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»Hören Sie auf zu jammern!«, sagte Martha mit einer Stimme, die so kalt wie ein Schlag ins Gesicht war. »Schadensbegrenzung ist doch eins der wenigen Dinge, worin Sie wirklich gut sind. Wahrscheinlich weil Sie so viel Erfahrung darin haben. Sie werden alles tun, was Sie müssen, und Sie werden es effizient und gut und sehr schnell tun, oder ich werde Sie töten lassen und sehen, ob Ihr Ersatz etwas aus der Erfahrung lernt. Vergessen Sie nicht, wo Ihr Platz ist, Premierminister! Ich habe dafür gesorgt, dass Sie gewählt wurden, damit Sie den Familieninteressen dienen konnten, genau wie Ihre Vorgänger. Die Familie weiß es am besten. Immer.«

»Schon gut, schon gut!«, sagte der Premierminister abwehrend. »Ich habe die Sache im Griff, Matriarchin; es gibt nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten.«

»Nein, ich nicht«, pflichtete Martha ihm bei. »Aber Sie.«

Molly nahm die Hand vom Wasser, und das Bild verschwand. Ich starrte sie wie betäubt an. »Wie konnte sie so mit ihm sprechen? Wie konnte er so vor ihr zu Kreuze kriechen? Sie hätte ihm nicht wirklich etwas getan; das ist nicht unser Stil. Die Familie dient den maßgeblichen Regierungsstellen; wir mischen uns nicht ein. Das war immer unsere Aufgabe und unsere Pflicht. Zu bewahren -«

»Armer Eddie«, sagte Molly. »Sie wollten nur die Wahrheit wissen, weil Ihnen nicht klar war, wie sehr sie schmerzen würde. Nun, hier ist sie, also machen Sie sich auf etwas gefasst. Die Familie ist nicht das, wofür Sie sie halten, und war es auch nie. Nur die Droods ganz oben in der Familienhierarchie wissen, wofür die Familie wirklich eintritt. Ihr beschützt die Welt, das stimmt, aber nicht für die Menschen … sondern fürs Establishment. Die Droods arbeiten, um den Status quo aufrechtzuerhalten, um alle ruhig und unter Kontrolle und die Menschen an ihrem angestammten Platz zu halten: unter der Fuchtel derer, die das Sagen haben. Ihr Droods seid nicht die Leibwächter der Menschheit und wart es auch nie: Ihr seid Vollstrecker. Gedungene Schläger, die auf jeden Nagel hämmern, der es wagt, seinen Kopf über die übrigen zu heben.

Und nach Jahrhunderten, in denen ihr Macht und Herrschaft etabliert habt, zusammen mit der gelegentlichen Ermordung jener an der Macht, die es nicht lernen wollten oder konnten, mitzumachen, um zurechtzukommen, haben selbst diejenigen, die das offizielle Establishment bilden, gelernt, eure Familie zu fürchten. Politiker auf der ganzen Welt dürfen nur so lange an der Macht bleiben, wie sie sich gegenüber den Drood-Autoritäten verantworten. Ihre Familie, Eddie, ist der wahre Herrscher der Welt.«

Ich hockte einfach nur da, vor Erschütterung stumm. Meine ganze Welt war mir gerade unter den Füßen weggetreten worden. Schon wieder. Ich hätte gern geglaubt, dass sie log, aber ich konnte nicht: Es ergab alles zu viel Sinn. Zu viel von dem, was ich gesehen und gehört hatte und nicht hätte sollen, so viele Andeutungen und Gemunkel in der Szene, so viele kleine Dinge, die sich nie gereimt hatten … bis jetzt. Es gibt einen Grund, warum die Dinge so sind, wie sie sind; aber es ist kein schöner Grund.

Ich glaube, ich könnte ein wenig geschwankt haben, denn Molly schüttete mir eine Hand voll eiskaltes Teichwasser ins Gesicht. »Kippen Sie mir ja nicht um, Eddie! Nicht, wo ich gerade zum interessanten Teil kommen will!«

»Meine Familie verwaltet die Welt«, sagte ich dumpf, während mir das kalte Wasser unbeachtet vom Gesicht tropfte, »und ich hatte keine Ahnung davon! Wie konnte ich bloß so blind sein?«

»Es gibt nicht nur schlechte Neuigkeiten«, sagte Molly. »Es existiert ein Widerstand. Und ich bin Teil davon.«

Ich schaute sie an. »Sie? Ich dachte, Sie hätten immer gesagt, Sie lehnen es ab, zu irgendeiner Gruppe zu gehören, die welche wie Sie als Mitglieder akzeptiert. Ganz besonders nach dem, was letztes Mal vorgefallen ist, beim Arkadien-Projekt. Und als ob die Geschichte mit der Froschplage nicht schon schlimm genug gewesen wäre, haben Sie schließlich noch diesem Klan-Zauberer die Eingeweide durch die Nasenlöcher herausgezogen!«

»Er hatte mich geärgert«, sagte Molly. »Und überhaupt, ich arbeite mit dem Widerstand, wie und wann es mir gefällt, nicht für ihn.«

Ich dachte darüber nach, und mir gefiel nicht, was ich da hörte. Eine der größten Ängste der Drood-Familie war schon immer gewesen, dass eine andere Organisation entstehen und gegen sie arbeiten könnte. Eine Antifamilie, sozusagen. Es hatte über die Jahrhunderte auch schon mehrere diesbezügliche Versuche gegeben, aber die diversen Bösen waren nie in der Lage gewesen, genug Gemeinsamkeiten zu finden, um sich zusammenzuhalten. Irgendwann war es immer dasselbe: Sie stritten sich über Mittel und Ziele und Fragen des Vorrangs und wer genau eigentlich das Sagen haben sollte; das führte zu Splittergruppen und Kämpfen und endete immer in Tränen. Wenn auch zugegebenermaßen selten Gedärme und Nasenlöcher darin verwickelt waren.

»Die neue Verschwörergruppe nennt sich Manifestes Schicksal«, fuhr Molly ein kleines bisschen großspurig fort, als klar wurde, dass ich für den Moment nichts zu sagen hatte. »Sie - wir - wollen, dass die Menschheit frei von jeglicher Kontrolle von außen ist, sei es durch die Droods oder sonst wen. Frei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Führer der Verschwörergruppe haben Mächte aus dem ganzen Spektrum der Opposition zusammengebracht: Die Abstoßenden Abscheulichen, den Kultus des Purpurnen Altars, das Traum-Mem, die Vril-Gesellschaft, sogar die Lauernden auf der Schwelle.«

»Ah!«, sagte ich. »Die üblichen Verdächtigen!«

»Nun, ja; und auch ein ganzes Heer mächtiger und engagierter Mitläufer. Wie mich. Mehr, als Sie in Ihren kühnsten Träumen für möglich gehalten hätten, alle entschlossen, die Menschheit ein für alle Mal aus dem Würgegriff der Droods zu befreien. Nicht um Macht für sich selbst zu gewinnen, sondern nur um der Bevormundung der Menschheit ein Ende zu setzen. Das ist es, was diese Verschwörergruppe so anders macht: Zum ersten Mal geht es nicht um uns.«

»Diese … Verschwörergruppe«, sagte ich. »Steht sie hinter den jüngsten Angriffen auf das Zuhause meiner Familie?«

Molly zuckte die Achseln. »Mit den tagtäglichen Entscheidungen habe ich nichts zu tun. Ich habe es Ihnen doch gesagt: Ich arbeite nur mit ihnen, wenn mir danach zumute ist, an Angelegenheiten von gegenseitigem Interesse.«

»Dann kann ich davon ausgehen, dass die Identität des Verräters in meiner Familie Ihnen auch nicht bekannt ist? Oder wieso ich für vogelfrei erklärt wurde?«

»Ich weiß, dass es einen Verräter gibt. Das ist nichts Neues. Und falls es eine Rolle spielt, es heißt, er oder sie sei an das Manifeste Schicksal herangetreten, nicht umgekehrt.« Sie blickte mich ruhig, fast mitleidig an. »Armer kleiner Drood; sie haben dir deine Unschuld genommen, und jetzt musst du selbstständig denken. Ich weiß nicht, weshalb Ihre Familie Sie den Wölfen vorgeworfen hat, Eddie, aber ich kenne einige Leute, die es wissen könnten. Warum kommen Sie nicht mit mir und lernen ein paar meiner Freunde und Genossen kennen? Schauen Sie sich an, wie sie wirklich sind, wenn Sie und sie nicht gerade damit beschäftigt sind, sich gegenseitig ans Leder zu gehen! Nicht alle, die von Ihrer Familie verdammt wurden, sind zu einhundert Prozent waschechte Böse. Selbst Monster sind nicht immer Monster, müssen Sie wissen.«

Ich nickte, zu erschüttert, um irgendwelche Argumente vorzubringen. Ich war noch nicht voll auf der Höhe des Geschehens. In meinem Innern war dort, wo einmal meine Familie gewesen war, ein großes Loch, und ich hatte noch nicht rausgekriegt, womit ich es füllen sollte. Molly half mir auf die Füße und ließ dann meinen Arm sofort wieder los. Sie war es noch nicht gewohnt, mir so nahe zu sein. Abrupt drehte sie sich um und ging tiefer in den Wald hinein. Ich eilte ihr nach. Wir gingen eine ganze Weile gemeinsam, wobei wir einen ausreichenden Abstand beibehielten. Wo immer dieser Wald sich befand, es war nicht im Innern ihres Hauses. Über der Tür musste ein Zauber gelegen haben, der mich direkt hierher transportiert hatte, wo hier auch sein mochte.