Molly grinste vergnügt. »Wenn ich gewusst hätte, dass es so einfach ist, ins Herrenhaus einzubrechen, dann hätte ich es schon vor Jahren gemacht!«
Wir bewegten uns vorsichtig über den Rasen aufs Haus zu. Wir mieden den Kiesweg, auf dem wir viel zu viel Lärm gemacht hätten, und ließen den Pfauen reichlich Platz. Ein paar machten Lärm, aber niemand im Haus würde ihren klagenden Schreien Aufmerksamkeit schenken. Molly und ich schafften es tatsächlich, eine ziemliche Strecke zurückzulegen, bevor plötzlich ein halbes Dutzend selbstgesteuerter Gewehre aus ihren verborgenen Silos im Boden aufstiegen. Große, hässliche, brutale Waffen, die hin und her schwenkten, während ihre Zielerfassungscomputer sich bemühten, die Eindringlinge anzuvisieren, deren Annäherung sie aktiviert hatte. Molly und ich standen ganz still, während ich eine Hand auf dem Abzeichen an meinem Revers ruhen ließ. Das Confusulum machte seine Sache, und die Gewehre schwenkten hin und her, zunehmend verwirrt und durcheinander durch widersprüchliche Impulse. Am Ende entschieden die doofen Dinger schließlich, dass, da sie die einzigen Objekte waren, die sich bewegten, sie die Eindringlinge sein mussten. Und schossen wie der Teufel aufeinander los. Mündungen donnerten, Kugeln flogen, und eins nach dem anderen flogen die selbstgesteuerten Gewehre in grellen Explosionen aus Rauch und Feuer in die Luft. Keine der Kugeln kam Molly oder mir nahe.
»So viel zum Thema hereinschleichen!«, stellte Molly fest, als die letzten Echos des Gewehrfeuers verklungen waren.
»Halt die Klappe und lauf los!«, antwortete ich.
Wir spurteten über den Rasen. Im Herrenhaus gingen Lichter an. Ich hatte keinen Zweifel, dass Leute sich um ihre Überwachungsmonitore drängten und herauszufinden versuchten, was los war. Hoffentlich würde das Confusulum sie eine Weile herumraten lassen. Es war bekannt, dass es bei den selbstgesteuerten Gewehren schon früher Fehlfunktionen gegeben hatte; sie waren eine von Alistairs Ideen.
»Da vorn!«, sagte Molly. »Was sind das für hässlich aussehende Dinger?«
»O Scheiße!«, sagte ich.
»Ich hasse es wirklich, wenn du das sagst.«
»Bleib nur dicht bei mir, okay?«
Zwei der Greifen kamen schwerfällig über das Gras auf uns zu, große, massige Geschöpfe mit grauen, schuppigen Körpern und langen, mürrischen Gesichtern. Sie waren die Einzigen, die sich auf Eindringlinge freuten, denn sie bekamen sie zu fressen. Das Confusulum musste eine gewisse Wirkung auf sie haben, sonst hätten sie unser Kommen vorhergesehen und das Haus gewarnt. Aber von so Nahem glaubten die schlichten Kreaturen, was ihre Sinne ihnen sagten, egal wie verwirrt sie sich fühlen mochten. Ich wartete, bis sie fast bei uns waren, und ging dann in die Hocke und redete zwanglos mit ihnen, ruhig und gelassen, ließ sie sich an meine Stimme erinnern und meine Witterung aufnehmen. Sie näherten sich mir langsam, beschnüffelten mich von oben bis unten und rieben dann ihre weichen Schnauzen an meinen Händen. Sie blinzelten Molly argwöhnisch an, aber ich redete einfach weiter besänftigend auf sie ein und hielt so ihre Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Sie hockten sich hin, lehnten sich mit ihrem großen Gewicht an mich und gaben zufriedene, schniefende Töne von sich.
»Diese Dinger stinken echt erbärmlich!«, sagte Molly.
»Pst! Du verletzt noch ihre Gefühle! Es sind Greifen. Besser als Wachhunde, weil sie sogar in die nahe Zukunft blicken können. Normalerweise. Aber weil ihnen noch nie ein Stück Aas untergekommen ist, in dem sie sich nicht wälzen wollten, dürfen sie nie ins Haus hinein. Als ich noch ein Kind war, taten sie mir immer leid; hier draußen allein gelassen, bei jedem Wetter. Deshalb habe ich mich nachts oft rausgeschlichen und sie mit Fleischabfall und Zeug aus den Küchen gefüttert. Anscheinend erinnern sie sich an mich …!«
»Du rührseliger alter Softie!«, sagte Molly. Sie streckte vorsichtig die Hand aus und kraulte einen der Greifen hinter seinem langen, spitz zulaufenden Ohr, und er schniefte laut vor Dankbarkeit.
»Runter!«, sagte ich plötzlich.
Molly und ich kauerten uns mit den Greifen nieder, bloß eine graue Silhouette in der zunehmenden Abenddämmerung, während ich beobachtete, wie der Seneschall steifbeinig aus dem Vordereingang des Herrenhauses kam. Er ließ seine Blicke über die Anlagen schweifen, wobei er sich viel Zeit nahm, sah aber über Molly, mich und die Greifen hinweg, ohne dass ihm ein Verdacht anzumerken gewesen wäre. Natürlich würde er nicht glauben, dass die gegenseitige Zerstörung der Gewehre einer Fehlfunktion zuzuschreiben war; er lebte, um das Herrenhaus zu verteidigen. Weitere Familienmitglieder strömten hinter ihm aus dem Eingang, und der Seneschall dirigierte sie mit knappen Instruktionen hierhin und dorthin. Einige verteilten sich um das Äußere des Hauses und suchten nach Anzeichen für einen Angriff oder einen Einbruch, während andere fächerförmig in die Anlagen ausschwärmten. Ein paar hoben sogar von den Landeplätzen auf dem Dach ab, in jenen unförmigen alten da-Vinci-Helikopterstühlen, denen der Waffenschmied schon seit Jahren die Mucken auszutreiben versuchte. Lieber ihnen als mir! Sie dröhnten über uns hinweg, und ihre Suchscheinwerfer stießen durch die zunehmende Düsterheit herab.
Eine so dramatische Reaktion auf einen einzigen Zwischenfall hatte ich nicht erwartet. Vermutlich waren alle noch nervös nach dem Angriff auf das Herz. Vielleicht war es ja auch, weil ich angerufen und mein Kommen angekündigt hatte … Der Gedanke gefiel mir.
»Du musstest ihnen ja unbedingt auf die Nase binden, dass wir kommen!«, sagte Molly.
»Die Anlagenverteidigungen sind alle aktiviert worden«, bemerkte ich, um ihr nicht antworten zu müssen. »Aber solange das Confusulum arbeitet, dürften sie uns nicht erfassen können.«
»Wieso tragen eigentlich alle Waffen?«, fragte Molly plötzlich. »Ich dachte, ihr Leute verlasst euch größtenteils auf eure Rüstung!«
»Größtenteils, ja. Aber erst vor Kurzem hat es einige ernst zu nehmende, echt hässliche Angriffe aufs Herrenhaus gegeben. Niemandem ist jetzt noch danach, ein Risiko einzugehen.«
»Angriffe?«, fragte Molly. »Von irgendjemandem, den ich kennen könnte?«
»Wir wissen nicht, wer dahintersteckt«, erwiderte ich. »Und wenn meine Familie es nicht weiß, dann weiß es niemand. Aber das ist der Grund, weshalb sie jetzt alle Register ziehen. Genau das hatte ich zu vermeiden gehofft, indem ich mich hereinschleiche. Der verfluchte Alistair und seine blöden selbstgesteuerten Gewehre!«
»Sollten wir weggehen?«, fragte Molly. »Vielleicht ein andermal wiederkommen?«
»Dazu haben wir keine Zeit«, sagte ich. »Wie es auch ausgehen mag, das hier ist die einzige Chance, die wir kriegen werden. Bist du noch dabei?«
»Aber immer!«, antwortete sie und grinste. »Lass uns ein bisschen Unruhe stiften!«
»Guter Vorschlag!«, sagte ich und erwiderte ihr Grinsen.
Wir tätschelten die Greifen ein letztes Mal, schoben sie dann entschlossen von uns weg und sprinteten über die offenen Rasenflächen aufs Haus zu. In der zunehmenden Abenddämmerung sollten wir eigentlich nur wie zwei weitere sich bewegende Gestalten aussehen. Falls die Familie sich auf einen Angriff von der Art von Wesen gefasst machte, die ins Sanktum eingebrochen war, dann würden sie nicht nach bloß menschlichen Zielen suchen. Ich konnte spüren, wie die Anlagenverteidigungen versuchten, etwas beizusteuern: die versteckten Falltüren und tödlichen Waffen, die wissenschaftlichen und magischen Vorrichtungen in ihren unterirdischen Silos, aber keine davon konnte Molly oder mich erfassen, solange wir vom Confusulum beschützt wurden. Kraftschilde knipsten sich überall um uns herum an und aus, zauberische Energien manifestierten und zerstreuten sich binnen eines Moments, und nichts davon konnte uns etwas anhaben. Die Verteidigungsanlagen des Grundstücks standen vor einem Rätsel. Aber es waren immer noch viel zu viele Menschen in der Nähe, zu viele Droods zwischen uns und dem Herrenhaus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis uns jemand anrief.