»Verschon mich mit diesen Begriffen«, bat ich. »Es lässt sich also nicht heilen. Und alternative Mittel?«
»Vielleicht könnten wilde Andere tatsächlich etwas ausrichten… Kannst du Stottern heilen?«
»Und nächtliches Bettnässen auch«, brummte ich. »Dito Einkoten. Aber du hast doch keine Magie gespürt, oder, Sweta? »
»Aber das Stottern ist weg.«
»Das kann nur eins heißen…«, räumte ich widerwillig ein. Ich seufzte und erhob mich nun doch aus der Hängematte. »Das sieht nicht gut aus, Sweta. Eine Hexe. Noch dazu von einer Kraft, die deine übersteigt. Und du stehst auf der ersten Kraftstufe!«
Swetlana nickte. Ich komme nur selten darauf zu sprechen, dass ihre Kraft meine übersteigt. Denn das ist das, was uns in erster Linie trennt - eines Tages vielleicht für immer.
Und Swetlana hatte extra die Nachtwache verlassen! Sonst… sonst wäre sie jetzt bereits eine Zauberin außerhalb jeder Kategorie.
»Aber den Kindern ist doch nichts passiert«, fuhr ich fort. »Kein widerlicher Zauberer hat sich an dem Mädchen vergriffen, keine böse Hexe hat aus dem Jungen Suppe gemacht… Also, wenn das eine Hexe ist, warum legt sie dann ein so gutes Verhalten an den Tag?«
»Hexen müssen nicht immer Menschen fressen oder zu sexueller Aggressivität neigen«, erwiderte Swetlana so ernst, als halte sie einen Vortrag. »Ihr ganzes Verhalten wird von normalem Egoismus bestimmt. Wenn eine Hexe sehr hungrig ist, dann könnte sie wohl in der Tat über einen Menschen herfallen. Einfach aus dem Grund, weil sie sich selbst nicht zu den Menschen zählt. Aber sonst… Warum hätte sie den Kindern nicht helfen sollen? Das kostet sie nichts. Sie hat sie aus dem Wald herausgebracht und das Stottern des Jungen geheilt. Womöglich hat sie selbst Kinder. Du würdest doch auch einen kleinen Hund füttern, der kein Zuhause mehr hat, oder?«
»Das gefällt mir nicht«, versicherte ich. »Eine Hexe von solcher Kraft? Sie erreichen doch nur selten den ersten Grad, nicht wahr?«
»Sehr selten.«Swetlana sah mich forschend an. »Bist du dir genau über den Unterschied zwischen einer Zauberin und einer Hexe im Klaren, Anton? »
»Im Großen und Ganzen, ja«, antwortete ich.
Doch Swetlana ließ nicht locker. »Eine Zauberin arbeitet direkt mit dem Zwielicht, aus dem sie ihre Kraft schöpft. Eine Hexe dagegen benutzt materielle Hilfsmittel, die mehr oder weniger stark mit Kraft aufgeladen sind. Alle magischen Artefakte, die es auf der Welt gibt, sind von Hexen oder Hexern geschaffen worden. Das sind ihre»Prothesen«, wenn du so willst. Als Artefakte können alle Gegenstände oder Körperorgane aus Horn wie Haare oder lange Fingernägel dienen… Deshalb ist eine Hexe ungefährlich, wenn du sie ausziehst und rasierst, während du einer Zauberin noch mit einem Knebel den Mund stopfen und die Hände fesseln musst.«
»Dir stopft garantiert niemand den Mund«, feixte ich. »Sweta, wozu hältst du mir diesen Vortrag? Ich bin kein großer Magier, aber die grundlegenden Dinge weiß auch ich, über die musst du mich nicht aufklären…«
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen«, entschuldigte sich Sweta sofort.
Ich sah sie an - und erkannte den Schmerz in ihren Augen. Was bin ich doch für ein Schwein!
Warum muss ich meine Komplexe immer an der Frau auslassen, die ich liebe?! Ich bin mieser als jeder Dunkle…
»Verzeih mir, Swetka…«, flüsterte ich und berührte ihre Hand. »Hab Nachsehen mit einem alten Idioten.«
»Ich muss mich wohl auch an die eigene Nase fassen«, räumte Sweta ein. »In der Tat: Warum halte ich dir hier große Vorträge? Du hast es in der Wache jeden Tag mit Hexen zu tun…«
Der Friede war wiederhergestellt. »Mit solchen starken?«, fragte ich sofort zurück. »Vergiss nicht, in ganz Moskau gibt es eine Hexe ersten Grades, und die hat sich seit langem aus dem Geschäft zurückgezogen… Was sollen wir jetzt tun, Sweta?«
»Wir haben keinen triftigen Grund zu intervenieren«, meinte Sweta besorgt. »Den Kindern geht es gut, dem Jungen sogar besser. Es bleiben zwei Fragen: Was für ein komischer Wolf hat die Kinder zu seinen Jungen getrieben? »
»Wenn es überhaupt ein Wolf war«, warf ich ein.
»Eben«, stimmte Sweta mir zu. »Aber irgendwie haben die Kinder alles sehr überzeugend berichtet… Und die zweite Frage: Ist die Hexe hier im Ort registriert, was haben wir über sie…«
»Das kriegen wir sofort raus«, sage ich, während ich nach meinem Handy langte.
Fünf Minuten später bekam ich die Antwort, dass es nach den Unterlagen der Nachtwache keine Hexen in dieser Gegend gab oder geben dürfte.
Weitere zehn Minuten später verließ ich den Hof, bewaffnet mit den Instruktionen und Ratschlägen meiner Frau, die zugleich eine verhinderte Große Zauberin war. Als ich am Schuppen vorbeiging, linste ich durch die offene Tür hinein. Kolja hing über der offenen Motorhaube, auf einer ausgebreiteten Zeitung lagen verschiedene Schrauben und Teilchen. Oh, oh, ich hatte doch nur was von einem Klopfen im Motor gesagt! Außerdem sang Onkel Kolja, brummte vor sich hin:
Anscheinend hatte sein Gedächtnis nur diese beiden Zeilen abgespeichert, die er wie aufgezogen wiederholte, während er selbstvergessen am Motor fummelte:
»Ein halber Liter wird hier nicht reichen, Antoscha!«, rief Onkel Kolja fröhlich, sobald er mich sah. »Die Japaner müssen völlig den Verstand verloren haben, was sie in diesen Diesel gestopft haben, ist ja nicht mit anzusehen!«
»Das waren nicht die Japaner, sondern die Deutschen«, korrigierte ich ihn.
»Die Deutschen?«, wunderte sich Onkel Kolja. »Ach, das ist ja ein BMW, und ich habe früher nur den Subaru wieder auf Vordermann gebracht… Was die sich dabei gedacht haben, die Dinger hier völlig anders zu bauen… Aber keine Sorge, ich krieg das schon hin! Allerdings dröhnt mir der Schädel, das ist die Pest…«
»Geh zu Sweta, sie gibt dir ein Schlückchen!«, fand ich mich mit dem Unvermeidlichen ab.
»Nein.«Onkel Kolja schüttelte den Kopf. »Während der Arbeit nie. Sonst verpfusch ich dir das… Unser erster Vorsitzender, Friede seiner Asche, hat mir eingeschärft: Wenn du schraubst, keinen Tropfen! Geh nur, geh. Ich habe hier noch bis zum Abend zu tun.«
Innerlich nahm ich von dem Wagen Abschied und trat dann auf die staubige heiße Straße hinaus.
Den kleinen Romka machte mein Besuch unsagbar glücklich. Ich kam genau in dem Moment, als Anna Viktorowna eine schändliche Niederlage im Kampf um den Mittagsschlaf hinnehmen musste. Romka, ein magerer und braun gebrannter Junge, sprang auf der Matratze herum. »Schlaf ich an der Wand«, schrie er übermütig. »Krieg ich morgen um mein Knie 'nen Verband!«
»Was soll ich nur mit ihm machen?«, freute sich Anna Viktorowna über mein Erscheinen. »Guten Tag, Anton. Sagen Sie, führt sich Ihre Nadenka auch so auf?«
»Nein«, log ich.
Romka hörte auf zu springen und schaute uns aufmerksam an.
»Dann nehmen sie den hier doch mit«, schlug Anna Viktorowna scheinheilig vor. »Was soll ich mit so einem Rabauken anfangen? Sie sind ein strenger Mann, Sie werden ihn schon erziehen. Er wird auf Nadenka aufpassen, ihre Windeln bügeln, die Böden für Sie wischen, den Müll rausbringen…«
Bei diesen Worten zwinkerte Anna Viktorowna mir heftig zu, als ob ich ihren Vorschlag tatsächlich für bare Münze nehmen und mir kurzerhand einen minderjährigen Sklaven besorgen könnte.
»Ich denk drüber nach«, unterstützte ich ihre pädagogischen Bemühungen. »Wenn er absolut nicht hören will, nehmen wir ihn zur Umerziehung auf. Bei uns haben schon schlimmere Kinder gelernt zu spuren!«