zu sagen; James und ich stürmten bereits mit voller Geschwindigkeit hinter ihm her. James hatte jetzt ebenfalls in jeder Hand eine Pistole. Und alles, was ich hatte, war mein Nadelrevolver. Ich zog ihn nicht; ich war mir ziemlich sicher, dass gefrorenes Weihwasser diesmal nicht genug sein würde. Das Herz war die Quelle der Macht der Familie. Seine gespeicherte Energie machte all unsere Zauber und Superwissenschaften möglich, einschließlich der lebenden Rüstung, auf die wir alle angewiesen waren. Aber das Sanktum, der große Raum, der das Herz enthält, war der mit Abstand am besten verteidigte und beschützte Teil des Herrenhauses. Er sollte eigentlich unverletzlich, unantastbar sein. Ein direkter Angriff auf das Herrenhaus war selten genug; ein Angriff auf das Herz war noch nie da gewesen, war undenkbar.
James und ich rannten weiter, stürmten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch Gang um Gang, wobei wir beide regelmäßig atmeten, wie man es uns beigebracht hatte, damit uns nicht die Luft ausging. Immer mehr Familienmitglieder kamen von überall her angerannt und stießen zu uns, Männer und Frauen mit schockierten, angespannten Gesichtern und allen möglichen Waffen in der Hand. Junge und Alte, Kämpfer und Forscher und sogar diensthabendes Personal; Leute, die eigentlich nie hätten gebraucht werden dürfen, in Anbetracht der garantierten Sicherheit des Herrenhauses.
Wir näherten uns jetzt dem Sanktum im Zentrum des Herrenhauses von allen Seiten. Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Es lag ein Druck, eine Präsenz in der Luft, wie der kalte Schatten eines Ortes, wo schlimme Dinge geschehen waren. Etwas Großes ist im Anmarsch, so hatte der alte Jacob gesagt. Etwas Großes … Etwas Schlimmes. Und es war nahe jetzt. Sehr nahe.
Onkel James und ich holten den Seneschall ein, als er gerade durch die große Doppeltür ins Sanktum platzte, und da war das Herz: Ein einzelner, riesiger Diamant, der wie die Sonne strahlte, so groß, dass er das gewaltige Zimmer ausfüllte, das die Familie zu seiner Aufbewahrung und zu seinem Schutz errichtet hatte. Ein Diamant größer als ein Bus, eine Million Facetten so schimmernd und gleißend, dass keiner von uns ihren direkten Anblick aushalten konnte. Der Raum war erfüllt von seinem Licht, und das Sanktum zu betreten war, als stürze man sich in eiskaltes Wasser. Es nahm einem den Atem, es war wie ein Schock für die Seele. Das Herz loderte mit einem jenseitigen Licht, das die Macht, die die Arbeit unserer Familie ermöglichte, bewahrte und nutzbar machte. Ein Licht oder eine Energie, eine Wissenschaft oder eine Zauberei - auch nach all den Jahrhunderten, die es bei uns war, waren wir seinem Verständnis nicht näher gekommen.
Das Herz war von mächtigen Schutzvorrichtungen umgeben. Ich konnte sie spüren, als ich mich ins Sanktum drängte, wie sie auf die schimmernde Luft einhämmerten. Manche aus der Familie konnten sich nicht einmal dazu bringen, den Raum zu betreten. Doch noch immer kreischten die Glocken und Sirenen und riefen die Familie herbei, um das Herz gegen einen Angriff von jemand oder etwas unglaublich Mächtigem zu verteidigen. Nur die schrecklichsten unserer Feinde würden es wagen, einen so unverfrorenen Überfall zu starten. Langsam umkreiste ich den gigantischen Diamanten, einen Arm vor den Augen, um mich vor der überwältigenden Grelle zu schützen. Das Licht schien sich direkt durch mein schwaches Fleisch zu brennen, wie ein Röntgenstrahl. James war bei mir und der Seneschall, und ich fühlte es ebenso, wie ich es sah, wie andere Familienmitglieder sich langsam um das Herz herumbewegten und verzweifelt nach irgendeiner Spur des Feindes suchten.
Mein Nadelrevolver lag jetzt doch in meiner Hand. Ich hatte nicht viel Vertrauen darin, aber allein sein Vorhandensein gab mir ein besseres Gefühl. Ich hatte nicht hochgerüstet; keiner von uns hatte das. Wir dachten alle immer noch im Sinne von Bedrohungen für die Sicherheit des Herzens. Dass wir in Gefahr sein könnten, dieser Gedanke kam uns nicht einmal. Dies war das Herrenhaus, und wir waren hier immer sicher gewesen.
Ich spürte, wie sich etwas näherte, aus einer Richtung, die ich wahrnehmen, aber nicht benennen konnte. Es war eine Präsenz, etwas derart Ungeheures und Fremdartiges und völlig anderes, dass seine schreckliche Natur tatsächlich das Herz verfinsterte und überwältigte. Es kam näher und näher, strengte sich bis zum Äußersten an, im Inneren des Sanktums zu materialisieren, versuchte sich aus irgendeiner anderen Dimension der Realität gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Es schien sich aus allen Richtungen gleichzeitig an uns heranzuarbeiten, und die bloße Empfindung davon war wie Scheiße, die über meine Seele geschmiert wurde. Wie ein Berg von Maden oder das Lächeln, dass die Rasierklinge hinterlässt, wenn sie durch das Handgelenk des Selbstmörders schneidet. Es war über uns, und es hasste uns, einfach weil wir Menschen waren.
Die holzvertäfelte Wand links von mir knarrte laut, als sie sich nach innen wölbte und das alte Holz sich unglaublich dehnte, aus der Form gezwungen von einem unsagbaren Druck von außerhalb unserer dreidimensionalen Wirklichkeit. Der Fußboden hob sich in seiner Mitte wie ein monströses Geschwür, und die Decke beulte sich nach unten. Sämtliche Wände ächzten und knarrten jetzt protestierend, verformten sich nach innen auf das Herz zu. Etwas erzwang sich seinen Weg ins Sanktum, aus irgendeiner höheren oder niedrigeren Dimension, von irgendeinem Ort, den zu verstehen wir nicht einmal hoffen durften. Und eine nach der anderen zersprangen all die vielen Schichten der Schutzvorrichtungen, die die Familie um das Herz herum errichtet hatte, und flogen auseinander wie billige Feuerwerkskörper.
Inzwischen waren Familienzauberer im Raum, scharten sich um das Herz, leierten Zaubersprüche und schwenkten uralte Talismane und versuchten, neue Verteidigungsparameter aufzustellen. Direkt neben ihnen arbeiteten Familienwissenschaftler, bedienten esoterische Konstruktionen bizarrer Technologie, von denen manche aussahen, als ob sie geradewegs aus den Versuchslaboren hergeschleppt worden seien. Alle Arten von Energiefeldern knisterten in der Luft, aber noch immer umgab uns die furchtbare Präsenz und stieg von überall her zugleich auf uns herab.
Und schließlich brach es durch. Etwas war plötzlich einfach da im Raum bei uns - oder vielmehr, Nichts war da. Da war eine Lücke, eine Abwesenheit, eine entsetzliche Leere, die einfach vor dem Herzen in der Luft hing. Ich konnte sie nicht sehen oder hören, aber ich konnte sie spüren auf einer Ebene, die nichts mit Sinnen zu tun hatte. Es war, als ob irgendein schrecklich altes, vielleicht sogar vormenschliches Stück meines Selbst sie wiedererkannte. Ein Mahlstrom des Geistes; ein Loch in der Realität selbst. Es pulsierte wie ein großes, bösartiges Herz, und dann streckte es sich aus und saugte den Familienmitgliedern, die ihm am nächsten waren, einfach das Fleisch vom Leib.
Innerhalb eines Moments verloren wir ein Dutzend Männer und Frauen, denen Haut und Fleisch von den Knochen gerissen wurden; ganze Organe flogen durch die Luft und in die Leere, um einen Körper zu erschaffen, ihr Aussehen und Form in dieser Welt zu geben. Der blutige Brei aus Organen und Muskeln klatschte zusammen, Fleisch knallte auf Fleisch, baute einen Körper, dessen Gestalt keinen Sinn ergab, um das furchtbare Wesen unterzubringen und zu beherbergen, das sich vom Draußen gewaltsam Einlass verschafft hatte. Blutige Knochen lagen über den Boden verstreut, verschmäht, zusammen mit einem Dutzend goldener Torques. Überall waren Leute am Würgen und Kotzen, während sie gleichzeitig zurückwichen.
»Rüstung hoch!«, brüllte James. »Alle! Sofort!«
Wir sprachen alle innerlich die Worte, und lebende Rüstung umhüllte uns, golden und prächtig, und riegelte uns hermetisch vor dem Sog der Leere ab. Zum ersten Mal fühlte ich mich wieder geistig gesund und menschlich, eines klaren Gedankens fähig, mein Geist nicht länger besudelt von der Anwesenheit des Wesens vor uns. Wo die Leere gewesen war, hatte eine gewaltige neue Kreatur Gestalt angenommen. Sie sah aus, als ob sie aus Krebsgeschwülsten bestünde, wie Form gewordene, boshafte Krankheit und Tod. Sie war scharlach- und purpurrot mit hervorquellenden dunklen Adern, und sie glänzte nass. Ungleichmäßige Reihen menschlicher Augen starrten reglos aus einer schwammigen Substanz, die vielleicht als Gesicht gedacht sein mochte. Sie ragte bis zur gewölbten Decke empor, groß wie zehn Männer; so etwas Ähnliches wie Gliedmaßen ging strahlenförmig von ihrer zentralen Masse aus, aber Form und Dimensionen und Attribute des Wesens ergaben überhaupt keinen Sinn. Ich merkte, wie seine Aufmerksamkeit sich von der Familie ab- und dem Herzen zuwendete, und ich spürte eine schreckliche Gefühlswallung in der Gestalt, die Wut oder Hunger oder das Bedürfnis zu schänden sein mochte. Sie bewegte sich auf das Herz zu, wogte vorwärts wie eine Schnecke, und das Licht des großen Diamanten schien zu flackern und abzunehmen, nur durch die Nähe des Wesens.