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»Und die Wölfe?«, fragte ich.

»Was für Wölfe, Anton?«Erstaunt sah Arina mich an. »Ich habe schon den beiden gesagt: Das war ein streunender Hund. Woher sollten in einem Wäldchen wie diesem Wölfe kommen?«

»Ein wilder Hund, noch dazu mit Jungen, kann ebenfalls gefährlich sein«, bemerkte ich.

»Hm… vermutlich haben Sie Recht.«Arina seufzte. »Auf alle Fälle glaube ich, dass der Hund sich nicht auf die beiden gestürzt hätte. Hunde fallen Kinder nur selten an, man muss ein Tier schon sehr reizen, damit es dergleichen tut. Menschen sind weitaus gefährlicher als Tiere…«Wogegen sich in der Tat nichts einwenden ließ…

»Langweilen Sie sich nicht, so im tiefen Wald?«, wechselte ich das Thema.

»Ich bin doch nicht hierher verbannt«, amüsierte sich Arina. »Ich bin nur den Sommer über hier, um meine Dissertation zu schreiben. Die Ethnogenese einiger Kreuzblütler in Mittelrussland.«

»Sie wollen promovieren?«, fragte ich ein wenig neidisch. Aus irgendeinem Grund bedauerte ich noch immer, dass ich meine Diss nicht zu Ende gebracht hatte. Und zwar deshalb nicht, weil ich ein Anderer geworden war und mich das ganze wissenschaftliche Geplänkel mit einem Mal genervt hatte. Es hatte genervt - dennoch bedauerte ich es jetzt…

»Ja«, antwortete Arina mit verständlichem Stolz. »Im Winter will ich sie verteidigen…«

»Haben Sie Ihre wissenschaftliche Bibliothek mit hierher gebracht?«, fragte ich und nickte in Richtung Schrank.

»Ja«, meinte Arina. »Es war natürlich dumm, das alles hier anzuschleppen. Aber ein… Bekannter hat mich hergebracht. Im Jeep. Die Gelegenheit habe ich genutzt und meine ganze Bibliothek hierher verfrachtet.«

Ich fragte mich, ob ein Jeep durch diesen Wald fahren konnte. Hinter dem Haus schien es einen recht breiten Pfad zu geben… vermutlich hätte er es also geschafft…

Ich ging zum Schrank, um mir die Bücher aufmerksam anzusehen.

Das war in der Tat die gut sortierte Bibliothek einer Botanikerin. Alte Wälzer aus dem frühen 20. Jahrhundert, bei denen im Vorwort ein Loblied auf die Partei und den Genossen Stalin höchstselbst angestimmt wurde. Aber auch noch ältere, die aus der Zeit vor der Revolution stammten. Und eine Unzahl einfacher, zerlesener Bände von vor zwanzig, dreißig Jahren.

»Der größte Teil ist Mist«, kommentierte Arina, ohne sich umzudrehen. »Deren Platz ausschließlich im Regel eines Bibliophilen sein sollte. Aber… ich bringe es einfach nicht übers Herz, sie zu verkaufen.«

Ich lächelte traurig und sah mir den Schrank durchs Zwielicht an. Alles sauber. Keine Magie. Alte Bücher über Botanik.

Oder das Ganze war kunstvoll in eine Düsternis gehüllt, die ich nicht zu durchdringen vermochte. »Setzen Sie sich, der Tee ist fertig«, forderte Arina mich auf.

Ich nahm auf einem knarrenden Wiener Stuhl Platz. Griff nach der Tasse Tee, schnupperte.

Ein betörender Geruch. Irgendwas musste da drin sein, ein wenig normaler Tee, aber auch Zitrone und Minze. Obwohl ich gewettet hätte: Der Tee enthielt weder Teeblätter, noch Zitronenschale oder banale Minze.

»Was ist?«, lächelte Arina. »Probieren Sie ruhig…«

Sie setzte sich mir gegenüber und lehnte sich etwas vor. Unwillkürlich fiel mein Blick auf den offenen Hemdausschnitt, der die braun gebrannte Brust erkennen ließ. Ob dieser»Bekannte mit Jeep«wohl ihr Liebhaber war? Oder einfach ein Kollege? Ja, klar, ein Botaniker mit Jeep…

Was war nur mit mir los? Man konnte wirklich glauben, ich käme von einer unbewohnten Insel und hätte seit zehn Jahren keine Frau gesehen!

»Er ist heiß«, erwiderte ich, während ich die Tasse in beiden Händen hielt. »Er muss noch etwas abkühlen…«Arina nickte.

»Wie bequem, einen Elektrokessel zu haben«, fuhr ich fort. »Das Wasser kocht schnell. Woher haben Sie denn hier Strom, Arina? Ich habe am Haus gar keine Leitungen gesehen.«

Arinas Gesicht erzitterte. »Vielleicht verlaufen die Kabel ja unterirdisch«, meinte sie kläglichen Tones.

»Hm«, erwiderte ich, streckte die Hand mit der Tasse aus und goss den Tee fein säuberlich auf den Fußboden. »Die Antwort lass ich nicht gelten. Denken Sie noch einmal darüber nach.«

»Warum muss ich nur immer so ein Pech haben?«Ärgerlich schüttelte Arina den Kopf. »Wegen solcher Kleinigkeiten…«

»Man stolpert immer über Kleinigkeiten«, meinte ich mitleidig. Und stand auf. »Moskauer Nachtwache, Anton Gorodezki. Ich verlange, die Illusion sofort aufzuheben!«Arina hüllte sich in Schweigen.

»Ihre Weigerung zu kooperieren wird als Verletzung des Großen Vertrages gewertet«, erinnerte ich sie. Arina blinzelte. Und verschwand. Also, das durfte doch nicht…

Mit einem Blick fing ich meinen Schatten ein. Streckte mich nach ihm aus - und das kühle Zwielicht nahm mich auf. Das Häuschen hatte sich nicht im Geringsten verändert! Arina war weg.

Ich konzentrierte mich. Hier war es zu grau und zu trüb, um meinen Schatten auszumachen. Trotzdem fand ich ihn. Und trat in die zweite Schicht des Zwielichts ein.

Der graue Nebel verdichtete sich, den Raum erfüllte ein fernes, lang gezogenes Grollen. Ein Frösteln lief über meine Haut. Jetzt hatte sich das Häuschen verändert, und zwar radikaclass="underline" Es hatte sich in eine Hütte verwandelt. Mit Wänden aus Holzbalken, die Moos bewucherte. Statt Glas funkelte eine halb durchscheinende, glimmernde Platte in den Fenstern. Die Möbel waren einfacher, älter, der Wiener Stuhl, auf dem ich saß, hatte sich in einen Baumstumpf verwandelt. Nur der teure, hochverehrte Schrank war noch der alte. Ein schöner alter Schrank. In dem die Bücher jedoch rasant ihr Äußeres veränderten. Falsche Buchstaben hagelten zu Boden, die kunstledernen Rücken verlederten…

Arina war weg. Nur eine vage Silhouette neben dem Schrank ließ sich erkennen, ein geisterhafter, schneller Schatten… Die Hexe war in die dritte Schicht des Zwielichts abgetaucht! Theoretisch könnte ich ihr dorthin folgen.

Praktisch hatte ich das noch nie ausprobiert. Für einen Magier zweiten Grades bedeutet das eine unsagbare Anspannung der Kräfte.

Doch ich war zu wütend auf die durchtriebene Hexe. Sie hatte versucht, mich zu verzaubern, zu bezirzen… die alte Vettel!

Ich stand an dem dunklen Fenster und fing die Funken Licht ein, die in die zweite Zwielicht-Schicht drangen. Ich fand - glaubte das zumindest - meinen sehr, sehr schwachen Schatten auf dem Boden…

Das war das Schwierigste: ihn zu bemerken. Danach gehorchte der Schatten, schoss zu mir hoch und gab mir den Weg frei. Ich trat in die dritte Schicht des Zwielichts.

In die Analogie des Hauses, errichtet aus Baumzweigen und dicken Stämmen.

Hier gab es keine Bücher, keine Möbel mehr. Nur ein Nest aus Zweigen.

Und Arina, die mir gegenüberstand. Wie alt sie war!

Wenn auch nicht bucklig wie die Hexe Baba-Jaga aus dem Märchen. Sondern immer noch schlank und hochgewachsen. Ihre Haut war jedoch faltig wie Baumrinde, die Augen lagen tief in den Höhlen. Sie trug nicht mehr als einen schmutzigen Kittel aus Sackleinen. Wie leere Säcke hingen die welken Brüste in dem tiefen Ausschnitt des Kittels. Außerdem war sie kahl, nur eine Strähne ragte wie bei den Wirbeln von Indern auf ihrem Schädel auf.

»Die Nachtwache!«, wiederholte ich. Die Worte krochen wiederwillig, langsam aus meinem Mund. »Kommen Sie aus dem Zwielicht! Das ist die letzte Warnung!«

Was wollte ich ihr, die so leicht in die dritte Schicht der Zwielicht-Welt abtauchen konnte, eigentlich anhaben? Keine Ahnung. Möglicherweise gar nichts…

Doch sie leistete nicht länger Widerstand. Sondern kam auf mich zu - und verschwand.

Mühevoll kehrte ich in die zweite Schicht zurück. Normalerweise ist es leichter, aus dem Zwielicht herauszukommen, doch die dritte Schicht hatte meine Kräfte aus mir herausgesaugt wie aus einem diplomierten Looser.

Arina wartete in der zweiten Schicht auf mich. Sie hatte ihr bisheriges Aussehen bereits wieder angenommen. Mit einem Nicken ging sie weiter, der normalen, gemütlichen und ruhigen Welt der Menschen entgegen…