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»Ich seh schon, wie du ihn suchst… Dir ist doch klar, dass es einer von euch ist?«

»Wie kommst du denn darauf!«, empörte ich mich. »Es kann durchaus sein, dass ein Dunkler Mist gebaut hat…«

Eine Zeit lang diskutierten wir über die Situation. Offenbar waren wir zur selben Zeit zum selben Schluss gekommen.

Nur dass ich Kostja jetzt einen halben Schritt voraus war. Und nicht die Absicht hatte, ihm zu helfen.

»Der Brief befand sich in dem Stapel, den der Bauarbeiter zur Post gebracht hat«, meinte Kostja, der nicht ahnte, wie ich ihn auflaufen ließ. »Nichts leichter als das. Alle diese Gastarbeiter sind in einer alten Schule untergebracht, die jetzt eine Art Wohnheim ist. Im Parterre werden auf dem Tisch des Wachtposten die Briefe gesammelt. Morgens geht dann jemand zur Post und gibt sie auf. Einem Anderen dürfte es keine Mühe bereiten, ins Wohnheim zu gehen, den Blick des Wachtposten abzulenken… oder einfach abzuwarten, bis der seinen Platz einmal verlässt, um zur Toilette zu gehen. Dann steckt er den Brief in den großen Stapel. Das war's! Ohne jede Spur. »

»Einfach und sicher«, stimmte ich zu.

»Und typisch für die Lichten«, meinte Kostja stirnrunzelnd. »Lasst andre für euch die Kastanien aus dem Feuer holen.«

Aus irgendeinem Grund nahm ich ihm das nicht krumm. Sondern grinste nur amüsiert und drehte mich auf den Rücken, um in den Himmel zu gucken, in die zärtliche gelbe Sonne.

»Gut, wir machen das ganz genauso…«, brummte Kostja. Ich schwieg.

»Was ist? Willst du mir etwa weismachen, ihr würdet niemals Menschen bei euren Operationen einsetzen?«, blaffte Kostja.

»Das kommt schon vor. Das haben wir schon getan. Aber wir verraten sie nicht.«

»Aber hier hat ein Anderer einen Menschen ja auch nur gebraucht und nicht verraten«, erklärte Kostja, sich selbst widersprechend und die»Kastanien«vergessend. »Also, ich glaube… Sollten wir diese Spur nicht weiterverfolgen? Bisher hat der Verräter alle Spuren sehr gut verwischt. Wir jagen einem Gespenst hinterher…«

»Angeblich haben vor ein paar Tagen zwei Security-Männer im Assol in den Büschen etwas Schreckliches beobachtet«, sagte ich. »Sie haben sogar angefangen zu schießen.«In Kostjas Augen loderte es auf. »Hast du das schon überprüft?«

»Nein«, sagte ich. »Ich arbeite undercover und habe dazu keine Möglichkeit.«

»Soll ich das vielleicht machen?«, fragte Kostja eifrig. »Ich sag auch, dass du das…»

»Mach das«, beschloss ich.

»Danke, Anton!«Kostjas Gesicht erstrahlte in einem Lächeln, und er stieß mir recht schmerzhaft mit der Faust gegen die Schulter. »Trotz allem bist du ein prima Kerl! Danke!«

»Mach es ordentlich«, konnte ich mir nicht verkneifen, »vielleicht bekommst du dann ja eine Extralizenz.«

Sofort verstummte Kostja. Sein Blick verfinsterte sich. Er starrte zum Fluss hinunter.

»Wie viele Menschen hast du umgebracht, um ein Hoher Vampir zu werden?«, wollte ich wissen. »Spielt das für dich eine Rolle? »

»Es… interessiert mich.«

»Geh halt irgendwann in eure Archive und guck nach«, meinte Kostja mit schiefem Lächeln. »Das dürfte doch nicht so schwer sein, oder?«

Natürlich war das nicht schwer. Trotzdem hatte ich nie einen Blick in Kostjas Dossier geworfen. Ich wollte das nicht wissen…

»Onkel Kostja, gib mir meinen Hut wieder!«, fiepte jemand in unserer Nähe mit fordernder Stimme.

Ich schielte zu einem kleinen, etwa vierjährigen Mädchen hinüber, das auf Kostja zugerannt kam. Also doch, hatte er tatsächlich ein Kind ausgeschaltet und ihm den Hut geklaut…

Gehorsam zog Kostja jetzt den Hut vom Kopf und gab ihn dem Mädchen.

»Kommst du heute Abend wieder zu uns?«, fragte das Mädchen, während es mich anguckte und die Lippen spitzte. »Erzählst du mir ein Märchen? »

»Hm«, nickte Kostja.

Das Mädchen strahlte und lief zu einer jungen Frau, die in der Nähe ihre Sachen zusammenpackte. Ließ nur noch aufgewirbelten Sand erkennen…

»Hast du völlig den Verstand verloren?!«, brüllte ich und schnellte hoch. »Ich sollte dich gleich hier an Ort und Stelle zu Asche verbrennen!«

Vermutlich machte ich ein fürchterliches Gesicht. »Was glaubst du denn?«, rief Kostja sofort. »Was glaubst du bloß, Anton? Das ist meine Nichte! Ihre Mutter ist meine Schwester! Sie wohnen in Strogino, ich wohne vorübergehend bei ihnen, damit ich nicht durch die ganze Stadt fahren muss!«Ich erstarrte.

»Hast du geglaubt, ich würde Blut aus ihr heraussaugen?«, fragte Kostja, der mich noch immer erschrocken anstarrte. »Dann geh hin und überzeug dich! Sie hat keine Bisswunden! Das ist meine kleine Nichte, verstehst du? Für sie würde ich alles tun.«

»Puh«, schnaubte ich. »Was hätte ich denn sonst denken sollen? »Kommst du heute Abend wieder zu uns?«, »Erzählst du mir ein Märchen?«…«

»Typisch für einen Lichten…«, kommentierte Kostja schon etwas gelassener. »Wo ich schon ein Vampir bin, verhalte ich mich gleich wie ein Schwein. So ist es doch, oder?«

Noch war unser brüchiger Waffenstillstand zwar nicht aufgehoben, hatte sich aber in den üblichen kalten Krieg verwandelt.

Kostja saß da und kochte vor Wut, ich saß da und ärgerte mich über mich selbst und über meine voreiligen Schlussfolgerungen. Für Kinder unter zwölf Jahren werden keine Lizenzen ausgegeben, und Kostja ist kein Idiot und würde nicht ohne Lizenz auf Jagd gehen… Immer würde uns etwas trennen.

»Du hast doch eine Tochter«, meinte Kostja plötzlich. »Hast doch auch so ein kleines Mädchen, oder? »

»Jünger«, erwiderte ich. »Und besser.«

»Na klar, wo sie deine Tochter ist, muss sie auch besser sein«, grinste Kostja. »In Ordnung, Gorodezki. Ich hab's verstanden. Vergessen wir das. Und vielen Dank für den Tipp.«

»Keine Ursache«, wiegelte ich ab. »Vielleicht haben diese Security-Leute gar nichts gesehen. Sondern nur Wodka getrunken, gekifft…«

»Wir werden das überprüfen«, meinte Kostja munter. »Wir überprüfen alles.«

Er strich sich mit der Hand über den Kopf und stand auf. »Du gehst?«, fragte ich.

»Es ist heiß«, antwortete Kostja, während er in den Himmel hinaufschielte. »Ich verschwinde.«

Das tat er in der Tat. Nachdem er zuvor von allen Menschen um uns herum den Blick abgelenkt hatte. Nur ein diffuser Schatten hing noch eine Sekunde in der Luft. »Angeber«, murmelte ich und drehte mich auf den Bauch.

Ehrlich gesagt war mir auch heiß. Aber ich hatte mich nun mal in die Entscheidung verbissen, nicht zusammen mit dem Dunklen aufzubrechen.

Außerdem musste ich noch über etwas nachdenken, bevor ich mich an die Security-Leute im Assol wandte.

Viteszlav hatte ordentliche Arbeit geleistet. Als ich das Büro des Chefs der Security-Firma betrat, begrüßte dieser mich mit einem freudestrahlenden Lachen. »Was für ein angenehmer Besuch!«, rief er, während er diverse Papiere zur Seite schob. »Tee? Kaffee? »

»Kaffee«, antwortete ich.

»Andrej, bring uns Kaffee«, ordnete der Mann an. »Und eine Zitrone.«

Dann machte er sich am Tresor zu schaffen und. beförderte eine Flasche guten georgischen Kognak zu Tage.

Der Angestellte, der mich zum Büro des Security-Chefs gebracht hatte, wirkte leicht entgeistert. Sagte aber kein Wort.

»Was haben Sie denn für Fragen?«, erkundigte sich der Mann, während er mit raschen Schnitten die Zitrone zerteilte. »Wollen Sie einen Kognak, Anton? Der ist gut, Ehrenwort!«

Ich wusste noch nicht mal, wie er hieß… Der alte Chef der Security-Leute hatte mir besser gefallen. Der war mir gegenüber wenigstens ehrlich gewesen.

Aber der alte Chef hätte mir nie die Information gegeben, die ich jetzt zu bekommen hoffen durfte.

»Ich muss mir die persönlichen Akten von allen Mietern ansehen«, meinte ich. Und fügte dann lächelnd hinzu: »In einem Haus wie diesen überprüfen Sie doch sicher alle, oder?«

»Natürlich«, pflichtete der Chef mir sofort bei. »Geld ist ja gut und schön, aber hier sollen anständige Leute wohnen, wir brauchen keine nichtsnutzigen Mafiosi… Möchten Sie alle persönlichen Akten?«