Die Tür sprang auf und ein Dutzend bewaffneter Männer flutete in die Wohnung, alle in der vertrauten schwarzen Uniform. Sie schauten sich rasch um, um Gewissheit zu haben, dass der Ort sicher war, wobei ihre Gewehre unentwegt auf Molly und mich gerichtet waren. Molly verhielt sich sehr still. Ich zuckte unmerklich mit den Fingern. Mollys Zauberkräfte bekämpften das Medikament, aber nur sehr langsam. Ich sah auf die Gewehre und fragte mich, warum die Soldaten nicht bereits am Schießen waren - ich an ihrer Stelle wäre es gewesen. Einer der Männer kniete neben mir nieder, fühlte den trägen Puls in meinem Hals und stand zufrieden wieder auf. Er brüllte durch die offene Tür, und seine Einheitsführerin kam hereingeschlendert. Und wäre ich nicht ruhiggestellt gewesen, ich hätte vor Schreck und Wut aufgeschrien.
Ich kannte die Einheitsführerin. Sie trug alte, abgenutzte Militärklamotten, die steif von getrocknetem, schwarzem Blut waren, das von Kämpfen in einer Höllendimension stammte. Sie trug ihr schwarzes Haar kurz geschnitten, damit Feinde es in einem Nahkampf nicht greifen konnten. Ihr narbiges Gesicht war nicht mehr hübsch und auch ihre nackten, muskulösen Arme waren von Narben überzogen. Ich wusste all diese Dinge über sie, weil ich sie kannte: Es war Janitscharen-Jane, eine alte Freundin und Kollegin von Molly und mir. Nur dass es nicht sie war. Nicht wirklich. Um den Hals trug sie an einer Kette ein kandarianisches Amulett, und das bedeutete, dass dies in Wahrheit mein alter Widersacher Archie Leech war.
Archie Leech, Körperusurpator und Serienseelenschänder, der einen weiteren gestohlenen Körper in Besitz genommen hatte. Nur hatte er diesmal jemanden genommen, der mir etwas bedeutete, zweifellos als Rache dafür, was ich ihm in jener Eingangshalle in der Harley Street angetan hatte. Archie/Jane stolzierte in Sebastians Wohnung hinein und grinste auf mich herab, wobei sie stolz das Gewehr schwenkte, mit dem sie auf mich geschossen hatte. Und dann schoss sie Sebastian auch einen Beruhigungspfeil in den Hals. Sebastian stürzte zu Boden, zappelte einen Moment lang unbeholfen rum und war dann still, auf seinem Gesicht ein fast komischer Ausdruck des Schreckens. Ich hätte gelacht, wenn ich gekonnt hätte: Der Verräter verraten! Archie spazierte mit übertrieben maskulinen Bewegungen zu ihm hin, die in Janes Körper völlig fehl am Platz wirkten.
»Das hättest du aber wirklich kommen sehen müssen, Sebastian! Allein zu leben hat dich verweichlicht. Immer den Gentleman-Dieb zu spielen. Bist großspurig geworden, hast geglaubt, keiner könnte dir etwas anhaben. Dir hätte doch klar sein müssen, dass zwei Droods immer mehr wert sein würden als einer.« Sie drehte sich abrupt wieder um, sah auf mich herab und lächelte zufrieden. »Wie findest du meinen neuen Körper, Eddie? Ich dachte, ich schlüpfe mal in was Bequemeres. Weißt du … ich hasse es, wenn du meine Körper zerstörst, bevor ich mit ihnen fertig bin. Bevor ich das letzte bisschen Spaß aus ihnen herausgequetscht habe. Also nahm ich diesmal große Mühen auf mich und nahm eine Freundin von dir, nur um zu beweisen, dass ich dir immer sehr viel mehr wehtun kann als du mir.«
Sie trat mir ein paarmal in die Rippen, bloß um seinen Standpunkt zu unterstreichen. Die Wucht der Tritte reichte aus, um mich vom Boden abheben zu lassen, aber ich spürte sie kaum. Meine Hände und Füße kribbelten und mein Gesicht war nicht mehr so gefühllos, aber das war auch schon alles. Mollys Magie wirkte. Mein Kopf wurde zuerst klar. Ich hätte wahrscheinlich hochrüsten können, aber ich wollte es nicht riskieren, nicht jetzt schon. Nicht mit so vielen Gewehren, die ebenso auf Molly wie auf mich gerichtet waren. Also lag ich still, beobachtete und hörte zu und wartete den rechten Augenblick ab. Molly blieb unten neben mir und verhielt sich auch ganz still, um Archie keinen Grund zu geben, sie gleichfalls zu sedieren.
»Was passiert jetzt?«, fragte sie mit ausgesucht ruhiger und nicht bedrohlicher Stimme.
»Ich übergebe euch drei Mr. Truman«, antwortete Archie, »meinem augenblicklichen und sehr großzügigen Arbeitgeber. Er brennt darauf, zwei Droods und ihre Torques in die Finger zu kriegen. Soviel ich weiß, steht ein ganzes Chirurgenteam Skalpell bei Fuß, um seine zwei neuen Errungenschaften Stück für Stück auseinanderzunehmen, bis sie herausfinden, was das so Besondere an einem Drood und seinem Torques ist. Ein sehr langsamer, sehr schmerzhafter Prozess, denke ich mir … Vielleicht lässt Mr. Truman mich ja zuschauen, wenn ich ihn nett frage. Offensichtlich war er sehr beeindruckt davon, was drei gepanzerte Agenten mit der teuren und hervorragend ausgebildeten Armee, die er ihnen entgegenwarf, anstellen konnten. Er kann es kaum erwarten, bis er jedem Soldaten des Manifesten Schicksals einen Torques um den Hals legen und sie dann auf die Welt loslassen kann. Wie ich einen Mann mit Ehrgeiz doch bewundere …«
»Durch eine Vivisektion wird er gar nichts in Erfahrung bringen«, sagte Molly mit ausdrucksloser Stimme. »Höchstens wird ihm wieder einfallen, was mit dem Huhn passierte, das goldene Eier legte.«
Archie zuckte Janes Schultern. »Ich glaube nicht, dass es ihm so wichtig ist. Er braucht einfach nur jemanden, an dem er seine Wut auslassen kann. Er ist wirklich sehr verärgert darüber, was jene drei Droods mit seiner feinen Armee gemacht haben. Ihr hättet ihn hören sollen! Ich hab ihm den Vorschlag gemacht, Eddie und Sebastian einfach umzubringen und sie dann als Zombies wiederkehren zu lassen. Dann hätte er zwei Droods mit Torques, die alles tun würden, was er ihnen sagt. Aber anscheinend war das nicht genug für ihn. Die Droods haben Torques, also muss er auch welche haben. Es ist eine Frage der Gleichberechtigung. Aber du solltest dir nicht ausgeklammert vorkommen, Molly; so wie ich ihn verstanden habe, hat er auch für dich sehr detaillierte Pläne. Er unterhält spezielle Folterzellen für diejenigen unter seinen eigenen Leuten, die sich gegen ihn wenden.«
Plötzlich strömte Kraft in mich herein, als Mollys Zauberkräfte die letzten Wirkungen der Droge erstickten. Das Gefühl kehrte in jeden Teil von mir zurück, und meine Gedanken waren klar und scharf. Ich blickte in Mollys Richtung, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf mich und bildete mit den Lippen das Wort Jetzt. Sie grinste mich an und schlug mit einem simplen Verhedderzauber auf die zuschauenden bewaffneten Männer ein. Wie ein Mann stürzten alle zwölf zu Boden; ihre Muskeln krampften hilflos, während Hexenblitze zischend und knisternd über sie krochen. Der Spruch traf auch Archie Leech, aber sie taumelte bloß zurück und bekämpfte ihn mit der Kraft, die ihm das Amulett verlieh.
Ich war schon auf den Füßen und ging auf Archie zu. Und überlegte indes fieberhaft, wie ich ihn aufhalten konnte, ohne Janitscharen-Jane zu töten oder auch nur zu beschädigen. Archies letzten Wirtskörper hatte ich umbringen müssen, um ihn zu stoppen, aber hier durfte ich nicht so verfahren - auf mein Konto sollten keine toten Unschuldigen mehr gehen! Leider war er dadurch im Vorteil. Ihn kümmerte es nicht, was mit Janes Körper geschah; er konnte jederzeit in einen anderen springen. Ich knallte in Archies geklauten Körper, als sie gerade den letzten Rest des Verhedderspruchs abschüttelte, und wir beide schlugen zusammen auf dem Boden auf. Das Gewehr flog aus Archies Hand und sie wehrte sich verbissen unter mir und gab sich alle Mühe, das Messer in ihrem Gürtel zu ziehen.
Ich packte das kandarianische Amulett mit beiden Händen. Es versuchte sich mir zu entziehen, wand sich hierhin und dorthin, aber in dieser Beengtheit konnte es nirgendwohin. Ich schloss beide Hände um das schreckliche Ding und drückte fest zu, und das Amulett verbrannte mir die Handflächen mit einer Kälte, die grimmiger als jede Hitze war. Ich sprach innerlich die aktivierenden Worte, und die goldene Rüstung stieg binnen eines Moments um mich herum auf, gerade als Archie endlich ihr Messer herausbekam und nach meinen Rippen stieß. Die schwere Stahlklinge knallte gegen meine Rüstung und zersprang daran, indes das lebende Metall über meine Hände floss und über das, was sie hielten. Das kandarianische Amulett war jetzt mit mir in meiner Rüstung, hermetisch abgeschottet und isoliert vom Rest der Welt. Und mehr brauchte es nicht, um Archies Verbindung zu dem Amulett zu durchtrennen.