Mit Hilfe meiner Rüstung kann ich in jedes Geschäft einbrechen und mitnehmen, wonach mir gerade der Sinn steht. Und das mache ich auch. Alarmanlagen und Sicherheitssysteme haben keine Bedeutung für mich, wenn ich in meiner Rüstung stecke. Ich komme und ich gehe und ich nehme mir, was ich will, und niemand merkt etwas davon, bis es viel zu spät ist. Scotland Yard - steht wieder einmal vor einem Rätsel! Ich habe die allerbesten Antikmöbel, alles vom Louis-quinze-Stuhl bis hin zum Hepplewhite-Sideboard. Berühmte Gemälde in ihren Originalrahmen! Was immer meine Aufmerksamkeit erregt; nichts ist vor mir sicher.
Weißt du, wie ich das alles aufspüre? Ich mache es mir einfach zur Aufgabe, regelmäßig die besten Auktionen zu besuchen und mir zu notieren, wer was kauft. Es gibt zwar immer welche, die sich hinter anonymen Geboten verstecken, aber die Sicherheit der Auktionshäuser ist ein Witz für unsereins, Eddie. All die schönen Dinge in dieser Wohnung gehörten ursprünglich jemand anderem, der sie nicht behalten konnte - sie vermutlich ohnehin nicht zu schätzen wusste. Nicht annähernd so sehr wie ich. Ich bin sicher, hier bei mir sind die schönen Dinge alle viel zufriedener!«
»Augenblick mal!« Molly pirschte sich an einen Beistelltisch heran und schnappte sich die stilisierte Statuette einer schwarzen Katze. »Die gehört mir, du Dreckskerl! Ich hab mich immer gefragt, was mit ihr passiert ist … Das hier ist die Manxkatze von Bubastis! Ich bin durch alle möglichen Höllen gegangen, um sie in die Finger zu kriegen, und dann ist sie vor vier Jahren einfach aus meiner alten Wohnung verschwunden!«
»Tatsächlich?«, meinte Sebastian ungezwungen. »Ich erinnere mich ehrlich nicht mehr daran, wo ich dieses spezielle Stück erworben habe.«
»Es gehört mir!«, wiederholte Molly bedrohlich.
»Es gehört dir nur, wenn du es behalten kannst, Molly-Liebes. Aber wenn du so viel Wirbel darum machen willst …«
»Diese Statuette verlässt mit mir diese Wohnung!«, erklärte Molly und kam gemessenen Schrittes an meine Seite zurück, die Manxkatze fest im Griff. »Und wenn ich nur ein Wort des Einspruchs von dir höre, Sebastian, dann reiße ich dir die Nippel ab!«
»Die liebe Molly«, sagte Sebastian. »Freundlich wie immer!«
»Ich dachte, wir wollten höflich sein«, sagte ich amüsiert.
»Sei du höflich!«, knurrte sie. »Mir würde er es eh nicht abnehmen. Die Manxkatze besitzt Kräfte, die ich schon vor langer Zeit in ihr angelegt habe; sie kann mir viele Energien zurückgeben, die ich unlängst aufgebraucht habe. Allerdings wird das eine Weile dauern.«
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Sebastian, den Mollys Aktion nicht im Geringsten aus der Fassung gebracht zu haben schien. »Wie konntest du dich so lange vor der Familie versteckt halten?«, fragte ich ihn. »Teufel auch, wie konntest du dich so lange vor mir versteckt halten?«
»Oh, ich bin ziemlich sicher, dass die Familie immer ungefähr gewusst hat, wo ich mich aufhalte«, sagte er lässig. »Aber selbst sie sind nicht so dumm, die Sache ins Wanken zu bringen. Siehst du, vor einigen Jahren ergriff ich die Vorsichtsmaßnahme, über die ganze Welt verteilt gewisse sehr detaillierte Informationspäckchen bei einer Reihe von Journalisten und anderen interessierten Parteien zu hinterlegen. In gut verschlossenen Kästchen, die so eingestellt sind, dass sie sich im Fall meines Todes automatisch öffnen. Nicht einmal unsere Familie konnte sicher sein, allen davon habhaft zu werden, also ließ sie mich in Ruhe. Genau genommen täte sie sogar gut daran, dafür zu sorgen, dass mir nichts zustößt …«
»Wie überaus … praktisch«, sagte ich. »Aber du könntest immer noch bei einem Unfall umkommen. Was dann?«
Er zuckte die Schulter. »Wenn ich tot bin, ist es mir egal. Ich bin sicher, die Familie wird sich etwas einfallen lassen. Das tut sie immer.« Er sah mich nachdenklich an. »Ich glaube wirklich nicht, dass ich dir helfen kann, Eddie. Was immer du auch willst, ich kann es dir nicht besorgen. Die Familie ist sehr verärgert wegen dir, und ich habe keine Lust, zwischen die Fronten zu geraten. Dieser Tage passe ich nur noch auf mich selbst auf. Und bevor du fragst - nein, ich habe keine Ahnung, weshalb man dich für vogelfrei erklärt hat. Ich habe keinen Kontakt zu irgendjemanden in der Familie; ich spreche nicht einmal mit anderen Vogelfreien. Du verschwendest nur unser beider Zeit, indem du hier bist.«
»Aber warum hast du dich dann bereit erklärt, mich zu sehen?«, wollte ich wissen und merkte, wie sich eine allmähliche, heiße Wut in mir aufbaute. »Ich habe keine Zeit zu verschwenden!«
Er lächelte mich spöttisch an. »Ich habe mich immer gefragt, ob du derjenige sein würdest, den sie schicken, um mich zu töten, falls sie jemals einen Weg finden, meine kleinen Vorsichtsmaßnahmen unbrauchbar zu machen. Du hast schließlich auch den armen Arnold getötet, und du hast die ganze Zeit über nur ein paar Häuser weiter gewohnt.«
»Wie hast du den Blutigen Mann getötet, Eddie?«, fragte Molly. »Ich meine, die Rüstung macht doch alle Droods unverwundbar, dachte ich?«
»Nur wenn wir sie anhaben«, antwortete ich. »Ich überwachte ihn, lernte seine Routine kennen und schoss ihm dann aus sicherer Entfernung mit einem Gewehr mit Zielfernrohr durch den Kopf. Er hat nie erfahren, dass ich da war, hatte nie die Chance hochzurüsten. Sehr effektiv, wenn auch nicht besonders ehrenhaft. Aber ich war damals viel jünger, und er war der Blutige Mann. Bei einem Mann wie ihm geht man kein Risiko ein.«
Sebastian lächelte. »Komisch, dass gerade du das sagst, Edwin.«
Plötzlich stach mir etwas in den Hals, im selben Moment, als ich das Fensterglas neben mir zersplittern hörte. Ich fing an, mich umzudrehen. Ich dachte: Ich bin angeschossen worden! Und dann knickten meine Beine unter mir ein, und ich sank sehr langsam auf die Knie. Ich griff mit einer Hand an meinen Hals, und sie schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis sie dort war. Der Schall wurde langsamer und meine Sicht verschwamm, als ob ich unter Wasser wäre. Meine taub werdenden Finger fanden einen gefiederten Pfeil in der Seite meines Halses, knapp über dem Torques, und mit letzter Kraft zog ich ihn heraus. Beruhigungsmittelpfeil, dachte ich, und das Wort schien in meinem Kopf hin und her zu echoen. Ich versuchte, meine Rüstung hochzurufen, aber meine Gedanken waren schon zu schwerfällig, um sich auf die aktivierenden Worte zu konzentrieren. Ich sackte zusammen, schlug in einem hilflosen Haufen auf dem Boden auf und spürte den Aufprall nicht einmal.
Das alles spielte sich in wenigen Sekunden ab. Molly warf sich neben mich, unter das zersplitterte Fenster, außer Schusslinie eventueller weiterer Pfeile. Sie legte mir die Hände links und rechts auf die Wangen und murmelte eindringlich etwas. Ich konnte ihre Berührung spüren, obwohl ich sonst nichts spüren konnte, und dann fühlte ich feine Zauberkräfte in mich fließen und gegen die Wirkung des Beruhigungsmittels ankämpfen. Mein Körper war immer noch taub, immer noch hilflos, aber ich bekam allmählich wieder einen klaren Kopf. Molly starrte wütend zu Sebastian hoch.
»Du Scheißkerl! Du hast uns verkauft!«
»Selbstverständlich«, sagte er mit sanfter Stimme, während er seine ganze Aufmerksamkeit dem Zurechtrücken eines Ärmelaufschlags widmete. »Das ist mein Metier. Aber sei versichert, dass ich einen sehr guten Preis bekommen habe. Für euch beide. Ein gewisser Mr. Truman vom Manifesten Schicksal war hocherfreut zu erfahren, wo und wann genau er euch mit Sicherheit finden kann. Ich rief ihn noch in dem Moment an, als ich mit dir zu reden aufhörte. Und dann brauchte ich euch nur noch zu unterhalten, bis seine Leute in Stellung waren.«