Der Mittelsmann lachte und breitete die Arme aus, als ob er das Universum umarmen wolle. »Wer hat das nicht, guter Junge? Das ist das Salz der Erde!«
Ich rüstete ab, während ich aus dem Thailokal ging, und die lebende Rüstung floss wieder in meinen Torques zurück. Trage niemals das Gold in der Öffentlichkeit! Ich lächelte leise. Ich mochte von meiner Familie verstoßen worden sein und mich auf der Flucht befinden, aber noch immer befolgte ich ihre Regeln. Hinter mir beeilte sich das Thaipersonal, die Tür zuzusperren und die Rollos herunterzulassen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Ich stand eine Weile draußen und dachte nach, dann blickte ich plötzlich auf, weil ich zum ersten Mal merkte, wie ruhig die Straße war. Ich schaute um mich, und straßauf, straßab, nirgends war jemand zu sehen. Kein Verkehr, keine Fußgänger. Die Geräusche der geschäftigen Stadt drangen von fern zu mir, aber mein kleiner Teil der City war wie ausgestorben. Was zu dieser Zeit des Abends einfach nicht vorkam, sofern nicht die ganze Gegend still und effizient abgeriegelt worden war. Und die einzigen Menschen, die genug Einfluss hatten, um das mitten im Herzen Londons durchzusetzen, waren die Mitglieder meiner Familie. Niemand sagt nein zu den Droods. Sie hatten mich also gefunden. Ich blickte mich jäh um, als ein Mann lässig aus einer Seitenstraße geschlendert kam. Ein sehr eleganter, sehr glatter Mann mit einem bekannten Gesicht, der übermäßig zufrieden mit sich selbst aussah: Matthew Drood.
Sein Auftreten war selbstbewusst, sogar großspurig, aber ich bemerkte, dass er trotzdem in respektvoller Entfernung von mir stehen blieb. Er lächelte und nickte, und ich erwiderte sein Nicken. Soweit ich es beurteilen konnte, war er allein gekommen, was mir Sorgen machte. Das war nicht Familienpolitik, wenn es darum ging, sich mit einem Vogelfreien zu befassen. Er schien von mir zu erwarten, dass ich etwas sagte, dass ich mich verteidigte oder rechtfertigte, also stand ich einfach da und sah ihn an. Matthew runzelte leicht die Stirn und strich über die glänzend weißen Manschetten seiner teuren Cityklamotten.
»Ich wusste, dass du hierher zuerst kommen würdest, Eddie«, sagte er selbstgefällig. »Simple Deduktion, alter Knabe. Alles, was ich machen musste, war das Haus überwachen zu lassen und zu warten.«
»Genau genommen war dies mein dritter Halt«, klärte ich ihn auf. »Zu spät wie immer, Matthew. Warum haben sie dich hierfür ausgesucht? Hast dich freiwillig gemeldet, richtig, um die Matriarchin zu beeindrucken? Oder vielleicht Alex? Du bist doch nicht etwa noch sauer auf mich wegen ihr, oder? Das ist schon lange her; wir waren nur Teenager.«
»Selbstverständlich habe ich mich freiwillig gemeldet«, entgegnete Matthew wütend. »Du bist eine Schande für die Familie, Eddie. Ich habe ja immer gesagt, dass du nichts taugst, und jetzt hat sich mein Urteil bestätigt.«
»Was haben sie dir angeboten?«, fragte ich. »Ehrlich, ich bin neugierig. Ich meine, du wärst nicht meine erste Wahl gewesen, wenn es darum geht, es mit einem erfahrenen und gefährlichen Vogelfreien aufzunehmen. Was die körperliche Seite dessen betrifft, was wir tun, warst du noch nie zu gebrauchen. Die alte extreme Gewalttätigkeit … Eingebildete Fatzken in der City unter Druck zu setzen ist eher dein Niveau; Börsenmaklern Angst einjagen, die beim Griff in die Kasse ertappt wurden.«
Matthew funkelte mich an, und auf seinen Wangen brannten leuchtend rote Flecke. »Wenn ich mich erst einmal bewiesen habe, indem ich dich herbeischaffe, dann werden sie mir dein ganzes Gebiet und deinen ganzen Aufgabenbereich geben, alter Knabe, zu meinem eigenen noch dazu. Ich werde der größte und beste Agent in einer der bedeutendsten Städte auf der Welt sein. Die Matriarchin höchstpersönlich hat mir ihr Wort gegeben.«
»Sie benutzt dich, Matthew, genau wie sie mich benutzt hat.« Ich fühlte mich plötzlich müde, ausgebrannt. »Sie legt uns beide rein. Kannst du das denn nicht erkennen? Sie ist dazu bereit, dich über Bord zu werfen, nur um mich langsamer zu machen, bis erfahrenere Agenten hierherkommen können. Wir können der Matriarchin nicht mehr trauen, Matthew; sie hat jetzt ihre eigenen Absichten.«
Matthew sah mich an, als redete ich plötzlich in Zungen. »Sie ist … die Matriarchin! Ihr Wort ist Gesetz! Wir leben und sterben nach ihrem Ermessen. So ist es immer gewesen. Und du bist nur ein dreckiger kleiner Verräter!«
Ich blickte um mich. Es war immer noch nichts von irgendwelcher Unterstützung für Matthew zu sehen. Möglicherweise war er wirklich der Einzige gewesen, der nahe genug gewesen war …
»Ich brauche keine Hilfe, um einem Verräter wie dir einen Dämpfer zu versetzen!«, giftete Matthew.
»Ich bin kein Verräter«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Er wich nicht von der Stelle.
»Du bist schon immer ein Verräter gewesen«, sagte er, und sein Lächeln war jetzt kalt und unfreundlich. »Ein Verräter am Geist dessen, was wir tun. An der Aufgabe und den Traditionen der Familie. Man hätte dir nie so viel Freiheit einräumen dürfen; schau dich doch an, was das aus dir gemacht hat! Einen tollwütigen Hund, der frei herumläuft, der zum Wohle aller eingeschläfert werden muss!«
Ich sah ihn einen Moment lang prüfend an. Da lag eindeutig etwas in seiner Stimme und in seinem Lächeln … »Das hier ist nichts Offizielles, nicht wahr?«, sagte ich schließlich. »Das ist der Grund, weshalb du ohne Rückendeckung hier bist: Die Familie weiß nichts hiervon. Du repräsentierst die Matriarchin, und sonst niemanden. Du bist nicht hier, um mich lebend zurückzubringen, stimmt's, Matthew?«
Sein Lächeln wurde breiter. »Wozu sollte das auch gut sein?«
»Ich habe dich noch nie leiden können«, sagte ich. »Du warst immer der Liebling des Lehrers.«
Wir rüsteten beide hoch, und das lebende Metall sprang um uns herum an seinen Platz. Es war unheimlich, Matthew in seiner Rüstung anzusehen, wie ein Spiegelbild. Ich wusste nicht, welche Waffen er haben mochte, aber ich glaubte nicht, dass er sie benutzen würde, aus Angst, dass ich sonst meine benutzen würde. Waffen würden die Situation zu unvorhersagbar gestalten. Und außerdem waren wir beide neugierig. Wir wollten das hier auf die harte Tour erledigen, Auge in Auge und Mann gegen Mann, einfach weil es schon Jahrhunderte her war, dass jemand das versucht hatte. Es kam sehr selten vor, dass zwei Droods im Gold kämpften. Außerhalb der Trainingseinheiten war es uns streng verboten, denn es war undenkbar, dass Drood gegen Drood kämpfen sollte. Es existierten zwar Aufzeichnungen solcher feindlicher Zusammenstöße in der Bibliothek, sehr alte Aufzeichnungen, aber sie bestanden aus vielen blumigen Worten und so gut wie keinen Einzelheiten.
Ich wollte das hier machen, und bei ihm war es nicht anders.
Und falls wir beide es aus den falschen Gründen machten, so war doch niemand hier, um uns aufzuhalten.
Die goldenen Hände ausgestreckt, sprangen wir vor. Gleich motiviert, gleich grimmig, gleich entschlossen. Wir krachten zusammen, und der Anprall von Rüstung gegen Rüstung klang wie eine große Glocke, die in den Tiefen der Hölle läutete. Wir schlugen hart aufeinander ein, ließen Hieb um Hieb mit all unserer verstärkten Kraft aufeinander niederprasseln und machten uns dabei nicht einmal die Mühe, uns selbst zu verteidigen. Die schrecklichen Klänge hallten in der leeren Straße wider, doch keiner von uns nahm irgendwelchen Schaden. Unsere Rüstung schützte uns. Ich spürte das Auftreffen seiner Fäuste kaum, und ich bin sicher, dass es ihm nicht anders ging. Alles, was wir machten, war, einander zu ermüden. Eine Zeit lang rangen wir unbeholfen miteinander, Brust an Brust, keiner von uns in der Lage, einen Vorteil zu erlangen.
Endlich brachte ich ihn zu Fall, und als er am Boden lag, trat ich ihm so fest in die Rippen, dass er mehrere Meter über die Straße schlitterte. Ich lief ihm hinterher, und während er sich noch aufrappelte, packte ich ihn mit beiden Händen, hob ihn hoch und schleuderte ihn gegen das nächste Gebäude. Die Wucht des Aufpralls trieb ihn halb durch die Mauer und er steckte einen Moment lang fest, während Backsteine, die sich gelöst hatten, auf seine Rüstung herabregneten. Ohne nennenswerte Anstrengung zog er sich heraus, und die Mauer stürzte hinter ihm ein. Er warf sich auf mich, gänzlich unbeirrt, und wir krachten wieder zusammen.