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»Was ist denn überhaupt passiert?«, wollte ich wissen. »Ich bin schließlich im Urlaub. Mit meiner Frau und meiner Tochter. Und meiner Schwiegermutter. Ich bin nicht im Dienst.«

»Das hat Sie aber nicht daran gehindert, Arina zu besuchen«, antwortete Edgar, ohne mit der Wimper zu zucken.

Das hatte ich nun davon! Wieso musste ich das Ganze auch auf die leichte Schulter nehmen…

»Das gehört zu meinen unmittelbaren dienstlichen Verpflichtungen«, konterte ich. »Menschen zu schützen, Dunkle zu kontrollieren. Immer und überall. Woher weiß die Inquisition übrigens von Arina?«

Jetzt war die Reihe an Edgar zu grinsen und die Antwort hinauszuzögern. »Geser hat es uns mitgeteilt«, sagte er schließlich. »Sie haben ihn doch gestern angerufen und ihm alles berichtet, oder? Da es eine ungewöhnliche Situation ist, hielt Geser es für seine Pflicht, die Inquisition in Kenntnis zu setzen. Als Zeichen unserer unverändert freundschaftlichen Beziehungen.«

Das sollte einer verstehen!

Wenn die Hexe irgendwie in die Geschichte mit Gesers Sohn verwickelt war… Oder war sie es am Ende doch nicht?

»Ich muss ihn anrufen«, sagte ich und ging demonstrativ zum Haus. Edgar blieb gehorsam neben der Hängematte stehen. Er linste zwar zu dem Plastikstuhl hinüber, hielt ihn aber nicht für sauber genug. Ich wartete, das Handy ans Ohr gepresst. »Hallo, Anton. »

»Edgar ist zu mir gekommen…«

»Ja, ja, ja«, sagte Geser zerstreut. »Nach deinem Bericht gestern habe ich es für nötig erachtet, die Inquisition über die Hexe zu informieren. Wenn du willst, hilf ihm. Wenn nicht, jag ihn sonst wohin. Seine Verfügung ist nicht rechtskräftig, ist dir das aufgefallen?«

»Ja«, antwortete ich, während ich zu Edgar hinüberschielte. »Was ist mit diesen Werwölfen, Chef?«

»Die überprüfen wir«, erwiderte Geser nach kurzem Zögern. »Noch haben wir nichts.«

»Und noch einmal zu dieser Hexe…«Ich linste zu dem Buch über das Buch. »Ich habe bei ihr ein erstaunliches Buch beschlagnahmt… Fuaran. Phantasie oder Wahrheit?«

»Das kenn ich, das kenn ich«, sagte Geser in gutmütigem Ton. »Wenn du das echte Fuaran gefunden hättest… Darauf hättest du dir was einbilden können. Ist das alles, Anton? »

»Ja«, gab ich zu. Und Geser unterbrach die Verbindung. Edgar wartete geduldig.

Ich ging zu ihm, legte eine Kunstpause ein. »Welches Ziel hat Ihre Untersuchung?«, fragte ich dann. »Und was soll ich dabei tun?«

»Sie werden mit mir zusammenarbeiten, Anton?«Edgar freute sich aufrichtig. »Meine Untersuchung betrifft die Hexe Arina, die Sie entdeckt haben. Sie müssten mir den Weg zu ihr zeigen.«

»Und was will die Inquisition von der Alten?«, wollte ich wissen. »Meiner Ansicht nach hat sie nicht das geringste Verbrechen begangen. Auch nicht aus Sicht der Nachtwache.«

Edgar geriet in Verlegenheit. Er wollte lügen - und gleichzeitig wusste er, dass ich die Lüge spüren könnte. Von der Kraft her konnten wir beide uns ungefähr messen. Und seine inquisitorischen Tricks mussten nicht immer funktionieren.

»Es geht da um eine alte Sache«, gab der Dunkle Magier zu. »Die seit den dreißiger Jahren anhängig ist. Die Inquisition hat eine Reihe von Fragen an sie…«

Ich nickte. Von Anfang an hatte mich die Geschichte von den Ermittlungen des bösen NKWD gestört. Gewiss, die Bauern hätten durchaus versuchen können, die Hexe hintenrum loszuwerden. Aber eben nur versuchen. Mit einem Anderen niedrigen Grades konnte eine solche Sache durchaus noch klappen. Aber nicht mit einer so mächtigen Hexe…

»Gut, ich zeig Ihnen, wo sie wohnt«, stimmte ich zu. »Wollen Sie noch etwas frühstücken, Edgar?«

»Da sage ich nicht nein.«Der Magier zierte sich nicht. »Und… Ihre Gattin hat nichts dagegen? »

»Das werden wir gleich in Erfahrung bringen«, meinte ich.

Ein interessantes Frühstück. Trotz allem fühlte sich der Inquisitor nicht ganz wohl in seiner Haut, versuchte krampfhaft, lustig zu sein, machte Swetlana und Ljudmila Iwanowna Komplimente, plapperte mit Nadjuschka in der Kindersprache und lobte das einfache Spiegelei.

Nadjuschka, meine kleine Kluge, sah den»Onkel Edgar«aufmerksam an und schüttelte den Kopf. »Du bist ein andrer«, sagte sie. Danach wich sie ihrer Mutter nicht von der Seite.

Swetlana amüsierte Edgars Besuch. Sie stellte Edgar verschiedene unverfängliche Fragen, erinnerte ihn an die»Geschichte mit dem Spiegel«und verhielt sich insgesamt so, als ob ein Arbeitskollege oder guter Bekannter gekommen sei.

Dafür zeigte sich Ljudmila Iwanowna schier entzückt von Edgar. Ihr gefiel seine Art, sich zu kleiden, zu reden, selbst dass er die Gabel in der linken Hand hielt und das Messer in der rechten, begeisterte meine Schwiegermutter. Man hätte glauben können, alle übrigen äßen mit Fingern… Als Edgar dann auch noch ganz entschieden ein Schnäpschen ablehnte, erntete ich einen derart gouvernantenhaften Blick, als ob ich die Angewohnheit hätte, mir jeden Morgen erst mal ein oder zwei Gläschen Wodka hinter die Binde zu kippen.

Deshalb machten Edgar und ich uns satt, aber leicht verärgert auf den Weg. Ich über die Begeisterung meiner Schwiegermutter, er anscheinend über ihre Aufmerksamkeit.

»Können Sie mir sagen, was Sie der Hexe vorzuwerfen haben?«, fragte ich, während wir auf den Wald zusteuerten.

»Eigentlich haben wir doch Brüderschaft getrunken«, erinnerte mich Edgar. »Wollen wir wieder zum Du übergehen? Oder steht meine neue Arbeit…«

»Die ist nicht schlechter als die Arbeit in der Tagwache«, unterbrach ich ihn. »Gut, duzen wir uns.«

Zufrieden drückte sich Edgar nicht länger um die Antwort. »Arina ist eine starke und ehrenwerte Hexe… innerhalb ihrer engen Kreise. Wie du weißt, Anton, hat jede Gruppe ihre eigene Hierarchie. Geser kann sich noch so sehr über Viteszlav lustig machen, aber unter den Vampiren ist er der stärkste. Bei den Hexen nimmt Arina eine vergleichbare Position ein. Eine sehr hohe.«

Ich nickte. O nein, sie war keine einfache Hexe, meine neue Bekannte…

»Die Tagwache hat sie mehrmals zur Mitarbeit aufgefordert«, fuhr Edgar fort. »Genauso hartnäckig, wie ihr um Swetlana gekämpft habt… Nimm's mir nicht übel, Anton!«

Das tat ich nicht.

»Die Hexe lehnte entschieden ab. Gut, das ist ihr Recht! Vor allem, da sie sich verschiedentlich auf eine zeitweilige Zusammenarbeit eingelassen hat. Aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts, genauer, nach der sozialistischen Revolution, geschah etwas Unangenehmes…«

Er verstummte, zögerte. Wir gingen in den Wald, wobei ich Edgar, wenn auch mit einer gewissen aufgesetzten Sicherheit, führte. Der Dunkle Magier stapfte, so albern er in seiner Stadtkleidung auch wirkte, ungerührt durch Büsche und über holprigen Boden. Noch nicht mal die Krawatte lockerte er.

»Damals haben die Nacht- und die Tagwache um das Recht auf ein gesellschaftliches Experiment gerungen…«, berichtete Edgar. »Den Kommunismus haben sich ja bekanntlich die Lichten ausgedacht…«

»Und die Dunklen verdorben«, konnte ich mir nicht verkneifen.

»Hör doch auf, Anton«, meinte Edgar beleidigt. »Wir haben gar nichts verdorben. Die Menschen haben frei entschieden, welche Gesellschaft sie aufbauen wollen! Doch zurück zum Thema: Die Wachen haben Arina um Hilfe gebeten. Sie hat sich einverstanden erklärt… eine kleine Mission zu übernehmen. An ihr hatten sowohl die Dunklen wie auch die Lichten ein Interesse, aber auch die Hexe selbst. Jede Seite war mit… mit dieser Mission einverstanden. Jede Seite hoffte darauf, am Ende zu gewinnen. Die Inquisition schaute sich das Ganze an, einen Grund zum Eingreifen gab es jedoch nicht. Alles lief ja mit Zustimmung beider Wachen…«

Eine interessante Neuigkeit! Was das wohl für eine Mission sein mochte, die sowohl die Dunklen wie auch die Lichten guthießen?

»Arina hat ihre Mission brillant erfüllt«, fuhr Edgar fort. »Die Wachen haben sie sogar belobigt… Wenn ich mich nicht irre, haben ihr die Lichten das Recht auf dunkle Magie zweiten Grades eingeräumt.«

Eine Geschichte, mit der nicht zu spaßen war. Mit einem Nicken nahm ich die Information zur Kenntnis.