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So viel hatte ich mir gerade zusammengereimt, als wir zu einer weiteren Tür kamen, die allein dastand, aufrecht und ungestützt. Molly blieb davor stehen und murmelte leise Worte. Ich fragte mich, wohin diese Tür wohl führen mochte; welche charmante Unterweltspelunke Molly mir zeigen wollte. Café Nacht vielleicht, wo Vampire sich versammelten, um sich an willigen Opfern zu laben. Es hatte als eleganter, schöngeistiger Treffpunkt begonnen, doch in letzter Zeit war es zu einem Sadomasoladen verkommen. Vampire verliehen der Formulierung das Blut in Wallung bringen ganz neue Bedeutungsnuancen. Vielleicht war es auch der Schwarzmagierzirkel, der einst die Adresse gewesen war, wenn man dunkle Mächte anbetete und sich seines eigenen dämonischen Vertrauten rühmen konnte. Heutzutage hatte der Zirkel mehr von einer Selbsthilfegruppe an sich. Die Ordnung des Jenseits war immer noch dicke dabei, in fabelhaften neuen Hightech-Räumlichkeiten unten am Grafton Way, wo Leute sich für ausgefallenes und verbotenes Wissen als zeitweilige Wirte für außerdimensionale Wesen anboten. Natürlich tendierte die Konversation an diesem Ort ernstlich zur Bizarrerie … Molly stieß die Tür auf und trat hindurch, und ich folgte ihr hastig. Und blieb dann abrupt stehen und blickte um mich.

»Augenblick mal! Das … das ist der Wolfskopf-Club!«

Und er war es; genauso groß und schrill und grell und verteufelt laut wie immer. Molly schaute mich mitleidsvoll an.

»Na klar! Was denn sonst? Der Wolfskopf ist schon immer der heißeste Ort in der Szene gewesen. Jeder kommt hierher; Gute und Böse und die dazwischen. Die Bösen sind Ihnen nie aufgefallen, weil Sie sich immer zu Ihrem eigenen Haufen gesellen, und wir uns alle zu unseren. Das macht den Waffenstillstand im Club ja erst durchführbar. Kommen Sie; lernen Sie ein paar meiner Freunde kennen! Sieht aus, als hätten wir heute Abend ein interessantes Publikum hier.«

Ich war immer noch ein wenig benommen, also nahm sie mich am Arm und zog mich durchs Gedränge auf die Theke zu. Ich wehrte mich nicht. Ich hatte das Gefühl, eine ganze Menge sehr großer Drinks gebrauchen zu können. Mehrere Leute nickten Shaman Bond zu, und noch ein paar mehr nickten Molly Metcalf zu. Einige davon wirkten ziemlich überrascht und nicht wenig neugierig gemacht, uns beide so offen zusammen zu sehen, doch sagte niemand etwas. Der Wolfskopfhaufen versteht die Notwendigkeit von Diskretion und dem gelegentlichen Blindsein auf einem Auge. Molly und ich erreichten schließlich ein Ende der Hightech-Theke, wo der professionell desinteressierte Barmann uns Getränke servierte. Ich nahm einen sehr großen Brandy, Molly einen Southern Comfort, und es endete damit, dass ich beide bezahlte. Sie gab einigen Persönlichkeiten durch Gebärden zu verstehen, sie sollten kommen und ihr Gesellschaft leisten, und sie kamen argwöhnisch herübergewandert.

U-Bahn-Ute kannte ich bereits. Sie wanderte ungesehen zwischen den Fahrgästen umher, die die Untergrundbahnen benutzten, und staubte ein bisschen Glück von jedem ab, den sie streifte. Was der Grund dafür ist, warum so viele Leute ihre Bahn verpassen oder auf dem falschen Bahnsteig landen. Wenn man sie anschaute, konnte man meinen, sie sei nur noch einen Schritt von der Obdachlosigkeit entfernt, so begraben unter Schichten von Kleidern aus der Kleidersammlung wie sie war, aber das war nur, damit sie niemandem auffiel. Es gab immer jemanden, der bereit war, ihr gutes Geld für das geklaute Glück zu zahlen, das sie hortete. Insgeheim lebte U-Bahn-Ute sehr gut.

Das Blumenmädchen war ein uralter walisischer Elementargeist, vor langer, langer Zeit geschaffen aus Rosenblättern und Eulenkrallen von einem uralten Wanderzauberer, der Merlin gewesen sein mochte oder auch nicht. Die Geschichte war jedes Mal anders, wenn sie sie erzählte. Sie sah hinlänglich menschlich aus, meistens jedenfalls. Behandelte man sie richtig, war sie weich wie Rosenblätter für einen; ging man grob oder ungerecht mit ihr um, fuhr sie die Eulenkrallen aus. Und dann war das Beste, worauf man noch hoffen konnte, dass es den Angehörigen - wenn die Behörden endlich das gefunden hatten, was von einem übrig geblieben war - gelänge, einen Leichenbestatter zu finden, der echt auf Puzzles abfuhr. Das Blumenmädchen stellte sehr hohe Anforderungen, weshalb sie immer so sehr enttäuscht von den Männern war. Aber sie blieb optimistisch, und die Polizei fischte weiterhin Körperteile aus der Themse. Das Blumenmädchen kleidete sich in hellen Pastellfarben auf Zigeunerart und trug so viele Armreife, dass jede ihrer Gesten von einem ohrenbetäubenden Klirren begleitet wurde. Sie hatte ein Glas Champagner gehabt und war schon mehr als nur ein bisschen beschwipst.

Buddler Browne war eine kleine, stämmige Persönlichkeit in einem altmodischen Wickelmantel mit Schlammflecken auf den Ärmeln. In der Öffentlichkeit trug er schwere Wollhandschuhe, um seine langen, fürs Graben und Zerreißen gemachten Hornfingernägel zu verbergen. Er trug auch einen breitkrempigen Hut, der den Großteil seines Gesichts im Schatten ließ. Buddler war ein Ghul und roch stark nach Aas und unlängst umgewühlter Erde.

»Ich bin bloß ein Teil der Natur«, sagte er locker. »Ich bring den Müll raus und räum den Abfall weg, kurz, ich halte diese Welt sauber. Ich habe eben Freude an meiner Arbeit; ist das etwa eine Sünde? Nicht jeder hat Sinn für die Art von Arbeit, die ich mache, aber sie muss gemacht werden. Jemand muss all die Leichen essen. Erinnert ihr euch noch an den Bestatterstreik in den Siebzigern? Damals konnten die Leute gar nicht genug für mich tun …«

Und schließlich war da noch Mr. Stich. Er musste mir nicht vorgestellt werden. Jeder kannte Mr. Stich, und wenn auch nur vom Hörensagen: der berüchtigte, nie gefasste Serienmörder des alten Londons. Er hatte unter vielen Namen gearbeitet, durch die langen Jahre hindurch, und ich glaube nicht, dass er selbst noch mit Sicherheit hätte sagen können, wie viele Menschen er genau ermordet hatte, seit er 1888 mit fünf glücklosen Huren im East End seine Karriere begonnen hatte. Er gewann etwas, irgendeine Stärke, aus dem, was er damals tat. Eine Zeremonie des Blutes, nannte er es; ein Zelebrieren des Abschlachtens. Und jetzt macht er immer weiter, und niemand kann ihn aufhalten. Auch wenn er im Wolfskopf bloß er selbst war, trug er trotzdem die dunkle Gesellschaftskleidung seiner Zeit, bis hin zum Abendmantel und Zylinder.

Die meisten dieser Leute kannten Shaman Bond oder hatten zumindest schon von ihm gehört, und es war ein ziemlicher Schock für sie, als Molly mich als Edwin Drood vorstellte. U-Bahn-Ute sah sich nach dem nächsten Ausgang um, Buddler Browne kaute nervös auf seinem mitgebrachten Naschfinger herum, und das Blumenmädchen kicherte mir eulenhaft über ihr Glas hinweg zu. Auf Mr. Stichs Gesicht erschien ein Lächeln, das große, blockartige Zähne mit braunen Altersflecken enthüllte.

»Sie sind also Edwin Drood! Der Mann hinter der Maske. Sie haben wahrscheinlich fast so viel Leichen auf dem Konto wie ich.«

»Ich töte, um dem Leiden ein Ende zu bereiten«, sagte ich. »Nicht, um es zu zelebrieren.«

»Ich diene einem Zweck, genau wie Sie.«

»Wagen Sie es nicht, sich vor mir zu rechtfertigen!«, sagte ich, und meine Stimme war so kalt, dass alle bis auf Mr. Stich einen Schritt zurückwichen.

»Wieso nicht?«, fragte Mr. Stich. »Ich bin ein Teil der natürlichen Ordnung, genau wie unser Mr. Browne hier. Ich sondere das Merzvieh aus der Herde aus, dezimiere die Schwachen und Hilflosen, verbessere den Viehbestand. Jemand muss es tun, wenn die Herde gesund bleiben soll.«

»Sie tun es, weil Sie Spaß daran haben!«

»Das auch.«

Ich setzte innerlich zu den Worten an, die meine Rüstung mobilisierten. Der einzige Grund, weshalb ich Mr. Stich nicht schon vor dieser Begegnung getötet hatte, war der, dass ich nie gewusst hatte, wo ich nach ihm suchen sollte. Ich hatte einige seiner Opfer gesehen - oder das, was er von ihnen übrig gelassen hatte -, und das reichte mir. Molly erriet, was ich vorhatte, packte mich am Arm und zog mich herum, um mir wütend direkt ins Gesicht zu starren.