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»Es gibt so ein Gesetz«, gab ich zu.

»Dann finde deine Tiermenschen selbst. Ob sie nun Dummköpfe sind oder blutrünstig, ich werde sie nicht ausliefern.«

Sie hatte das voll Überzeugung, voll Entschlossenheit gesagt. Druck auf sie ausüben konnte ich nicht. Schließlich hatte sie den Werwölfen nicht geholfen. Im Gegenteil.

»Die magischen Handlungen gegen mich…«Ich dachte kurz nach. »Sei's drum, die verzeihe ich Ihnen. »

»Einfach so?«, hakte die Hexe nach.

»Einfach so. Es hat mich gefreut, dass ich Ihnen widerstehen konnte.«

»Er hat mir widerstanden…«, schnaubte die Hexe. »Deine Frau ist eine Zauberin. Was ist, glaubst du, dass ich blind bin und das nicht wittere? Sie hat dich verzaubert. Damit kein Weibsbild dich verführen kann. »

»Du lügst«, entgegnete ich gelassen.

»Ja«, gab die Hexe zu. »Unglaublich! Zauberei ist hier keine im Spiel, du liebst sie einfach. Grüß deine Frau von mir, und deine Tochter auch. Wenn du Sebulon triffst, sag ihm, dass er schon immer ein Esel war und auch immer einer bleiben wird.«

»Gern«, versprach ich. Was für eine Hexe! Traute sich sogar, Sebulon frech zu kommen! »Und was soll ich Geser ausrichten?«

»Dem lasse ich überhaupt nichts ausrichten«, sagte Arina respektlos. »Was sollen wir alten Landpomeranzen uns schon um die großen tibetischen Magier scheren!«

Ich stand da und starrte die seltsame Frau an, die in ihrer menschlichen Gestalt so schön, tatsächlich aber so widerwärtig aussah. Eine Hexe, eine mächtige Hexe. Doch ob auch eine böse? Bestimmt eine, die in keinen Rahmen passte…»Bist du nicht einsam hier allein, Alte?«, fragte ich.

»Willst du mich beleidigen?«, antwortete Arina mit einer Gegenfrage.

»Nein, keinesfalls. Ein wenig habe ich aber doch begriffen.«Arina nickte, hüllte sich jedoch in Schweigen.

»Du hattest nämlich überhaupt nicht die Absicht, mich zu verführen, denn fleischliche Lust kennst du nicht mehr«, fuhr ich fort. »Bei Hexen ist das nicht so wie bei Zauberinnen. Du bist alt und fühlst dich alt, Männer interessieren dich nicht die Bohne. Allerdings kannst du noch tausend Jahre eine Alte bleiben. Deshalb hast du mich bloß aus rein sportlichem Interesse heraus zu verführen versucht.«

Ein Moment - und Arina hatte sich erneut verwandelt. In eine propere Alte, mit roten Wangen, leicht gebückter Haltung, wachen forschenden Augen, einem Mund, dem schon einige Zähne fehlten, und grauen, streng zurückgekämmten Haaren. »Ist es so besser?«, fragte sie.

»Ja, vermutlich schon«, gab ich mit leichtem Bedauern zu. Trotz allem hatte sie bisher einfach toll ausgesehen.

»So habe ich ausgesehen… vor hundert Jahren«, erklärte die Hexe. »Und so, wie ich dir die Tür aufgemacht habe, auch… irgendwann mal. Und wie ich erst mit sechzehn ausgesehen habe! Ach, Lichter, was war ich für ein lustiges, hübsches junges Ding! Wenn auch eine Hexe… Weißt du, wie und warum wir altern? »

»Irgendwas habe ich mal darüber gehört«, gab ich zu.

»Das ist der Preis, den wir für einen höheren Rang zahlen.«Schon wieder benutzte sie dieses altmodische Wort, das in den letzten Jahren vollständig von dem aus Computerspielen übernommenen»Grad«verdrängt worden war. »Auch eine Hexe könnte einen jungen Körper behalten. Nur würde sie sich dann auch mit dem dritten Rang abfinden müssen. Unsere Beziehung zur Natur ist sehr stark, und die Natur liebt eben keine Fälschungen. Verstehst du das? »

»Ja«, sagte ich.

»Gut, Lichter…«Arina nickte. »Freu dich also, Lichter, dass deine Frau eine Zaubermeisterin ist. Du hast dich mir gegenüber freundlich verhalten, das will ich gar nicht abstreiten. Darf ich dir ein Geschenk mitgeben?«

»Nein.«Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin im Dienst. Und ein Geschenk von einer Hexe…«

»Das weiß ich doch. Aber das Geschenk ist nicht für dich, sondern für deine Frau!«

Das verwirrte mich. Arina humpelte munter zu einer mit Eisenbeschlägen versehene Truhe hinüber (vorher hatte hier eine unauffällige Kommode gestanden), öffnete sie und ließ die Hand darin verschwinden. Schon im nächsten Moment kam sie mit einem kleinen beinernen Kamm zu mir zurück.

»Nimm das, Wächter. Ohne Hintergedanken, ohne Verschlagenheit meinerseits, weder zu deinem Schaden noch Kummer. Will zum Schatten werden, wenn ich lüge, dass ich spurlos mit dem Wind verfliege…»

»Was ist das?«, fragte ich.

»Ein Kleinod.«Arina runzelte die Stirn. »Oder, wie es jetzt heißt… ein Artefakt. »

»Und wozu?«

»Deine Kraft reicht wohl nicht, um das zu erkennen?«, fragte Arina mitleidig. »Deine Frau wird es wissen. Und wozu brauchst du Erklärungen, Lichter? Ich könnte schließlich auch lügen, das würde mir nicht schwer fallen. Könnte lügen, und du würdest mir glauben. Schließlich bist du schwächer als ich, das weißt du selbst.«

Ich schwieg, biss mir auf die Lippe. Hm… Immerhin hatte ich sie ein paar Mal ziemlich angefahren. Nun zahlte sie es mir heim.

»Nimm das, keine Angst«, wiederholte Arina. »Auch Baba-Jaga ist zwar schlecht, hilft aber guten jungen Männern.«Warum eigentlich nicht?

»Besser würdest du mir die Werwölfe ausliefern«, meinte ich, während ich den Kamm an mich nahm. »Ich nehme dein Geschenk nur als Überbringer entgegen, und diese Gabe bedeutet für niemanden irgendein Versprechen.«

»Du abgebrühter Kerl«, nuschelte Arina. »Und die Wölfe… tut mir leid. Ihr werdet sie schon kriegen, das weiß ich. Aber ich werde sie nicht ausliefern. Übrigens kannst du das Buch mitnehmen. Vorübergehend. Um es zu prüfen. Dazu hast du doch das Recht, oder?«

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich immer noch das vermaledeite Fuaran. Phantasie oder Wahrheit? in der linken Hand hielt.

»Zum Studium, zeitweilig, im Rahmen meiner Rechte als Wächter«, meinte ich finster.

Trotzdem machte diese Frau mit mir, was sie wollte! Wenn ihr der Sinn danach gestanden hätte, wäre mir erst zu Hause aufgefallen, dass ich das Buch zufällig mitgenommen hatte. Dann hätte sie mit Fug und Recht bei den Wachen Beschwerde einlegen können: wegen Diebstahl eines wertvollen»Kleinods«.

Als ich das Haus verließ, sah ich, dass es bereits tiefe Nacht geworden war. Und ich musste noch mindestens zwei, drei Stunden durch den Wald marschieren.

Doch kaum war ich die paar Stufen zum Haus hinunter, als vor mir ein geisterhaftes blaues Feuer aufleuchtete. Ich seufzte und linste zur Hütte hinüber, in deren Fenster grelles elektrisches Licht brannte. Arina würde mich nicht begleiten. Das

Feuerchen tanzte auffordernd vor mir in der Luft.

Ich folgte ihm.

Fünf Minuten später hörte ich das träge Kläffen der Hunde.

Weitere zehn Minuten später gelangte ich zum Waldrand.

Was mir am meisten zu schaffen machte: Die ganze Zeit über hatte ich nicht die geringste Spur von Magie gespürt.

Vier

Das Auto im Schuppen hatte sein früheres Äußeres bereits zurückgewonnen. Allerdings wagte ich es nicht, mich ans Steuer zu setzen, um zu testen, ob der vielgeplagte Motor, nachdem russische Mechaniker, Spezialisten für landwirtschaftliche Maschinen, an ihm herumhantiert hatten, auch funktionierte. Mucksmäuschenleise schlich ich ins Haus, wobei ich lauschte: Meine Schwiegermutter schlief bereits in ihrem Zimmer, während in unserem matt das Nachtlicht brannte. Ich öffnete die Tür und trat ein.

»Hat alles geklappt?«, wollte Swetlana wissen. Der fragende Ton in ihrer Stimme ließ sich übrigens kaum wahrnehmen. Sie spürte auch ohne Worte alles ganz genau.

»Mehr oder weniger«, nickte ich. Ich sah zu Nadjuschkas Bett hinüber. Meine Tochter schlief fest. »Die Werwölfe habe ich nicht gefunden. Mit der Hexe habe ich geredet.«

»Erzähl mal«, forderte Swetlana mich auf. Sie saß nur im Nachthemd im Bett, neben ihr lag das dicke Buch Die Mumins. Entweder hatte sie Nadja daraus vorgelesen - der war es noch egal, was sie vorm Einschlafen hörte, es konnte auch ein Lehrbuch zur Festigkeitslehre sein, solange sie nur die Stimme ihrer Mutter vernahm -, oder sie hatte sich selbst vor dem Einschlafen mit einem guten Kinderbuch entspannen wollen.