Und fand mich unvermittelt in einer hell erleuchteten Hightech-Umgebung wieder, die das genaue Gegenteil von allem darüber war. Es handelte sich um ein kreisrundes Zimmer von höchstens sieben Metern Durchmesser, vollgepackt mit dem Neuesten, was es an Computerausrüstung gab. Aber die Computer waren aufgeplatzt, ihr Siliziuminhalt ergoss sich wie Früchte tragende Masse ins Freie, überzog Wände und Decke wie silbernes Efeu, tröpfelte sogar in Verkrustungen herab wie Siliziumstalaktiten. Die Computer hier waren lebende Wesen, wachsende Wesen, genährt von den sexuellen Energien über ihnen. Selbstbezogen, selbsterhaltend. Die Klimaanlage blies wie schwerer Atem, und die Monitore rings um mich hätten Augen oder Münder oder andere Körperöffnungen sein können. Im Zentrum des Ganzen standen die vier Liebenden Chelseas und blickten mich erwartungsvoll an.
»Es heißt, dass es einen Verräter in der Drood-Familie gibt«, sagte ich. »Ich will alles erfahren, was Sie darüber wissen.«
Sie nickten in unheimlichem Einklang, und einer von ihnen ließ liebkosend die Hand über eine Computerkonsole gleiten. Es war die langsame, sinnliche Berührung eines Liebhabers. Ich spürte, wie mir Schweißperlen auf die Stirn traten. Normale Leute waren nicht dafür vorgesehen, Wesen wie den Liebenden Chelseas ausgesetzt zu sein. Allein ihre Gegenwart war giftig für gewöhnliche Menschen. Die Computer summten nachdenklich vor sich hin. Die Liebenden Chelseas standen zusammen, in derselben Haltung, atmeten sogar im Einklang. Ihre Augen blinzelten nicht, als sie mich betrachteten. Ich konnte eine Präsenz wahrnehmen, einen Druck, der sich in dem Zimmer aufbaute. Ein Verlangen, ein Bedürfnis, eine körperliche Notwendigkeit …
»Wozu dient das Ganze?«, fragte ich abrupt. »Das Ganze hier, meine ich. Die Liebenden Chelseas. Der Kit Kat Club. Die Sexmagie und die Computer. Was ist der Zweck von all dem?«
»Apokalypse«, sagte eine der Frauen, und das Lächeln aller wurde ein wenig breiter. »Die wirkliche sexuelle Revolution, endlich gekommen. Wir wollen die ganze Welt anmachen. Indem wir Sexmagie, Computermagie, Ritual und Leidenschaft, Instinkt und Logik, Fleisch und Silizium, zusammengeschweißt auf unvorstellbare Arten, benutzen, um einen Gezeitenwechsel in der Realität selbst herbeizuführen. Wir werden die ganze Welt sexuell machen. Alles darin zum Fetisch erheben, das Lebende und das nicht Lebende, die ganze Welt mit einer Leidenschaft und einem Verlangen überziehen, die niemals enden werden. Eine großartige, freudvolle sexuelle Apokalypse, die Klimax der Geschichte. Der Knall der Urknalle. Unaufhörliche Sinneswahrnehmungen, unaufhörliches Vergnügen … Und wir werden alle dem neuen Fleisch huldigen, für immer und ewig und ewig …«
Sie brach in ihrer Rede plötzlich ab, als auf allen Bildschirmen gleichzeitig ein Gesicht erschien. Die Computer hatten die Identität des neuen vogelfreien Drood ermittelt, und es war ich. Mein Gesicht war auf jeder Wand, und darunter stand mein richtiger Name. Die Familie hatte der Welt meine wahre Identität enthüllt. Wie ein Mann drehten sich die Liebenden Chelseas um, um sich auf mich auszurichten. Sie lächelten nicht mehr. Sie streckten jeder eine Hand nach mir aus, und Sex traf mich wie eine Faust. Ich schrie auf, krümmte mich hilflos, als die Leidenschaft wie ein Fieber in mir brannte, wie die Albträume, die man hat, wenn die Temperatur steigt und einem das Blut im Gehirn kocht. Ich wollte zu ihnen hingehen, notfalls auf Händen und Knien, und ihr Fleisch mit meinem eigenen anbeten. Ich hätte gebettelt, wäre gestorben für die leiseste Berührung, für die Freude ihrer Gunst.
Aber es war gerade noch genug Drood-Ausbildung und -Stolz in mir vorhanden, um sie abzuwehren, gerade genug für mich, um stumm die Worte zu sprechen, und meine Rüstung blitzte um mich herum auf, golden und prächtig, und schirmte mich vor allen Angriffen ab. Ich wankte zurück, plötzlich wieder ich selbst, wie ein Mann, der jäh vom Rand einer Klippe zurücktaumelt. Die Liebenden Chelseas schrien mit einer einzigen schrecklichen Stimme auf, voller Wut beim Anblick der Drood-Rüstung. Ich sprang, die Kraft meiner Beine vergrößert durch meine Rüstung, und schnellte durch die Öffnung hoch und zurück nach oben in den Kit Kat Club.
Ich platzte wieder in jenen fleischigen, höhlenartigen Raum hinein, und die Leute wichen schreiend und kreischend vor mir zurück. Ich hatte ihnen die Stimmung verdorben, oder die Liebenden Chelseas waren es gewesen. Ich lief auf die Tür zu, und urplötzlich, in Reaktion auf irgendein ungehörtes Signal, wogten alle im Raum vorwärts, um mich anzugreifen. Von allen Seiten kamen Schläge und Tritte, wenngleich ich sie durch die Rüstung nicht spüren konnte, und nackte Menschen packten mich an Armen und Beinen und versuchten, mich zu Boden zu ziehen. Ich lief weiter, stieß und trat Leute aus dem Weg, und keiner von ihnen konnte mich aufhalten oder bremsen. Sie griffen nach mir mit endlosen Händen und drängten sich vor mich und versperrten den Weg zur Tür mit ihren nackten Körpern. Ich konzentrierte mich darauf, mich einfach vorwärtszubewegen und nicht zuzuschlagen, obwohl sämtliche Instinkte in mir nach Kämpfen schrien. Mit der Kraft meiner Rüstung konnte ich diese Leute töten, und das wollte ich nicht. Anders als manchen in meiner Familie bedeuteten mir (größtenteils) unschuldige Umstehende immer noch etwas.
Ein Stück weiter vorn konnte ich die Tür ausmachen. Der riesige Rausschmeißer kam auf mich zu, um mich aufzuhalten, und seine riesigen Hände öffneten und schlossen sich begierig. Ich schlug ihn einmal, und er fiel nach hinten, Blut flog durch die Luft, und die geballte Masse der Nackten, die immer noch vorwärtsdrängte, trampelte über ihn hinweg. Eigenartige Kräfte knisterten in der Luft um mich herum, Sexmagie und Computerenergien aus dem Zimmer darunter, krabbelten über meine Rüstung, versuchten sich einen Weg hinein zu erzwingen. Inzwischen waren rings um mich schreiende Gesichter, verzweifelte Menschen, die gierig nach mir griffen, ihre Arme um meine Beine schlangen, ihre Hände von der Decke aus ausstreckten und sie nutzlos gegen meinen goldenen Kopf prasseln ließen. Nackte Männer und Frauen krabbelten überall über mich und bremsten mich durch das schiere Gewicht und die Masse der Körper.
Ich langte durch meine gepanzerte Seite und zog meinen Nadelrevolver. Ich hatte ihn noch. Streng genommen hätte ich ihn dem Waffenschmied übergeben müssen, aber irgendwie war ich bei dem ganzen Hin und Her nicht dazu gekommen. Es waren nur noch ein paar Nadeln übrig. Ich richtete den Revolver auf die Wand und feuerte eine Weihwassereisnadel in die nächstgelegene Ader. Die ganze Wand verzerrte sich krampfartig, wie ein großes, fleischiges Erdbeben. Überall fielen nackte Männer und Frauen von mir ab, griffen sich an die Köpfe, schrien vor Schrecken und Entsetzen auf. Mich vergaßen sie völlig, als der Raum erzitterte, und ich rannte auf die Tür zu.