In kalten Schweiß gebadet, brauchte ich zwei Versuche, um meinen Schatten aufzuheben, bevor mir das endlich gelang.
Drei
Arina saß auf einem Stuhl, die Hände bescheiden auf die Knie gelegt. Sie lächelte nicht mehr, sondern war der Inbegriff des Gehorsams selbst.
»Können wir in Zukunft vielleicht auf diese Tricks verzichten, ja?«, wollte ich wissen, als ich in die reale Welt zurückkam. Mein Rücken war klatschnass, meine Beine zitterten leicht. »Kann ich diese Gestalt behalten, Wächter?«, fragte Arina leise.
»Wozu?«Diese kleine Rache konnte ich mir nicht verkneifen. »Ich habe Ihre echte Gestalt doch sowieso schon gesehen.«
»Wer entscheidet, was in dieser Welt echt ist?«, entgegnete Arina nachdenklich. »Das kommt doch wohl darauf an, von wo aus man das Ganze betrachtet… Halten Sie meine Bitte für weibliche Koketterie, Lichter.«
»Und der Versuch, mich zu betören, war der auch Koketterie?«
Arina klimperte mit den Augen. »Ja!«, platzte es aus ihr heraus. »Ich weiß, dass meine Zwielicht-Gestalt… Aber hier und jetzt sehe ich so aus! Und nichts Menschliches ist mir fremd. Eben auch nicht der Wunsch zu gefallen.«
»Gut, bleiben Sie so«, brummte ich. »Allerdings kann ich nicht gerade behaupten, dass ich von einer Wiederholung der Show träume… Nehmen Sie die Illusion von den magischen Gegenständen!«
»Wie Sie wünschen, Lichter.«Arina fuhr sich mit der Hand übers Haar, um ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Kaum merklich veränderte sich das kleine Haus.
Statt des Kessels stand ein kleiner Topf aus Birkenholz auf dem Tisch. Aus ihm stieg noch Dampf auf. Den Fernseher gab es zwar noch, aber die Leitung führte nicht zu einer imaginären Steckdose, sondern zu einer braunen Tomate.
»Wie originell«, kommentierte ich und nickte in Richtung Fernseher. »Muss man das Gemüse oft wechseln?«
»Tomaten jeden Tag«, antwortete die Hexe achselzuckend. »Ein Kohlkopf reicht zwei oder drei Tage.«
Nie zuvor hatte ich eine derart ausgefallene Form der Stromgewinnung gesehen. Gewiss, theoretisch war so was möglich… aber in der Praxis…
Am meisten interessierte mich natürlich der Bücherschrank. Ich trat an ihn heran und zog ein x-beliebiges Buch heraus, einen schmalen Band mit weichem Einband. Weißdorn. Praktische Anwendung in der häuslichen Zauberei.
Eine Art Rotationsdruck. Vor einem Jahr erschienen. Sogar die Auflage war angegeben: 200 Exemplare. Und die ISBN-Nummer! Die Druckerei sagte mir nichts, irgendeine unbekannte GmbH TP.
»Tatsächlich Botanik… Lassen Sie Ihre Bücher wirklich drucken?«, fragte ich begeistert.
»Gelegentlich«, antwortete die Hexe bescheiden. »Man kann ja nicht alles von Hand abschreiben…«
»Von Hand, das ist ja noch gar nichts«, entgegnete ich. »Manches muss sogar mit Blut geschrieben werden…«Dann holte ich das Kassagar Garsarra aus dem Schrank.
»Mit dem eigenen Blut, merken Sie sich das«, brachte Arina scharf hervor. »Mir ist diesbezüglich nichts vorzuwerfen.«
»Dieses Buch überhaupt zu besitzen kann ich Ihnen vorwerfen«, widersprach ich. »Hm, was haben wir denn hier…»Aufwiegelung der Menschen gegeneinander ohne übergroße Anstrengung«.«
»Was wollen Sie mir eigentlich zur Last legen?«, fragte Arina nun ärgerlich. »Das sind… wissenschaftliche Ausgaben. Antiquarische. Ich habe niemanden aufgehetzt.«
»Wirklich nicht?«, erwiderte ich, während ich das Buch durchblätterte. »Minderung bei Nierenleiden und Heilung von Wassersucht… Also das ist…«
»Wollen Sie jemandem, der de Sade liest, sadistische Absichten unterstellen?«, knurrte Arina. »Das ist unsere Geschichte. Verschiedene Zauber. Ohne Unterscheidung in destruktive und positive.«
Ich brummte etwas. Im Prinzip hatte sie Recht. Dass sie hier die unterschiedlichsten magischen Rezepte zusammengetragen hatte, stellte nun wirklich keinen Straftatbestand dar. Außerdem… was sollte ich nun wieder davon halten: »Wie man bei einer Gebärenden die Schmerzen tilgt, ohne dem Kind zu schaden«. Und gleich danach»Wie man die Frucht abtreibt und der Schwangeren nicht schadet«und»Wie man die Frucht zusammen mit der Schwangeren auslöscht«. Für Dunkle nichts Ungewöhnliches.
Doch trotz diesen widerwärtigen Anleitungen und dem eben erst unternommenen Versuch Arinas, mich zu täuschen, nahm irgendetwas an der Hexe mich für sie ein. Vor allem wohl, wie sie sich den Kindern gegenüber verhalten hatte. Ohne Frage hätte die weise alte Hexe ihnen die grausamsten Dinge antun können. Außerdem… außerdem strahlte sie eine gewisse Melancholie und Einsamkeit aus, ungeachtet ihrer Stärke, ungeachtet ihrer wertvollen Bibliothek und ihrer attraktiven Menschengestalt.
»Was soll ich denn angestellt haben?«, fragte Arina streitsüchtig. »Nun mal raus mit der Sprache, Zauberkundiger! »
»Sind Sie registriert?«, wollte ich wissen.
»Bin ich etwa eine Vampirin oder eine Tierfrau?«, fragte Arina zurück. »Wenn du mir einen Stempel aufdrücken willst… das schlag dir aus dem Kopf.«
»Vom Siegel rede ich nicht«, beruhigte ich sie. »Die Sache ist einfach die, dass alle Magier vom ersten Grad an verpflichtet sind, dem regionalen Büro ihren Wohnort bekannt zu geben. Damit ihnen ein Umzug nicht als feindliche Handlung ausgelegt wird…»
»Ich bin keine Zauberin, sondern eine Hexenmeisterin.«
»Magier und sonstige Andere von gleichwertiger Kraft…«, wiederholte ich müde. »Sie befinden sich auf dem Territorium der Moskauer Wache. Sie hätten sich bei uns melden müssen.«
»Früher hat es dergleichen nicht gegeben«, murmelte die Hexe. »Hohe Zauberkundige haben sich übereinander informiert, Vampire und Tiermenschen wurden erfasst… aber um uns hat sich niemand gekümmert.«Hm…
»Was heißt früher?«, wollte ich wissen.
»1931«, gab die Hexe widerwillig preis.
»Sie leben seit 31 hier?«, hakte ich ungläubig nach. »Arina…«
»Ich lebe erst seit zwei Jahren hier. Davor…«Sie runzelte die Stirn. »… das spielt keine Rolle, wo ich davor war. Ich habe jedenfalls nichts von diesen neuen Gesetzen gehört.«
Vielleicht sagte sie sogar die Wahrheit. Bei alten Anderen, vor allem bei denjenigen, die nicht in den Wachen arbeiten, kann so was vorkommen. Sie verkriechen sich irgendwo, im Wald oder in der Taiga, und hocken da jahrzehntelang, bis Sehnsucht sie überwältigt.
»Und vor zwei Jahren haben Sie beschlossen, hierher zu ziehen?«, hakte ich nach.
»Ja. Was hatte ich dummes Weib auch in der Stadt verloren?«Arina lachte. »Jetzt sitze ich hier, gucke fern und lese meine Bücher. Hole das Versäumte nach. Ich habe eine alte Freundin gefunden… die mir Bücher aus Moskau schickt.«
»Gut«, meinte ich. »Dann kommt jetzt die übliche Prozedur. Haben Sie ein Blatt Papier? »
»Ja.«
»Schreiben Sie eine Erklärung. Name, Eltern, Geburtsjahr, Initiierungsjahr, ob Sie einmal den Wachen angehört haben, auf welcher Kraftstufe Sie stehen…«
Gehorsam nahm Arina Blatt und Bleistift zur Hand. Ich runzelte die Stirn, bot ihr aber keinen Kugelschreiber an. Sollte sie doch mit einer Gänsefeder schreiben.
»Wann Sie sich das letzte Mal angemeldet oder Ihren Wohnsitz einem offiziellen Organ der Wachen mitgeteilt haben… Wo Sie sich danach aufgehalten haben.«
»Ich werde das nicht schreiben.«Arina legte den Stift beiseite. »Was soll neuerdings dieses Geschreibsel… Wen geht es etwas an, wo ich meine alten Knochen wärme?«
»Hören Sie doch auf, wie eine Dorfalte zu sprechen, Arina!«, bat ich. »Sie haben sich doch vorhin ganz normal ausgedrückt!«
»Da habe ich mich verstellt«, erklärte Arina, ohne mit der Wimper zu zucken. »Gut, wie Sie wollen. Nur verzichten Sie dann auch auf diesen Armeeton.«
Mit einer peniblen, engen Schrift schrieb sie rasch das ganze Blatt voll. Reichte es mir.