»Wenn Sie mich auf Ihrer Seite haben wollen, Truman, dann sagen Sie mir die Wahrheit! Die ganze Wahrheit. Und lassen Sie nichts aus! Aus dieser Nähe wird mir meine Rüstung verraten, wenn Sie lügen, auch wenn es dadurch sein sollte, dass Sie etwas verschweigen. Erzählen Sie mir alles, oder ich gehe auf der Stelle hier raus!«
Dass meine Rüstung ein Lügendetektor war, war ein Bluff, aber das konnte er nicht wissen. Wenn meine Rüstung zu so vielen erstaunlichen Sachen in der Lage ist, was war da schon eine mehr? Ich setzte darauf, dass Truman meine Geheimnisse und meine Rüstung so dringend in die Finger kriegen wollte, dass er mir Sachen erzählen würde, die er sonst keinem erzählen würde. Truman lächelte langsam, und in seinen Augen leuchtete die Freude dessen, der etwas weiß, was man selbst nicht weiß, und es nicht erwarten kann, einen damit zu beeindrucken. Erneut richtete er seine Worte nur an mich und ignorierte meine Bundesgenossen.
»Warum nicht?«, meinte er. »Ich wusste, dass Sie jemand sein würden, mit dem ich reden kann. Jemand, dem ich … alles anvertrauen kann. Die Wissenschaft entsprang dem Geist des Menschen. Sie gehört uns. Wir schufen sie, und wir kontrollieren sie. Zauberei … ist ein wildes Ding, unnatürlich und unkontrollierbar, und verfolgt stets ihre eigenen Absichten. Wir machen Gebrauch davon, wenn wir müssen, doch können wir ihr oder denen, die sie benutzen, niemals trauen. Wenn wir an die Macht kommen, dann wird die Wissenschaft die Zauberei ersetzen. Nur auf diese Weise kann die Menschheit wirklich unabhängig sein. Die Droods sind nur unser erster und wichtigster Feind; sobald sie gestürzt worden sind, werden wir auch jede andere Form von Magie und magischen Kreaturen ausmerzen, und die Menschheit wird endlich frei sein!«
Ich warf einen Blick auf Molly: Sie war stumm vor Erschütterung; aus ihrem Gesicht war jede Farbe gewichen. Dies war offensichtlich alles neu für sie. Ich legte sanft eine goldene Hand auf ihren Arm, um ihr zu bedeuten, ihren Zorn im Zaum zu halten, bis wir alles gehört hatten. Dass noch mehr kommen würde, konnte ich in Trumans Gesicht lesen.
»Alle Unerwünschten eliminieren?«, fragte ich. »Das klingt nach einem gewaltigen Unterfangen.«
»Oh, das ist es auch!«, bestätigte Truman, immer noch lächelnd. »Aber wir haben einen guten Anfang gemacht. Möchten Sie es sehen?«
»Ja«, sagte ich.
»Ja«, sagte Molly.
Truman kicherte. »Warum nicht? Lassen Sie mich Ihnen die Zukunft zeigen, Molly! Sie werden sie … lehrreich finden. Kommen Sie mit, Sie alle!«, forderte er uns auf, sah dabei jedoch nur mich an. »Ich habe so lange auf jemanden gewartet, mit dem ich das hier teilen kann, Edwin. Jemanden, der verstehen würde. Kommen Sie mit, Edwin Drood, und sehen Sie, worum es sich beim Manifesten Schicksal eigentlich handelt!«
Solomon Kriegk war ganz und gar nicht glücklich über diese Entwicklung, doch Truman überstimmte ihn, wobei er am Ende recht scharfe Worte wählte. Also führte Kriegk uns zu den Ebenen unter den Bunkern in große Höhlen, die sie selbst aus dem Felsboden gehauen hatten, um das wichtigste Geheimnis des Manifesten Schicksals aufzunehmen. Etwas, das vor dem Fußvolk versteckt werden musste. Kriegk und Truman gingen voran, und ich folgte ihnen mit Molly und den beiden anderen hinter mir. Endlich steuerten wir auf das wahre Herz des Labyrinths zu, wo die letzte Wahrheit ihrer Enthüllung harrte.
Wir stiegen schweigend im Gänsemarsch über nackte Steintreppenschächte nach unten. Was immer vor uns lag, wir alle konnten fühlen, dass es näher kam - und es fühlte sich sehr kalt an. Molly hielt sich dicht hinter mir; ihr Gesicht war eine starre Maske. Truman tänzelte vor uns her und summte leise eine fröhliche Weise, die nur für ihn Sinn ergab.
Schließlich kamen wir in einer mächtigen Steinkaverne heraus, deren größter Teil im Dunkeln lag. Die Luft war kalt und feucht, und der Geruch erinnerte mich an die Abwasserkanäle. Es war ein kranker, fauliger Gestank, voller Schmutz und Schmerz und Tod. Sogar Mr. Stich rümpfte die Nase. Keiner von uns sagte etwas. Wir alle wussten, dass wir an einen bösen Ort gekommen waren, wo böse Dinge geschahen. Wir alle außer Truman, der immer noch seine fröhliche Weise summte. Mit einer großspurigen Geste schaltete er sämtliche Lichter auf einmal ein, und der Inhalt der Kaverne lag beleuchtet vor uns. Wir standen auf einem schmalen Laufgang auf halber Höhe der Höhlenwand und blickten auf eine lange Reihe von Zellen hinab, jede mit ihrem eigenen niedergeknüppelten Bewohner. Es erinnerte mich an Dr. Dees Anstalt in der Harley Street, außer dass es hier keine Käfige gab. Nur lange Reihen und Blöcke von Betonboxen mit nackten Betonböden und Toren aus Kalteisen. Keine Betten oder Stühle, nicht einmal Stroh auf den Betonböden; nur Gitterroste aus Eisen, um einige der Abfälle davonzutragen.
»Davon hab ich nichts gewusst!«, flüsterte Molly mir zu. »Ich schwöre, dass ich nichts davon gewusst habe!«
»Kommen Sie und sehen Sie, kommen Sie und sehen Sie!«, forderte Truman uns aufgeräumt auf und führte uns vom Laufgang herunter. Wir folgten ihm nach unten, und er ging fröhlich vor uns den Mittelgang entlang und präsentierte uns stolz den Inhalt seiner Zellen. Das Erste, was er uns zeigte, war ein Werwolf in voller Wolfsgestalt. Über zwei Meter von Kopf bis Schwanz, mit silbergrauem Fell, lag er mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Rücken auf dem Betonboden, festgehalten von Silbernägeln durch alle vier Gliedmaßen, wie ein auf dem Seziertisch ausgebreitetes Exemplar. Er winselte mitleiderregend, als wir hineinblickten.
»Wir müssen das machen«, erklärte Truman. »Andernfalls nagen sich die Bestien die eigenen Gliedmaßen ab, um zu entkommen. Tiere! Dennoch sind sie nicht lang genug hier, um schon viel gelitten zu haben.«
Alles, was ich sehen konnte, war das elementare hündische Leiden in den gefangenen Augen der Kreatur. Ich hatte nichts für Werwölfe übrig; zu viele ihrer halbgefressenen Opfer hatte ich in Dörfern und kleinen Städten schon gesehen. Aber das hier … auf diese Art behandelte man nicht einmal einen gehassten Feind.
Weiter die Reihe hinunter waren Vampire mit hölzernen Pflöcken, die ihnen mit Hämmern durch Arme und Beine getrieben worden waren, an den Betonwänden festgenagelt. Matt fletschten sie die Zähne und schnappten nach uns; das andauernde Leiden hatte alle Intelligenz aus ihrem Geist vertrieben. Dann kamen Elbenlords, ihres üblichen Staats beraubt und nackt bis auf die Haut, festgehalten von schweren Stahlketten. Das Kalteisen brannte sich schrecklich in ihr blasses Fleisch, wo es damit in Berührung kam, und verkohlte es bis auf die Knochen, aber nicht einer der Elben ließ sich zu etwas anderem herab, als uns höhnisch anzugrinsen, als wir hineinschauten: Ihren Stolz hatten sie immer noch. Greifen mit herausgeschnittenen Augen winselten erbärmlich in ihren Zellen. Sie mochten nicht mehr in die Zukunft blicken können, aber sie wussten alle, was auf sie zukam. Da war ein Einhorn, dessen Pracht sehr abgenommen hatte, denn man hatte ihm die Flügel gebrochen und sein Horn rücksichtslos aus der Stirn gerissen. Und ein Wasserelementargeist, der zu einer Eisstatue gefroren war. In seinen festen Augen lag noch entsetzliches Bewusstsein.
Kaltäugige, kühlgraue Eidechsenmänner von den stillen unterirdischen Wegen unter Südlondon; rauchgraue Gargoylen, geraubt aus den wenigen Kirchen und Kathedralen, die sie noch heimsuchten. Ein tonhäutiger Butzemann, dem beide Arme und Beine gebrochen worden waren und der sich über den Betonboden hin und her schleppte. Und etwas mit dem Gestank des Höllenschlunds an sich: ein echtes Halbblut, geboren aus der Wollust eines Dämons. Ein Sukkubus nimmt Samen auf von einem Mann, mit dem er schläft, und wechselt dann zu seiner männlichen Form, einem Inkubus, und legt diesen gestohlenen Samen in einer aufnahmebereiten Frau ab. Das Ergebnis: ein Menschenkörper mit einer Dämonenseele. Halb von dieser Welt und halb von der darunter. Sie kämpfen für die eine Seite oder die andere, beides und keins davon, und sie sind nicht annähernd so selten, wie sie es sein sollten. Dieses Halbblut wurde von einem Pentagramm in Schach gehalten, das tief in den Betonboden eingeritzt worden war.