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Unter den Blicken der Hohen wurde sie unsicher und geriet aus dem Konzept. Doch sowohl Sebulon wie auch Geser blickten Swetlana wohlwollend an.

»Ja, stimmt, es gibt eine solche Magie«, murmelte Geser. »Wie ist das gleich, jetzt fällt's mir wieder ein… Einmal ist mir ein Pferd gestohlen worden, ich hatte dann nur noch das Zaumzeug…«

Er verstummte. Schielte zu Sebulon hinüber. »Ich bitte Sie, Dunkler«, sagte er in ausgesucht freundlichem Ton. »Erschaffen Sie das Ebenbild!«

»Ich würde es lieber sehen, wenn Sie das täten«, erwiderte Sebulon nicht weniger höflich. »Damit mir nicht unterstellt wird, ich sei unehrlich gewesen.«Irgendwas stimmte hier nicht! Aber was?

»Nun, wie heißt es doch im Volksmund so schön: Den ersten Peitschenhieb für den Denunzianten!«, meinte Geser fröhlich. »Swetlana, dein Vorschlag ist angenommen. Stell das Ebenbild her.«

Gequält sah Swetlana Geser an. »Boris Ignatjewitsch… Es tut mir leid, das ist eine so einfache Sache… die habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Vielleicht könnten wir einen Magier mit niedrigerem Grad bitten?«

Daran hakte es also. Die Großen Magier beherrschten das ABC der Magie, das allen neuen Anderen beigebracht wird, nicht mehr. Hatten es vergessen - wie ein Akademiker das kleine Einmaleins oder Schönschrift!

»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte ich. Ohne die Antwort abzuwarten, streckte ich eine Hand nach dem Brief aus. Ich kniff die Augen zusammen, damit der Schatten meiner Wimpern auf meine Augen fiel, und sah durchs Zwielicht auf das graue Blatt Papier. Ich stellte mir ein Buch vor, einen dicken Schmöker, gebunden in Menschenhaut, das Tagebuch einer von Menschen und Anderen verfluchten Hexe…

Langsam formte sich das Bild. Das Buch sah fast so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte, nur die Ecken des Einbands waren mit goldfarbenen Metalldreiecken beschlagen. Anscheinend waren sie erst später angebracht worden, von einem der Besitzer des Fuaran, der nicht wollte, dass das Buch beschädigt wurde.

»Da ist es!«, sagte Geser mit lebhaftem Interesse. »In der Tat, in der Tat…«

Die Magier erhoben sich, beugten sich über den Tisch, betrachteten das nur für Andere sichtbare Bild des Buchs. Das Papier auf dem Tisch erzitterte leicht, als gehe hier ein Luftzug. »Kann man es nicht öffnen?«, fragte Kostja.

»Nein, das ist nur ein Bild, das die Sache selbst nicht in sich birgt…«, sagte Geser freundlich. »Weiter, Anton. Fixiere es… und überleg dir einen Suchmodus.«

Das Bild des Buchs zu fixieren gelang mir ohne weiteres. Aber die Bitte, mir einen Suchmodus zu überlegen, hatte mich kalt erwischt. Am Ende entschied ich mich für eine groteske Kompass-Analogie: ein riesiger, tellergroßer Kompass mit einer Nadel, die sich um die eigene Achse drehte. Ein Ende der Nadel leuchtete heller - es musste das Fuaran anzeigen.

»Lad ihn mit Energie auf«, bat Geser. »Er muss mindestens eine Woche funktionieren… für alle Fälle.«Ich lud ihn auf. Völlig erschöpft, aber zufrieden entspannte ich mich.

Wir starrten auf den im Zwielicht hängenden»Kompass«. Die Nadel wies direkt auf Sebulon.

»Was soll das, Gorodezki?«, wollte Sebulon wissen. Er stand auf und trat zur Seite. Die Nadel rührte sich nicht.

»Gut«, meinte Geser zufrieden. »Edgar, deine Mitarbeiter sollen reinkommen.«

Rasch ging Edgar zur Tür, rief sie und kam an den Tisch zurück.

Einer nach dem andern betraten die Inquisitoren das Zimmer. Die Nadel rührte sich nicht. Sondern wies ins Leere.

»Was zu beweisen war«, brachte Edgar beruhigt hervor. »Keiner der hier Anwesenden hat etwas mit dem Diebstahl des Buches zu tun.«

»Sie zittert«, sagte Sebulon, indem er auf den»Kompass«guckte. »Die Nadel zittert. Aber da wir bei dem Buch keine Beinchen entdecken konnten…«

Er brach in ein unschönes, böses Gelächter aus. Er schlug Edgar auf die Schulter. »Was nun, alter Genosse?«, fragte er. »Brauchst du Hilfe bei der Festnahme?«

Edgar fixierte den»Kompass«ebenfalls aufmerksam. »Wie genau arbeitet das Gerät, Anton?«, fragte er dann.

»Ich glaube, nicht sehr genau«, gestand ich. »Schließlich war die Spur des Buchs nur sehr schwach. »

»Die Genauigkeit!«, wiederholte Edgar.

»Auf hundert Meter genau«, vermutete ich. »Vielleicht auf fünfzig. Soweit wie ich es verstehe, wird das Signal in größerer Nähe zu stark, und die Nadel fängt dann an, sich nur noch chaotisch um sich selbst zu drehen. Tut mir leid.«

»Keine Sorge, Anton, du hast alles richtig gemacht«, lobte mich Geser. »Bei einer so schwachen Verbindung hätte das niemand besser machen können. Hundert Meter sind hundert Meter… Kannst du die Entfernung zum Ziel bestimmen?«

»Annähernd, anhand der Helligkeit des Leuchtens… Hundertzehn, hundertzwanzig Kilometer.«

Geser blickte finster drein. »Das Buch ist bereits in Moskau. Wir verschwenden hier unsere Zeit, meine Herren. Edgar!«

Der Inquisitor steckte die Hand in die Tasche und holte eine gelblich-weiße Kugel aus Knochen heraus. Äußerlich sah sie wie eine gewöhnliche Billardkugel aus, nur etwas kleiner. Außerdem überzogen willkürlich eingravierte, unverständliche Piktogramme ihre Oberfläche. Edgar nahm die Kugel in beide Hände und konzentrierte sich.

Im nächsten Moment spürte ich, wie sich etwas veränderte. Als habe bis eben in der Luft ein mit bloßem Augen nicht zu erkennender, aber dennoch wahrnehmbarer Schleier gehangen - der jetzt verschwand, zusammenschrumpfte, in die beinerne Kugel kroch.

»Ich habe gar nicht gewusst, das die Inquisition noch minoische Kugeln in ihrem Besitz hat«, bemerkte Geser.

»Kein Kommentar«, sagte Edgar, zufrieden mit seinem Auftritt, lächelnd. »Gut, die Barrieren werden aufgelöst. Hängen Sie ein Portal auf, Große!«

Natürlich. Ein direktes Portal, das vorher»drüben«nicht markiert wird, das ist eine Aufgabe für Große. Edgar selbst konnte das entweder nicht oder wollte Kraft sparen…

Geser schielte zu Sebulon hinüber. »Vertrauen Sie mir noch einmal?«, fragte er.

Sebulon fuchtelte schweigend mit der Hand - und in der Luft öffnete sich ein im Dunkel klaffender Spalt. Sebulon trat als Erster hinein, danach, uns mit einem Zeichen auffordernd, ihm zu folgen, Geser. Ich nahm den wertvollen Brief Arinas zusammen mit dem unsichtbaren»Kompass«an mich und folgte Swetlana.

Obwohl das direkte Portal äußerlich anders aussah, war im Innern alles wie sonst. Ein milchiger Nebel, der Eindruck, sich schnell fortzubewegen, der vollständige Verlust des Zeitgefühls. Ich versuchte mich zu konzentrieren - gleich würden wir in die Nähe des Verbrechers kommen, des Mörders eines Hohen Vampirs. Geser und Sebulon würden natürlich das Kommando übernehmen. Swetlana war ihnen, wenn auch nicht an Erfahrung, so doch an Kraft sogar noch überlegen. Kostja mochte jung sein, war aber bereits ein Hoher. Und dann hatten wir noch Edgar mit seinem Team und den Taschen voller Artefakte aus den Beständen der Inquisition. Trotzdem konnte ein Kampf lebensgefährlich sein.

Im nächsten Moment begriff ich allerdings, dass es keinen Kampf geben würde. Zumindest nicht gleich.

Wir standen auf dem Bahnsteig des Kasaner Bahnhofs. Unmittelbar um uns herum gähnende Leere - die Menschen spüren, wenn in ihrer Nähe ein Portal geöffnet wird, und ziehen sich unwillkürlich etwas zurück. Ansonsten herrschte ein Gedränge, wie es selbst in Moskau nur im Sommer und nur auf einem Bahnhof denkbar ist. Die Menschen eilten zur Eisenbahn, stiegen aus Fernzügen, zogen Gepäck hinter sich, rauchten im Wartesaal an der Anzeigetafel, bis ihr Zug darauf erschien, tranken Bier oder Limonade, aßen die schrecklichen Bahnhofspiroggen und die nicht weniger suspekten Schawarma. Vermutlich befanden sich im Radius von hundert Metern nicht weniger als zwei-, dreitausend Menschen.