Er neigte huldvoll den Kopf. »Selbstverständlich, meine Liebe. Sie wird bei mir sicher sein. Sie haben mein Wort darauf.«
Und eigenartigerweise glaubte ich ihm. Ich nahm nicht an, dass er Molly belügen würde. Er bot U-Bahn-Ute seinen Arm an, und sie stützte sich dankbar darauf. Molly öffnete ein Raumportal, und wir schafften die überlebenden Gefangenen so schnell wir konnten hindurch. Ich sah in einem fort um mich, gefasst auf einen neuerlichen Überraschungsangriff, doch der erfolgte nicht. Die große Kaverne blieb so still wie ein Massengrab. Am Ende waren nur noch Molly und ich übrig.
»Jetzt hätten wir also zwei Todfeinde auf unsern Fersen«, sagte ich. »Meine Familie und das Manifeste Schicksal. Dieser Tag wird immer besser! Gibt es überhaupt noch jemand, dem wir trauen können?«
»Vielleicht«, sagte Molly. »Ein paar Namen fallen mir schon ein. Aber auch wenn es nur Sie und ich wären, würde ich nicht klein beigeben oder mir die Augen aus dem Kopf weinen. Ich will Gerechtigkeit, auch wenn ich alle anderen auf der Welt töten muss, um sie zu bekommen!«
»Wissen Sie«, meinte ich, »Sie hätten eine gute Drood abgegeben.«
»Das ist aber jetzt schlichtweg gemein!«, beschwerte sie sich.
Wir gingen durch das Portal, zurück nach oben in die kalte, saubere Luft Londons.
Kapitel Dreizehn
Der Feind in meinem Bett
Molly und ich kamen exakt an der Stelle aus dem Portal, wo ich sie gebeten hatte, uns abzusetzen: bei den Greenwich Docks, direkt unterhalb jenes großartigen alten Segelschiffs, der Cutty Sark. Der Tag war noch nicht im Anbruch begriffen und die Luft köstlich kühl und klar nach der ungesunden Atmosphäre der Gefängnispferche des Manifesten Schicksals. Die hohen Masten des Cutty-Sark-Schifffahrtsmuseums zeichneten sich scharf vor dem sternenklaren Himmel ab. Ich ließ meine Blicke in beide Richtungen über den steinernen Kai schweifen, aber die Docks waren wie ausgestorben. Und das war auch völlig richtig so; normale Menschen lagen jetzt noch im Bett, und ich war fest entschlossen, ihnen so bald wie möglich nachzueifern. Es war ein langer Tag und eine lange Nacht gewesen, dank der einen oder anderen Sache.
»Sie bringen mich ja an die nettesten Orte, Eddie!«, meinte Molly. »Dürfte ich fragen, was zum Teufel wir hier verloren haben, wo selbst gefallene Engel ohne bewaffnete Leibwächter und schriftlichen Passierschein sich zu schreiten fürchten würden?«
»Greenwich ist heutzutage wirklich ganz zivilisiert«, entgegnete ich. »Praktisch luxussaniert, mancherorts. Ich habe ein Hausboot hier liegen, das nicht nur allen Erfordernissen eines Zuhauses gerecht wird, sondern auch dessen Annehmlichkeiten bietet. Ein weiterer meiner sicheren Plätze, wenn ich die ausgetretenen Pfade verlassen und mich vor allen verstecken muss, sogar vor meiner Familie.«
»Sie wissen nichts von diesem Hausboot?«
»Sie haben nie gefragt. Meine Familie hat sich nie darum gekümmert, wie ich machte, was ich machte, solange ich machte, was man mir sagte. Hier entlang!«
Ein Spaziergang von wenigen Minuten brachte uns zu meinem Hausboot, der Lucky Lady; nur einem unter ein paar Dutzend Barkassen und Hausbooten, die am Kai festgebunden waren. Eine ziemlich wenig teure Möglichkeit, in einem teuren Teil Londons zu wohnen. Man findet hier eine Menge Schauspieler.
Die Lucky Lady tanzte träge auf dem dunklen, teerigen Wasser; sie selbst war in Rennrot und Grün gestrichen und ihre ganzen Messingarbeiten glänzten im gelben Licht der Straßenlaternen. (Ich habe ein kleines Heinzelmännchenwesen, das jede zweite Woche vorbeischaut und das alte Boot rein hält; dafür lasse ich ihm eine Schale Single Malt Whiskey stehen. Ich halte viel davon, die alten Traditionen hochzuhalten - besonders wenn das bedeutet, dass ich nicht mit dem Duraglit auf alle viere heruntergehen muss. Ich hasse es, Messing zu polieren.)
Ich hätte Molly lieber in meine hübsche Wohnung in Knightsbridge mitgenommen, aber das wagte ich nicht: Meine Familie wusste von der Wohnung. Bestenfalls hatten sie Agenten vor Ort, die aufpassten und warteten, für den Fall, dass ich dumm genug wäre, mein Gesicht dort zu zeigen. Schlimmstenfalls - und sehr viel wahrscheinlicher - hatten sie die Wohnung schon auseinandergenommen auf der Suche nach Hinweisen oder belastenden Dokumenten, die sie darauf brächten, wo ich war und was ich vielleicht gerade machte. Ich kannte das Prozedere; ich hatte es selbst oft genug angewandt. Na ja, sollten sie suchen. Ich ließ nie etwas von Wert in meiner Wohnung zurück. Oder sonst wo, um genau zu sein. Ein Frontagent muss bereit sein, jederzeit von allem wegzugehen und nie zurückzublicken. Wir dürfen nicht sentimental sein oder Bindungen entwickeln. Unsere einzigen Wurzeln sind in der Familie. Dafür sorgt die Familie.
Das war ungefähr der Sinn meiner Worte zu Molly, und sie nickte.
»Sie haben wahrscheinlich Ihr ganzes gutes Zeug in Stücke geschlagen, aus reiner Gehässigkeit. Ich habe gesehen, wie Ihre Familie vorgeht. Wissen Sie ganz genau, dass dort nichts ist, mit dessen Hilfe sie Sie aufspüren können? Ich könnte Sie überall finden, ich brauche bloß irgendeinen Gegenstand in Händen zu halten, der einmal Ihnen gehört hat.«
»Nicht, solange ich den Torques trage«, sagte ich. »Meine Rüstung schirmt mich vor allem ab.«
Ich half Molly auf das Deck meines Hausboots hinunter und sprang dann leichtfüßig neben sie. Molly betrachtete mich nachdenklich.
»Ihre Rüstung kommt von Ihrer Familie. Sind Sie sicher, dass sie nicht doch eine geheime Möglichkeit haben, Sie durch die Rüstung zu finden?«
»Absolut sicher! Das war schon immer unsere Stärke und unsere Schwäche. Dieselbe Rüstung, die uns so mächtig macht, isoliert uns auch von allem anderen in der Welt.«
»Dann sind Sie also immer allein?«
»Ja. Das ist der Grund, weshalb so wenige Droods draußen in der Welt zurechtkommen, fern von den allumfassenden Armen der Familie. Kommen Sie, es ist kalt hier draußen. Lassen Sie uns nach unten gehen!«
Ich öffnete die Luke, und wir stiegen in das luxuriös ausgestattete Innere der Lucky Lady hinab. Egal wo ich wohne, ich wohne gern gut. Ich hatte das Hausboot vor einigen Jahren bei einem Pokerspiel mit einem vom Pech verfolgten Privatdetektiv gewonnen; am Ende musste das arme Schwein in seinem eigenen Büro wohnen. Geschah ihm ganz recht; er hatte versucht zu betrügen. Es gibt nichts, was mir mehr Spaß macht, als einen Betrüger zu prellen. Ich kann Extraasse aus Stellen herausziehen, die Sie mir nicht glauben würden!
Ich machte mir in dem alten Wohnbereich zu schaffen, entzündete die alten Schiffssturmlaternen und stellte die Dochte ein, bis das Innere des Hausboots von einem warmen, goldenen Schein erfüllt wurde. Molly oohte und aahte angesichts der aufwendigen Ausstattung und mannomannte beifällig ob der Zeitalterdetails. Die Lucky Lady hat keinen neuzeitlichen Komfort, keine Elektrizität. Der springende Punkt beim Aufenthalt auf dem Hausboot war, von der modernen Welt abgeschnitten zu sein. (Es gibt eine chemische Toilette. Und einen tragbaren CD-Spieler. Es hat keinen Zweck, in diesen Dingen ein Fanatiker zu sein.) Schließlich ließen wir beide uns auf der bequem gepolsterten Chaiselongue nieder, und zum ersten Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit entspannte ich mich.
»Es gefällt mir, wie Sie wohnen, Eddie«, sagte Molly und zog die Beine unter sich an. »Es ist so … so nicht Sie! Ein bisschen einsam allerdings.«
»Das ist der Sinn der Sache«, meinte ich.
Sie schaute mich ernst an. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für Sie sein muss, ein so einsames Leben zu führen - so abgeschnitten von allem und jedem. Nie jemandem vertrauen zu können, der nicht Familie ist.«
»Das kommt mit der Arbeit«, sagte ich. »Und nachdem ich in einem Herrenhaus aufgewachsen war, das vor Familie aus den Nähten platzte, war ich froh, fortzukommen.«