»Hat es denn nie …jemand anders gegeben? Jemand, der Ihnen etwas bedeutete?«
»Nein. Nie. Ich kann niemand zu nahe kommen, ohne ihm zu verraten, was ich mache. Und das erlaubt die Familie nicht. Ehe, sogar … Freundschaften finden nur nach dem Ermessen der Familie statt. Sie müssen genehmigt werden. Besonders bei jenen von uns, die im Außendienst arbeiten und zugänglich für die Versuchungen der Welt sind. Von dem Moment an, wo wir geboren werden und sie unseren Säuglingshälsen den goldenen Torques auferlegen, gehören wir der Familie - mit Leib und Seele. Ich wohne allein, wo immer ich wohne, und wenn ich auch vielleicht von Zeit zu Zeit Leute einlade, mich zu besuchen, so dürfen sie doch nie bleiben. Zu ihrer eigenen Sicherheit.«
»Also … keine Freundinnen? Keine Lebensgefährtinnen? Keine echten Freunde? Was für eine Art von Leben ist das?«
»Ein Leben des Dienstes an einer größeren Sache«, antwortete ich. »Das war es, was ich glaubte. Was mir beigebracht worden war. Wie hätte ich wissen sollen, dass das alles eine Lüge war?«
»Gibt es hier etwas zu Essen oder zu Trinken?«, wechselte Molly netterweise das Thema. »Ich könnte einen Happen vertragen, falls Sie was dahätten.«
»Selbstverständlich!«, sagte ich. »Lassen Sie mich nur schnell ein paar Brotkäfer aus dem Schiffszwieback klopfen!«
Ich machte mich daran, mithilfe der Konservendosen, die ich immer vorrätig habe, eine bescheidene kalte Mahlzeit zu organisieren, und öffnete eine Flasche Brandy, die ich für medizinische Notfälle aufbewahre. Molly beschäftigte sich inzwischen damit, meine CD-Sammlung durchzusehen und abfällige Kommentare über meinen Musikgeschmack von sich zu geben.
»Was ist das denn? Kein Hawkwind, kein Motörhead, nicht mal was von Meat Loaf? Bloß … Judy Collins, Mary Hopkin und Kate Bush …«
»Ich mag Sängerinnen«, erklärte ich, während ich mit einem Tablett hereinkam.
»Na schön, ich werde Ihnen ein paar meiner Within-Temptation-Importe ausleihen; die werden Ihnen gefallen. Es ist eine holländische Band mit einer großartigen Sängerin; ein bisschen wie ABBA auf Crack.«
»Hm«, meinte ich. »Das ist doch mal was, worauf man sich freuen kann!«
Wir fielen mit gesundem Appetit über unser Essen her. Molly schlang ihres hinunter, womit sie sich meine stille Anerkennung verdiente. Ich kann Leute nicht ausstehen, die in ihrem Essen herumstochern. Danach saßen wir zusammen, während der Brandy sich in unseren Mägen erwärmte, gesellig nahe, noch zu aufgedreht vom Adrenalinausstoß der Nacht, um schon zu schlafen. Also redeten wir von alten Zeiten, alten Fällen, wo wir immer auf verschiedenen Seiten gestanden hatten und uns ziemlich oft nach Kräften bemüht hatten, uns gegenseitig umzubringen. Es gibt manche Sachen, über die man nur mit alten Feinden reden
kann. Weil man da gewesen sein muss, um zu verstehen.
Der Fall des Millennium-Upgrades war ein klassischer Schlamassel von beinah legendären Ausmaßen. Meine Familie erfuhr, dass ein ziemlich bedeutender deutscher Wissenschaftler im Begriff war, von Vril Power Inc. in München abzufallen und nach London gekommen war, um die Früchte seiner Forschungen an den Meistbietenden zu verkaufen. Damit spielte die Sache in meinem Territorium, und ich wurde aufs Feld geschickt, um sicherzustellen, dass seine Arbeit an jemanden ging, den die Familie akzeptierte. Oder um den Wissenschaftler ohne Rücksicht auf Verluste auszuschalten, sollte ihm nicht nach Kooperation zumute sein.
Wir geraten normalerweise bei Industriespionage nicht so aus dem Häuschen, aber Herr Doktor Herman Koenig arbeitete an einer zukunftsweisenden Technologie der Schnittstelle von Computer- und Menschenverstand und hatte offenbar eine Methode entwickelt, direkten Kontakt zwischen menschlichem Denken und Rechnerleistungsfähigkeit herzustellen. Theoretisch konnte daraus eine Kombination aus beiden resultieren, die ein Ganzes hervorbringen konnte, das weit größer als die Summe seiner Teile war. Eine ganze Menge Leute war bereit, eine ganze Menge Geld für die Alleinrechte an so einem Verfahren zu bezahlen, daher oblag es mir, sicherzustellen, dass nur die richtige Art von Person es in die Hände bekam. Oder gar keine. Meine Familie kann in manchen Sachen sehr missgünstig sein, auch wenn sie selbst gar nichts damit anfangen kann.
Doktor Koenig hatte sich ein behelfsmäßiges Laboratorium in einer nicht mehr benutzten Denkfabrik der Regierung im alten Bradbury Building eingerichtet, nur ein Stückchen unterhalb vom Centre Point. Dort einzubrechen war ein Kinderspiel. Ich war die Art von Sicherheitsmaßnahmen gewohnt, die einem einen Dämon aus der Hölle entgegenwirft, wenn man es falsch anstellt. Elektronische Schlösser und Bewegungsmelder spielen nicht wirklich in derselben Liga. Herr Doktor hatte nicht mal für ein paar bewaffnete Wachen geblecht, der alte Geizkragen. Ehrlich, manche Leute verdienen alles, was ihnen zustößt!
Gute drei Stunden vor dem geplanten Beginn der Auktion ließ ich mich in die Eingangshalle des Bradbury Buildings hinein und machte ohne Schwierigkeiten meinen Weg durch das stille Gebäude nach oben. Alle anderen waren heimgegangen, nichts ahnend von dem bevorstehenden Drama. Ich rüstete hoch und trabte mühelos die vierundvierzig Treppenfluchten bis zum Stockwerk des Doktors hoch. (Niemals einem Aufzug trauen!) In diesem Fall rechnete ich nicht mit ernst zu nehmendem Widerstand.
Ich wusste nicht, dass Molly Metcalf sich bereits im Gebäude befand.
Sie war mittels eines abgeschirmten Teleportationszaubers auf dem Dach angekommen, hatte sich hereingelassen und war selbst auf dem Weg nach unten. Sie war da, um Doktor Koenig vor Störungen von außen zu beschützen. Nicht, weil sie etwas von der eigentlichen Bedeutung des Computer/ Menschenverstand-Interfaces verstanden hätte - oder, wäre das der Fall gewesen, es gutgeheißen hätte -, sondern weil sie leidenschaftlich an das Recht der Menschen glaubte, sich selbst mit allen möglichen Mitteln zu verbessern und dadurch dabei zu helfen, die Welt von der Drood-Kontrolle zu befreien.
Stimmt, sagte Molly an diesem Punkt. Computer sind mir ein Rätsel. Ich kann gerade mal meine E-Mail bearbeiten, und das war's auch schon. Obwohl es mir Spaß macht, auf nicht ganz astreinen Pornosites zu surfen.
Also: Wir stürzten beide im selben Moment ins Labor des Doktors, erschreckten den Kerl zu Tode und blieben dann jäh stehen, um uns gegenseitig wütend anzufunkeln. Ich kannte Molly vom Hörensagen, und natürlich erkannte auch sie augenblicklich die goldene Rüstung. Wir schlugen mit jeder Waffe aufeinander ein, die wir hatten, entfesselten Energien und Kräfte, die für jeden anderen außer uns sofort tödlich gewesen wären. Doktor Koenig schrie hysterisch auf Deutsch herum und versuchte, seine kostbare Ausrüstung mit dem eigenen Körper zu schützen. Das Ganze eskalierte sehr schnell … und wir ließen es buchstäblich krachen. Das Bradbury Building bröckelte einfach auseinander und zerfiel unter der Gewalt der Kräfte, die wir freisetzten. Das ganze Gebäude brach wie ein Kartenhaus in Schutt und Asche zusammen. Molly und ich kamen natürlich völlig unversehrt heraus, aber Herr Doktor Koenig war dahin und seine ganze Ausrüstung mit ihm. Zwar gab man ihm die Schuld an der Explosion, aber es war trotzdem nicht gerade eine meiner Glanzleistungen. Gewisse Personen in meiner Familie äußerten sich anschließend sehr bissig.
Und so lernte ich die wilde Hexe Molly Metcalf kennen.
Die letzte Mission, bei der wir aneinanderrasselten, war der Fall des wiedergeborenen Pendragons. Es schien, als ob sämtliche Präkogs und Medien des Landes, die etwas taugten, aufgeregt über die Rückkehr des Pendragons berichteten: dass Artus wiedergeboren worden war und bald anfangen würde sich zu erinnern, wer er wirklich war. Und schon war alles auf den Beinen, um ihn als Erstes zu finden und für sich zu beanspruchen.
Und die arme Socke einer Gehirnwäsche im Sinne ihrer jeweiligen Sache zu unterziehen, unterbrach Molly.