»Niemand sonst soll wissen, was das hier ist«, sagte der Waffenschmied leise. »Es befindet sich unter einem Codenamen hier. Ich wollte aber, dass es jemand weiß. Jemand, dem ich vertraue.«
»Nicht Alexandra?«, fragte ich ebenso leise.
»Die Matriarchin hat ausdrücklich befohlen, ihr nichts davon zu erzählen. Der Waffenschmiedin in Ausbildung nichts davon zu erzählen? Was sagt dir das?«
»Sie denkt, dass es innerhalb der Familie einen Verräter gibt, Onkel Jack. Und da ist sie nicht die Einzige …«
»Einen Verräter? In der Familie? Großer Gott, wie weit ist es mit uns gekommen?« Der Waffenschmied schüttelte langsam den Kopf. »Es gab eine Zeit, da hätte ich gesagt, so etwas ist undenkbar. Aber jetzt … Ich weiß es einfach nicht mehr.«
»Kennst du meinen Auftrag?«, fragte ich. »Was ich bei mir trage und wohin ich es bringen muss?«
»Natürlich! Allerdings bin ich einer der Wenigen, die Bescheid wissen. Leg es zurück, Eddie! Es hätte gar nicht erst hierhergebracht werden dürfen.«
»Du hast nicht danach verlangt?«
»Teufel auch, nein! Das war wieder der Befehl der Matriarchin!«
»Diese Öffnung des Kodex«, sagte ich bedächtig. »Könnte sie mit den jüngsten Angriffen aufs Herrenhaus in Verbindung stehen? Und aufs Herz?«
Der Waffenschmied wandte den Blick ab und ließ die Schultern noch mehr als sonst hängen. Und zum ersten Mal klang er … alt. »Ich weiß es nicht, Eddie. Niemand erzählt mir mehr was.«
Kapitel Sieben
Höllenhunde auf meiner Spur
Im Leben jedes Frontagenten gibt es Momente, wo er überzeugt ist, dass seine Tarnung aufgeflogen ist und die Augen der Welt plötzlich auf ihn gerichtet sind. Normalerweise, weil jemand auf ihn schießt. Dieses Gefühl hatte ich von dem Augenblick an, seit ich das Herrenhaus und seine vielen Schutzvorrichtungen hinter mir gelassen hatte. Mit der Seele Albions in ihrem mit Blei ausgekleideten Behältnis in meinem Armaturenbrettfach kam ich mir vor, als ob mir jemand eine Zielscheibe auf den Wagen gepinselt hätte und vielleicht noch ein blinkendes Neonschild mit der Aufschrift: Beklaut diesen Idioten jetzt! Ich lenkte den Hirondel zurück über die gewundenen Landsträßchen und wieder auf richtige Straßen. Kühe im Feld sahen mir beim Vorbeifahren zu und folgten mir mit ihren Köpfen, als ob selbst sie wüssten, was ich mit mir führte. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie etwas derart Wichtiges befördert. Es fühlte sich an, als ob noch jemand anderes im Auto bei mir sei. Weiler wichen kleinen Dörfern, die ihrerseits Marktflecken Platz machten, und bald darauf war ich wieder auf der M4 und in südlicher Richtung nach Stonehenge unterwegs.
Der Nachmittag war angenehm warm und die Brise, die mir das Haar zerzauste, erfrischend kühl. Es gibt viel, was für ein Cabrio spricht. Für einen Sommernachmittag herrschte nicht viel Verkehr, und ich fuhr so vor mich hin und hörte mir dabei eine Mary-Hopkin-Zusammenstellung im CD-Spieler an. Ich war seit Jahren nicht mehr in Stonehenge gewesen, das letzte Mal im Rahmen einer organisierten Klassenfahrt. Anscheinend war der historische Steinring inzwischen hinter Einfassungszäunen und Stacheldraht abgeschottet, um das Publikum in respektvoller Entfernung von so einem wichtigen nationalen Denkmal zu halten. (Gar nicht so unvernünftig; in viktorianischen Zeiten hatten sie einem auf dem Weg hinein Hammer und Meißel verkauft, damit man sich selbst sein Andenken zum Mitnachhausenehmen raushauen konnte.) Trotzdem bezweifelte ich, dass sie etwas hatten, was mich draußen halten könnte. Und niemand sieht mich, es sei denn, ich will gesehen werden, wissen Sie noch?
Plötzlich fiel mir auf, dass mir schon eine ganze Zeit lang kein Auto mehr entgegengekommen war. Vor mir war kein Verkehr, und ein schneller Blick in den Rückspiegel bestätigte, dass auch nichts hinter mir war, so weit ich sehen konnte. Es sah so aus, als hätte ich das ganze Stück Autobahn für mich allein. Und die Chancen, dass das um diese Tageszeit oder auf so einer viel befahrenen Strecke der Fall war, waren … fantastisch gering. Ich stellte den CD-Spieler ab und trommelte mit den Fingern nachdenklich auf dem Lenkrad herum. Ich wurde in einen Hinterhalt gelockt.
Die Frage war: Waren sie bloß hinter einem Drood-Agenten her oder wusste jemand, was ich transportierte?
Ich sprach innerlich die Worte, und binnen eines Moments umhüllte mich das lebende Metall und beschirmte mich hinter meiner goldenen Rüstung vor aller Gefahr. Ich vergewisserte mich, dass der Repetiercolt ausreichend locker in seinem Schulterhalfter unter der Rüstung steckte, und blickte um mich. Immer noch nichts vor mir und nichts hinter mir und zu beiden Seiten der Straße, nur leere Felder. Plötzlich plärrte im Wageninneren ein Alarm los, der mich zusammenzucken ließ, und auf meinem Armaturenbrett erschien ein blinkender roter Pfeil, der geradewegs nach oben zeigte. Ich sah hoch, und da waren ein halbes Dutzend schwarzer Hubschrauber, die völlig lautlos in enger Formation direkt über mir flogen. Ohne das Aufklärungssystem meines Wagens hätte ich nicht gemerkt, dass sie da waren, bis es zu spät gewesen wäre. Ich hatte gar nicht gewusst, dass mein Auto das konnte. Eins zu null für den Waffenschmied, und danke, Onkel Jack!
Ich bremste hart, und die schwarzen Hubschrauber schossen überrumpelt über mich hinweg. Sie drehten in einem weiten Kreis um, immer noch völlig geräuschlos, und hielten genau auf mich zu. Sie sahen wie tückische, ungelenke Insekten aus. Zwei der vorderen Helikopter eröffneten mit Maschinengewehren das Feuer und beharkten die Straße zu beiden Seiten des Hirondels, dass der Schotter nur so durch die Luft spritzte, und versuchten, mich so einzuschüchtern, dass ich anhielt. Ich drückte den Fuß wieder runter, und der Hirondel sprach begierig an und brauste vorwärts. Die Hubschrauber waren jetzt hinter mir, während ich dahinraste, doch schon beschrieben sie, ohne ihre perfekte Angriffsformation aufzugeben, einen Kreis, um mir zu folgen. Einer feuerte eine Rakete ab, die an mir vorbeifegte und in der Straße vor mir explodierte. Ich riss das Lenkrad herum, um dem Krater auszuweichen, und der Wagen bohrte sich mitten durch Rauch und Flammen und tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Die Rüstung schützte mich vor der Hitze und vorm Einatmen des Rauchs, aber das war alles, was sie tun konnte, für den Augenblick. Die Stärken der Rüstung waren in erster Linie defensiver Natur. Außer wenn ich jemanden in die Finger bekam.
Ich presste das Pedal so fest aufs Blech, dass mein Fuß schmerzte, und der Hirondel donnerte mit freudig röhrendem Motor über die Autobahn. Weitere Raketen schlugen links und rechts von mir ein, und die Detonationen schüttelten den Wagen durch, aber ich ließ mich nicht bluffen. Sie konnten es sich nicht leisten, den Wagen einfach in die Luft zu jagen, denn dann würden sie riskieren, die Seele zu beschädigen. Die schwarzen Helikopter hielten mein Tempo mühelos mit und formierten sich rings um mich. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf, um einen Ausweg aus dieser Falle zu finden, aber hauptsächlich stellte ich mir die Frage: Weshalb sind die verdammten Men in Black hinter mir her? Es war mehr als drei Jahre her, seit ich im Auftrag der Familie in Area 52 eingebrochen war. Und außerdem hatte ich nur ein paar Sachen mitgenommen … Konnte es sein, dass Mr. President immer noch sauer wegen der Sache in der Harley Street war und einen Gefallen von seinem amerikanischen Amtskollegen eingefordert hatte? Wie kleinkariert von ihm! Da versucht man, jemandem aus der Patsche zu helfen …
Kugeln bestrichen eine Seite des Hirondels und durchschlugen das dicke Metall, warfen mich im Fahrersitz hin und her und zwangen das Auto quer hinüber auf die andere Spur. Ich musste mit dem Lenkrad um die Kontrolle über den Wagen kämpfen und schrie die ganze Zeit über den Hubschrauberpiloten Obszönitäten zu. War denen denn nicht klar, dass der Hirondel ein klassisches Auto war, eine echte Antiquität und für sich allein ein Kunstwerk? Man macht keine Einschusslöcher in ein Kunstwerk! Verdammte Banausen! Na schön! Genug war genug! Ich war jetzt verärgert. Mit wem zum Teufel glaubten die sich eingelassen zu haben? Ich schlug auf einen der versteckten Schalter des Waffenschmieds, und eine Schalttafel klappte auf und enthüllte einen großen roten Knopf. Ich drückte meinen Daumen fest darauf, und ein elektromagnetischer Impuls ging strahlenförmig vom Wagen aus und klatschte alle sechs schwarzen Helikopter vom Himmel wie die Hand Gottes.