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»Sollen sie ruhig!«, sagte ich. »Das spielt keine Rolle. Ich bezweifle, dass ich noch einmal hierherkommen werde. Wir können es uns nicht mehr leisten, offen durch London zu reisen. Mittlerweile werden sowohl meine Familie als auch das Manifeste Schicksal die Stadt mit Agenten bevölkert haben, die nach uns suchen. Erzähl mir von diesem … Seltsamen John!«

»Er lebt draußen in Flitwick«, sagte Molly, ohne mir dabei direkt in die Augen zu sehen. »Netter kleiner Pendlerort ein Stück außerhalb des eigentlichen Londons.«

»Da gibt es doch etwas, was du mir nicht erzählst!«

»Es gibt viel, was ich dir nicht erzähle. Aber das hier - du musst dir das wirklich selbst anschauen, Eddie.«

»Also schön«, sagte ich. »Lass uns gehen!«

* * *

Das Portal setzte uns knapp außerhalb einer kleineren Ortschaft auf der Kuppe eines grasbedeckten Hügels ab, der Aussicht auf einen alten georgianischen Herrensitz gewährte, welcher von weitläufigen Anlagen umgeben war. Vögel sangen fröhlich unter einem strahlend blauen Himmel, und die Luft des frühen Morgens war frisch und klar. Alles ganz wie auf einer Ansichtskarte, bis auf die hohe Steinmauer, die die Anlagen des Herrensitzes umgab und deren Krone mit Eisenspitzen und Stacheldrahtrollen bewehrt war. Der einzige Weg hinein führte durch ein mächtiges Eisentor, das schwer genug war, um einen Panzer zum Stehen zu bringen. Als ich über die hohen Mauern schaute, konnte ich noch eben so Leute ausmachen, die in den Anlagen hin und her spazierten. Alles sehr beschaulich. Aber selbst aus dieser Entfernung wirkte der Herrensitz streng und bedrohlich, und an den Menschen in den Anlagen war etwas … falsch. Etwas an der Art, wie sie sich bewegten, langsam und ziellos, ohne miteinander zu interagieren. Ich schaute Molly an.

»Also gut«, sagte ich. »Lass hören! Zu was für einem Ort hast du mich da gebracht?«

»Dies sind die Glücklichen Gefilde«, erklärte Molly ruhig, »eine Hochsicherheitsanlage für kriminelle Geisteskranke. Die Einheimischen nennen sie Fröhliches Delirium.«

»Und unser Vogelfreier ist da drin? Was ist er, verrückt?«

»Ja und nein«, antwortete Molly. »Das musst du schon selbst herausfinden. Die Stellung des Seltsamen John hier ist … kompliziert.«

Wir machten uns auf den Weg den Hügel hinunter, rutschten und schlitterten über Gras, das noch nass vom Morgentau war, und lenkten unsere Schritte auf die Anstalt für kriminelle Geisteskranke zu. Mit einem Mal sah das schwere Eisentor nicht mehr annähernd schwer genug aus. Ich studierte den Herrensitz unschlüssig, bis die emporsteigenden Steinmauern ihn meinen Blicken entzogen. Ich war noch nie in einem Irrenhaus gewesen und nicht sicher, was ich erwarten sollte. Wenn Droods ernsthaft verrückt werden, töten wir sie. Das müssen wir; die Rüstung macht sie viel zu gefährlich. Wie Arnold Drood, den Blutigen Mann. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass der Dreckskerl uns so lange an der Nase herumführen konnte! Molly und ich kamen am Fuß des Hügels an, und ich blieb etwas hinter ihr zurück, während sie auf den Eingang zusteuerte. Ich machte nicht bewusst langsamer; es war einfach nur so, dass Molly den Weg kannte.

»So«, sagte ich. »Kriminelle Geisteskranke. Sprechen wir über … Axtmörder und dergleichen?«

»Oh, mindestens!«, meinte Molly aufgeräumt. »Aber keine Sorge; ich bin sicher, sie werden dir alle das Gefühl geben, ganz zu Hause zu sein!«

Wir blieben vor dem Eisentor stehen, das von Nahem noch größer schien. Es sah aus, als ob es in einem Stück gegossen worden sei, mit Gitterstäben so dick, dass man sie mit einer Hand nicht umfassen konnte. Seine Ausführung war nüchtern und rein funktional; es war da, um die Insassen im Inneren zu halten, sonst nichts. Molly drückte auf den Summer, der in die dicke Steinsäule neben dem Tor eingelassen war, und nach einer übermäßig langen Pause kam ein korpulenter Mann in weißer Krankenhauskleidung herüber, um uns durch das Tor misstrauisch anzustarren. Der Ledergürtel um seine dicke Taille beinhaltete ein Funkgerät, Pfefferspray und einen langen, schweren Gummiknüppel.

»Hallo, George!«, begrüßte Molly ihn ungezwungen. »Erinnern Sie sich noch an mich? Ich bin hier, um meinen Onkel John nochmal zu besuchen. John Stapleton.«

»Sie kennen die Prozedur, Molly«, erwiderte George mit überraschend sanfter und angenehmer Stimme. »Sie müssen mir einen datierten und unterschriebenen Erlaubnisschein von der Krankenhausverwaltung vorzeigen.«

»Oh, sicher!«, sagte Molly. Sie hielt eine leere Hand vor ihm hoch, und er beugte sich näher heran, um genauer hinzusehen; seine Lippen bewegten sich langsam, als er die Einzelheiten auf einem nicht existierenden Erlaubnisschein las. Schließlich nickte er, und Molly nahm die Hand schnell wieder herunter. George beschäftigte sich mit einem elektronischen Schloss auf der anderen Torseite, und das Geräusch schwerer Metallriegel, die zur Seite glitten, war zu hören. Das Tor schwang auf versteckter Hydraulik stoßfrei auf, und Molly ging voran in die Parkanlagen. Hinter uns schwang das Tor zu und schloss uns mit den Insassen ein.

»Soll ich im Haus anrufen und eine Begleitung anfordern, die Sie den Rest des Weges führen kann?«, fragte George, dessen Hände an seinem Gürtel in der Nähe des Pfeffersprays und des Schlagstocks lagen.

»Nein, schon in Ordnung, George«, erwiderte Molly. »Ich kenne den Weg.«

Ich muss wohl ein bisschen besorgt ausgesehen haben, denn George lächelte mir beruhigend zu. »Ihr erster Besuch? Keine Angst! Keiner der Patienten wird Sie belästigen! Bleiben Sie einfach nur auf dem Weg, und es wird Ihnen nichts passieren.«

Wir machten uns auf und gingen den breiten Kiesweg hoch. »Was war denn das mit der leeren Hand?«, fragte ich leise.

»Elementarer Illusionszauber«, erklärte Molly munter. »Lässt die Leute sehen, was sie sehen wollen.«

»Onkel John!«, sagte ich mit einiger Betonung. »Und den Namen des Wärters hast du auch gekannt. Bist du rein zufällig vielleicht eine regelmäßige Besucherin hier?«

»Treffer, Sherlock! Durch Zufall fand ich heraus, wer der Seltsame John tatsächlich ist, und seitdem habe ich es für mich behalten. Ich hoffte, ich könnte mich seiner bedienen, um ein bisschen nützlichen Schmutz über seine Familie ans Tageslicht zu bringen. Irgendein geheimes Stück Insiderwissen, das ich als Waffe einsetzen könnte.«

»Und?«

Sie blickte mich kurz mit unlesbarer Miene an. »Warte, bis du ihn kennenlernst, dann wirst du es verstehen.«

Ausgedehnte, fast totgemähte und -kultivierte grüne Rasenflächen erstreckten sich zu beiden Seiten des Weges. Patienten in Morgenmänteln mit wilden Haaren und leeren Augen wanderten teilnahmslos hin und her und schöpften frische Luft. Eine Hand voll gelangweilt aussehender Wärter in weißer Krankenhauskleidung genoss eine Zigarettenpause beim Zierbrunnen. Einige Patienten murmelten vor sich hin. Einige machten nur Geräusche. Keiner von ihnen sah wie ein Axtmörder aus. Und keiner warf auch nur einen Blick auf Molly und mich; sie waren in ihre eigenen privaten Welten vertieft.

Als Molly und ich uns dem großen Haus näherten, erkannte ich, dass die Fenster alle mit Stangen vergittert und mit schweren Metallläden versehen waren, die bei Bedarf zugeklappt werden konnten. Schwenkbare Außenkameras verfolgten unser Herannahen. Das Hauptportal sah sehr stabil und sehr verschlossen aus. Molly beugte sich über das elektronische Kombinationsschloss, das sich in dem Pfosten neben der Tür befand, und tippte vier Zahlen ein.

»Man sollte denken, sie würden die Nummer von Zeit zu Zeit ändern«, sagte sie mäkelig. »Oder sich wenigstens eine anständige Kombination einfallen lassen. Ich meine, solange ich hierherkomme, ist es schon 4321; bloß damit das Personal keine Schwierigkeiten hat, sich im Notfall daran zu erinnern. Jeder x-Beliebige könnte sie erraten! Zumindest jeder x-Beliebige mit der normalen Anzahl von Tassen im Schrank. Ich würde ja einen ernsten Brief an den Anstaltsdirektor schreiben, aber man kann ja nie wissen - eines Tages muss ich vielleicht mal hier einbrechen. Oder aus.«