Einmal hatte sie die Magnetfelder über London verändert, nur damit die ganzen Zugvögel über das Parlamentsgebäude ziehen mussten und darauf kackten. Einmal hatte sie einen subtilen Zauber über gewisse Bettflöhe und Filzläuse gewirkt, wodurch diese zu ihren Augen und Ohren wurden und sie die sehr hohen Persönlichkeiten ausspionieren konnte, die Stammkunden eines Bordells waren, das sich auf die Reichen und Berühmten spezialisiert hatte. Als Folge davon erfuhr sie viele interessante Sachen und erpresste ihre Opfer skrupellos - ebenso des Geldes wie des Vergnügens wegen. Eins ihrer Opfer musste im Parlament aufstehen und das ganze »Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen« aufsagen, bevor sie ihn vom Haken ließ - und das während der Fragestunde. In Anbetracht dessen, um wen es sich handelte, fand Mollys Vorgehen dieses eine Mal meine uneingeschränkte Zustimmung …
Und natürlich war da dieses eine Mal, als sie eine Gruppe verärgerter Erdelementargeister bestach, damit sie heftige Erdbeben im Felsboden unter dem britischen Festland verursachten. Offenbar wollte sie das Vereinigte Königreich in drei getrennte Inselstaaten aufspalten: England und Wales und Schottland. Diese Aktion konnte ich gerade noch rechtzeitig unterbinden. Und Molly war ein begeisterter Teil des Arkadien-Projekts, einer Zusammenkunft führender Zauberer, die sich der Veränderung der Gesetze der Realität selbst verschrieben hatten, um eine neue Welt hervorzubringen, die sehr viel mehr nach ihrem Geschmack sein sollte. Zum Glück für die Realität und die Welt haben Zauberer die größten Egos außerhalb des Showgeschäfts und spielen nur selten schön miteinander. Irgendwann verwandelte die eine Hälfte von ihnen die andere Hälfte in allerlei Arten von Ungeziefer, und Molly riss die Geduld und sie rief eine Froschplage auf den ganzen Haufen herab.
Noch Wochen danach klaubten in ganz London die Leute Frösche aus ihren Regenrinnen.
Molly Metcalf widersetzte sich Autorität - jeglicher Autorität. Auch hasste sie meinen Schneid, und das aus gutem Grund. Wir hatten bei einem Dutzend Missionen auf verschiedenen Seiten gestanden, wobei ich für Ordnung und sie für Chaos stand. Mehrmals waren wir nahe daran gewesen, uns gegenseitig umzubringen, und keinem von uns war es misslungen, weil er sich nicht genug bemüht hätte. Wenn ich in meiner Rüstung zu ihr ginge, das goldene Gesicht trüge, das zu hassen sie allen Grund hatte, würde sie mich auf der Stelle angreifen. Meine einzige Chance, nah an sie heranzukommen, war als Shaman Bond. Molly kannte Shaman, auf freundschaftliche, wenn auch distanzierte Art, einfach als ein weiteres Gesicht auf der Bildfläche. Wir hatten sogar schon gelegentlich etwas zusammen getrunken, als Teil meiner Tarnung. Das beabsichtigte ich mir zunutze zu machen, um bei ihr einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Molly wohnte in Ladbrook Grove, einer Gegend, die einmal als ziemlich schick gegolten hatte, deren Bewohner mittlerweile aber meist in beschränkten Verhältnissen lebten. Ihr Haus war ein einfaches kleines Reihenhaus inmitten einer langen Reihe von Reihenhäusern. Von außen schien es sich nicht von den anderen zu unterscheiden: ein bisschen heruntergekommen, ein bisschen vernachlässigt und dringend eines neuen Anstrichs bedürftig. Die Straße war voller zankender Kinder, die auf ihren Fahrrädern hin und her fuhren, einen Fußball durch die Gegend kickten oder einfach nur herumhingen in der Hoffnung, dass etwas passieren würde. Keins von ihnen beachtete mich, als ich zu Mollys Haustür hochging und die Klingel unter Druck setzte. In einer Straße gab es immer Fremde, die kamen und gingen. Es gab eine lange Pause, so lange, dass ich schon in Betracht zog, noch einmal zu klingeln, und dann öffnete sich die Haustür gerade weit genug, dass Molly herausgucken konnte.
»Shaman?«, fragte sie mit ihrer gewohnt dunklen und schwülen Stimme. »Was führt Sie an meine Tür, ungeladen? Mir war nicht bewusst, dass Sie überhaupt wissen, wo ich wohne! Das tun nämlich nicht viele, und die meisten davon habe ich getötet. Ich hasse es, belästigt zu werden.«
Ich schenkte ihr mein charmantestes Lächeln. Molly Metcalf sah wie eine zerbrechliche China Doll mit großen Brüsten aus. Kurz geschnittene schwarze Haare, riesige dunkle Augen, rubinroter Rosenknospenmund. Sie trug ein weißes Seidenkleid mit Rüschen, möglicherweise um ihrer blassen Haut einen Hauch von Farbe zu verleihen. Sie war schön, auf eine schaurige, bedrohliche und äußerst beunruhigende Art.
»Tut mir leid, dass ich Sie störe, Molly«, sagte ich, als klar wurde, dass das charmante Lächeln keine Wirkung hatte. »Ich muss mit Ihnen reden. Über den neuen vogelfreien Drood, Edwin. Ich weiß etwas über ihn, von dem ich glaube, dass Sie es erfahren müssen. Darf ich reinkommen? Es ist ziemlich dringend!«
Sie dachte einen langen Moment lang darüber nach, wobei sie mich mit ihren ungerührten dunklen Augen musterte, aber schließlich nickte sie und trat zurück und öffnete die Tür gerade ein kleines Stückchen weiter. Ich zwängte mich an ihr vorbei, und sofort schloss sie die Tür hinter uns wieder und sperrte sie ab. Ich bemerkte es kaum. Ich stand mit offenem Mund auf einer ausgedehnten Waldwiese. Ich wusste nicht, was ich hinter der Fassade vorzufinden erwartet hatte, aber das hier war es ganz sicher nicht! Molly wohnte stilvoll.
Mächtige Bäume, schwer beladen mit Sommerlaub, umgaben mich auf allen Seiten. Grasbedeckte Erdhügel bildeten den Boden der Lichtung, und ganz in der Nähe stürzte ein Wasserfall über eine zerklüftete Felswand in einen großen, kristallklaren Teich. Weiter weg unter den Bäumen äste in sicherer Entfernung wachsam Rotwild, während Vögel lieblich sangen und schwere Strahlen goldenen Sonnenlichts durch das Laubdach auf die Erde fielen. Halbschatten verliehen der Lichtung einen verschlafenen, behaglichen Anstrich, und die Luft war geschwängert vom kräftigen, feuchten und erdigen Geruch des Waldlands.
Molly ignorierte mich und wanderte unter eine kleine Baumgruppe. Sie sprach zu den Bäumen in einer weichen, geflüsterten Sprache, die ich noch nie zuvor gehört hatte, und ich schwöre, sie senkten die Wipfel, um zuzuhören. Rehe mit großen Augen kamen heran, um ihre weichen Nüstern an ihr zu reiben, und sie streichelte ihnen mit sanften Händen die Mäuler. Ein rostbraunes Eichhörnchen ließ sich aus den höheren Zweigen fallen und landete leichtfüßig auf ihrer Schulter. Es schnatterte ihr eindringlich ins Ohr und blickte mich dann direkt an.
»Hey, Molly«, sagte es. »Wer ist der Trottel? Neue Männerbekanntschaft? Wurde auch Zeit; du kriegst echt schlechte Laune, wenn du's nicht regelmäßig besorgt kriegst!«
»Nicht jetzt, Liebes!«, sagte Molly nachsichtig. »Geh und spiel ein wenig, während ich mich mit dem netten Mann unterhalte. Und dass du mir nicht lauschst, sonst mache ich etwas Unerfreuliches mit deinen Nüssen!«
Das Eichhörnchen schnitt ihr ein Gesicht und sprang wieder zurück nach oben in den Schutz der Bäume. Ohne Eile kam Molly wieder zu mir und stellte sich vor mich, neben den Teich. Ich beschloss, sie nicht wegen dem sprechenden Eichhörnchen zu fragen. Ich wollte mich nicht mit etwas verzetteln, was nach einer sehr langen Geschichte aussah.
»Sprich zu mir, Shaman Bond!«, forderte Molly mich auf. »Erzähl mir diese Sache, die du weißt! Und es wäre besser, wenn sie gut wäre, oder es gibt ein neues niedliches sprechendes Tier für mein Gartenparadies!«
»Es geht um Edwin Drood«, sagte ich, »den neuen Vogelfreien. Er steckt in echten Schwierigkeiten. Geächtet von seiner Familie, im Stich gelassen von seinen Freunden, ganz allein und auf der Flucht. Man hat ihm guten Grund gegeben, seiner Familie zu misstrauen - oder zumindest einem Teil davon - und er will die Wahrheit erfahren. Er glaubt, dass Sie ihm Dinge erzählen können, die ihm andere nicht erzählen können - oder wollen. Im Gegenzug wäre er bereit, Ihnen das eine anzubieten, dass Sie mehr als seinen Kopf auf einem Spieß wollen: eine Gelegenheit, die ganze korrupte Drood-Familie zu Fall zu bringen.«