»Nehmen Sie doch wenigstens für einen Augenblick an, dass man einen Menschen in einen Anderen verwandeln kann!«, bat ich.
»Und weshalb sollte jemand das getan haben?«, fragte Geser. »Ich bin bereit, alles zu glauben, wenn du mir die Gründe dafür nennst. Wollte man Olga und mich in irgendwas hineinreiten? Das kann nicht sein. Schließlich ist alles reibungslos über die Bühne gegangen.«
»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. Und während ich aufstand, fügte ich rachsüchtig hinzu: »Aber ich an Ihrer Stelle würde mich noch nicht zurücklehnen. Sie sind daran gewöhnt, dass Ihre Intrige immer die raffinierteste ist. Aber es gibt immer mehr als eine Variante.«
»Kluger Junge…«Geser verzog das Gesicht. »Geh jetzt zu Sweta… Nein, warte.«
Er steckte die Hand in die Tasche seines Morgenmantels und holte sein Handy heraus. Das klingelte nicht, vibrierte aber nervös.
»Ich mach's kurz…«, meinte Geser, während er mir zunickte. »Hallo«, sagte er dann ins Mobiltelefon, bereits mit seiner Telefonstimme.
Taktvoll ging ich zu den Schränken und guckte mir den magischen Nippes an. Gut, die Figuren von Ungeheuern dürften der Anrufung von Monstern dienen. Zum Beispiel. Aber wofür war die Peitsche nötig? War das eine Art Geißel des Schaab?
»Wir sind gleich da«, meinte Geser knapp. Dann klappte er sein Handy zu. »Anton!«
Als ich mich zu Geser umdrehte, war er gerade mit dem Umziehen fertig. Er hatte sich einfach mit den Händen über den Körper gestrichen, worauf Morgenmantel samt Pyjama Farbe und Stoff änderten, sich in einen streng geschnittenen grauen Anzug verwandelten. Mit einer letzten Handbewegung legte Geser eine Krawatte um seinen Hals. Bereits komplett mit strengem Windsorknoten. All das war keine Illusion, sondern Geser hatte tatsächlich einen Anzug aus seinem Pyjama gemacht.
»Wir müssen eine kleine Reise machen, Anton… In das Häuschen dieser bösen Zauberin.«
»Ist sie gefasst worden?«, fragte ich, wobei ich versuchte, mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich trat an Geser heran.
»Nein, schlimmer. Gestern Abend ist im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Arina ein Geheimversteck entdeckt worden.«Geser fuchtelte mit der Hand, worauf in der Luft ein Portal entstand. »Es sind schon… ein paar Leute da«, fügte er nebulös hinzu. »Gehen wir. »
»Was war in dem Versteck?«, rief ich.
Aber Gesers Hand schubste mich bereits in das weiße leuchtende Oval hinein. »Geh in Position«, vernahm ich seinen Rat.
Der Weg durch ein Portal braucht seine Zeit. Mal Sekunden oder Minuten, manchmal auch Stunden. Das hängt nicht von der Entfernung ab, sondern von der Präzision der Einstellung. Ich wusste nicht, wer das Portal in Arinas Haus geöffnet hatte, ich wusste auch nicht, wie lange ich in der milchweißen Leere bleiben musste.
Ein Geheimversteck in Arinas Haus. Ja und? Jeder Andere konnte in seinem Haus ein Versteck für magische Gegenstände anlegen.
Was hatte Geser so beunruhigt? Denn ich war überzeugt davon, dass der Chef beunruhigt und irritiert war - zu steinern und gelassen wirkte seine Miene!
Aus irgendeinem Grund stellte ich mir fürchterliche Dinge vor, zum Beispiel Kinderleichen im Keller. Das würde Gesers Panik erklären, der so überzeugt gewesen war, dass Arina Nad-juschka nicht angerührt hatte! Aber nein, das konnte nicht sein…
Mit diesem Gedanken stürzte ich aus dem Portal, mitten hinein in das kleine Zimmer. Da waren in der Tat reichlich viele Leute.
»Aus dem Weg!«, schrie Kostja und packte mich bei der Hand. Ich hatte kaum einen Schritt zur Seite getan, als Geser aus dem Portal trat.
»Ich grüße dich, Großer«, sagte Sebulon erstaunlich freundlich, ganz ohne seine sonstige Gehässigkeit.
Ich blickte mich um. Sechs unbekannte Inquisitoren, in Kitteln, die Kapuzen auf dem Kopf, alles so, wie es sich gehört. Edgar, Sebulon und Kostja - das war nicht weiter verwunderlich. Aber Swetlana! Voller Angst sah ich sie an, doch zu meiner Beruhigung schüttelte sie sofort den Kopf. Mit Nadja war also alles in Ordnung. »Wer leitet die Untersuchung?«, fragte Geser.
»Ein Triumvirat«, antwortete Edgar knapp. »Ich von der Inquisition, Sebulon von den Dunklen und…«Er sah Swetlana an. »… wen ihr bestimmt.«
»Ich«, nickte Geser. »Vielen Dank, Swetlana. Ich weiß das sehr zu schätzen.«
Erklärungen brauchte ich nicht. Was auch immer hier geschehen war, Swetlana war als erste Lichte eingetroffen - und hatte im Namen der Nachtwache gehandelt. Der Dienst hatte sie zurück, wenn man so wollte. »Sollen wir Sie informieren?«, fragte Edgar. Geser nickte.
»Und Gorodezki?«, fragte Edgar.
»Bleibt bei mir.«
»Das ist Ihr gutes Recht.«Edgar nickte mir zu. »Also, wir haben es hier mit einem außergewöhnlichen Zwischenfall zu tun…«Warum verständigte er sich mit Worten?
Ich versuchte Swetlana danach zu fragen, streckte mich gedanklich nach ihr aus…
Und schlug gegen eine blinde Mauer.
Die Inquisition hatte die Gegend blockiert. Deshalb hatte man Geser angerufen, statt sich telepathisch mit ihm in Verbindung zu setzen. Worum es hier auch gehen mochte, sollte geheim bleiben. Die nächsten Worte Edgars bestätigten meinen Gedanken.
»Da das, was hier geschehen ist, strengster Geheimhaltung unterliegt«, sagte Edgar, »bitte ich alle Anwesenden, ihren Schutz aufzugeben und sich für die Markierung mit dem Straffeuer bereitzuhalten.«
Ich schielte zu Geser hinüber, der bereits sein Hemd aufknöpfte. Sebulon, Swetlana, Kostja und sogar Edgar - alle entkleideten sich!
Ich fand mich damit ab und zog meinen Pullover aus. Kriegte also auch ich jetzt das Straffeuer…
»Wir, die hier Anwesenden, schwören, niemals irgendwo jemanden darüber zu informieren, was wir im Zuge der Untersuchung dieses Vorfalls in Erfahrung bringen, abgesehen vom obersten Tribunals der Inquisition als einziger Ausnahme«, sagte Edgar. »Ich schwöre!«
»Ich schwöre«, sagte Swetlana und fasste mich bei der Hand.
»Ich schwöre«, flüsterte ich.
»Ich schwöre, ich schwöre, ich schwöre…«, erklang es von allen Seiten.
»Wenn ich dieses Geheimnis preisgebe, möge mich die Hand des Straffeuers vernichten!«, schloss Edgar.
Seine Finger loderten in blendend roten Strahlen auf. In der Luft schien der brennende Abdruck einer Hand zu hängen, die in einzelne Schichten zerfiel, um flackernd zwölffach auf uns zuzukommen. Sehr langsam - und nichts jagte mir eine derartige Angst ein wie diese Bedächtigkeit.
Als Ersten berührte das Zeichen des Straffeuers Edgar selbst. Das Gesicht des Inquisitors verzog sich, auf seiner Haut leuchteten für einen kurzen Moment noch weitere solcher glutroten Abdrücke auf. Offenbar tat das weh…
Geser und Sebulon nahmen die Einbrennung des Zeichens stoisch hin. Wenn meine Augen mich nicht täuschten, überzog bereits ein dichtes Netz dieser Zeichen ihren Körper. Einer der Inquisitoren winselte auf. Offenbar tat das sehr weh…
Dann kam ich an die Reihe und begriff, dass ich mich geirrt hatte. Das tat nicht sehr weh - das war unerträglich! Als ob man mich mit einem glühenden Brandeisen kennzeichnete. Und mich dabei nicht nur an einer Stelle brandmarkte, sondern das Feuer durch meinen ganzen Körper jagte.
Sobald sich der blutige Schleier vor meinen Augen gehoben hatte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, dass ich mich - im Gegensatz zu zwei Inquisitoren - immer noch auf den Beinen hielt.
»Und da heißt es, eine Geburt sei schmerzhaft…«, sagte Swetlana leise, während sie ihre Bluse zuknöpfte. »Ha…«
»Ich möchte daran erinnern… Wenn das Zeichen zum Einsatz kommt, wird es weitaus schmerzhafter sein…«, murmelte Edgar. In den Augen des Dunklen standen Tränen. »Das ist zum Wohle der Allgemeinheit.«
»Genug der schönen Worte!«, unterbrach ihn Sebulon. »Wenn du hier nun schon mal das Sagen hast, dann benimm dich auch entsprechend.«In der Tat, wo war Viteszlav? War er trotz allem nach Prag abgeflogen?
»Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollten«, meinte Edgar, der immer noch ein gequältes Gesicht machte. Dann ging er zur Wand.
Ein Geheimversteck kann man auf verschiedene Weise anlegen. Ganz banal als magisch maskierten Safe in der Wand, aber auch im Zwielicht, gesichert durch etliche mächtige Zauber.