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»Wenn…«Sebulon betonte dieses Wort ausdrücklich. »… das Fuaran tatsächlich im Zug ist, müssen wir einen Moment abpassen, in dem der Zug durch eine unbewohnte Gegend fährt. Die kasachische Steppe böte sich an. Alles Weitere würde dann… entsprechend den Plänen ablaufen, die die Inquisition für solche Fällen bereithält.«Edgar schüttelte nervös den Kopf. Wie immer, wenn er sich aufregte, schlug ein leichter baltischer Akzent bei ihm durch.

»Das ist kein guter Plan, Großer. Außerdem kann ich ihn nicht allein bewilligen, den müsste das Tribunal sanktionieren.«

Sebulon zuckte mit den Achseln und brachte durch sein ganzes Gebaren zum Ausdruck: Er wollte ja bloß einen Vorschlag machen.

»Auf alle Fälle müssen wir uns überzeugen, dass das Buch im Zug ist«, meinte Geser. »Ich schlage vor…«Er schaute zu mir hinüber und deutete ein Nicken an. »Ich schlage vor, Anton von der Nachtwache, Konstantin von der Tagwache und jemanden von der Inquisition in den Zug zu setzen. Damit sie ihn überprüfen. Eine große Gruppe ist dafür nicht nötig. Wir… wir würden morgen früh dazustoßen. Und dann entscheiden, was wir weiter unternehmen.«

»Fahr, Kostja«, sagte Sebulon zärtlich und klopfte dem jungen Vampir auf die Schulter. »Geser hat Recht. Das ist eine gute Gruppe, ihr habt einen langen Weg vor euch, eine interessante Sache - das wird dir gefallen.«Der amüsierte Blick in meine Richtung fiel kaum auf.

»Das… gibt uns Zeit«, stimmte Edgar dem Vorschlag zu. »Ich werde selbst mitfahren. Und meine Leute nehme ich ebenfalls mit. Alle.«

»Es bleibt noch eine Minute«, sagte Olga leise. »Wenn ihr das tun wollt, müsst ihr jetzt los.«

Edgar winkte seinen Trupp heran, und wir rannten zum Zug. Am ersten Waggon sagte Edgar etwas zum Waggonbetreuer, einem jungen Kasachen mit Schnurrbart. Seine Gesichtszüge wurden weich, spiegelten Müdigkeit wider - aber auch Fröhlichkeit. Dann trat der Mann einen Schritt zur Seite, um uns einsteigen zu lassen. Wir zwängten uns rein. Ich drehte mich noch einmal um. Sebulon, Geser und Olga standen auf dem Bahnsteig und blickten uns nach. Olga sagte leise etwas.

»In der jetzigen Situation werde ich die Gesamtleitung übernehmen«, erklärte Edgar. »Gibt es Einwände dagegen?«

Ich schielte zu den sechs Inquisitoren hinüber, die hinter ihm standen, und schwieg. Kostja konnte sich jedoch nicht beherrschen. »Kommt auf die Befehle an. Ich bin nur der Tagwache zu Gehorsam verpflichtet.«

»Ich wiederhole noch einmaclass="underline" Die Operation leite ich«, sagte Edgar kalt. »Wenn Sie nicht einverstanden sind, schlage ich vor, dass Sie abziehen.«

Kostja schwankte nur eine Sekunde, dann senkte er den Kopf. »Verzeihen Sie, Inquisitor. Das war ein dummer Scherz. Natürlich übernehmen Sie das Kommando. Aber wenn es nötig sein sollte, würde ich mich mit meinem Chef in Verbindung setzen.«

»Erst wirst du springen, dann die Erlaubnis erbitten.«Edgar machte Nägel mit Köpfen.

»Gut«, sagte Kostja. »Verzeihen Sie, Inquisitor.«

Damit war jeder Aufstand im Keim erstickt. Edgar nickte und lehnte sich zur Tür hinaus, um den Waggonbetreuer zu rufen. »Wann fahren wir ab?«

»Jetzt!«, antwortete der Mann, der Edgar mit der Begeisterung eines treu ergebenen Hundes anschaute. »Jetzt! Wir müssen einsteigen! »

»Dann steig ein.«Edgar gab die Tür frei.

Der Mann stieg ein, immer noch den Ausdruck freudiger Unterwürfigkeit im Gesicht. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Um Gleichgewicht ringend, stand der Waggonbetreuer in der offenen Tür. »Wie heißt du?«, fragte Edgar. »Ashat. Ashat Kurmangalijew.«

»Schließ die Tür. Gehe deiner Arbeit entsprechend deinen Anweisungen nach.«Edgar runzelte die Stirn. »Wir sind deine besten Freunde. Wir sind deine Gäste. Du musst uns in diesem Zug unterbringen. Verstanden?«

Die Tür schlug zu, Ashat schloss sie ab und wandte sich wieder Edgar zu. »Ja. Wir müssen zum Zugführer. Ich habe kaum Platz. Nur noch vier freie Plätze.«

»Gehen wir zu deinem Chef«, stimmte Edgar zu. »Anton, was ist mit dem»Kompass«?«

Ich hob den Brief an und schaute auf den im Zwielicht hängenden»Kompass«. Die Nadel drehte sich langsam. »Offensichtlich ist das Buch im Zug.«

»Um sicher zu sein, werden wir noch ein bisschen warten«, verkündete Edgar.

Doch auch nachdem wir den Bahnhof gut einen Kilometer hinter uns gelassen hatten, drehte die Nadel sich immer noch. Der Täter, wer immer es auch sein mochte, saß mit uns im Zug.

»Er ist im Zug, das Schwein«, sagte Edgar. »Wartet hier auf mich. Ich geh zum Zugführer, wir müssen irgendwo unterkommen.«

Zusammen mit dem zufrieden lächelnden Ashat ging er den Gang hinunter. Ein zweiter Waggonbetreuer sagte, sobald er seinen Kollegen sah, etwas auf Kasachisch und fuchtelte wütend mit den Armen. Doch dann fing er Edgars Blick auf und verstummte.

»Wir können uns auch gleich ein Schild umhängen: Wir sind die Anderen«, bemerkte Kostja. »Was denkt er sich denn? Wenn in dem Zug wirklich ein Hoher Anderer sein sollte, spürt er die Magie…«

Kostja hatte Recht. Weitaus klüger wäre es, alles mit Geld zu regeln - dessen Magie ist bei Menschen nicht weniger effektiv. Aber Edgar war vermutlich zu konfus…

»Und du? Spürst du die Magie?«, fragte plötzlich einer der niedrigeren Inquisitoren.

Irritiert drehte sich Kostja zu ihm um. Dann schüttelte er den Kopf.

»Auch sonst spürt sie niemand. Edgar hat ein Gehorsamsamulett. Es wirkt nur aus der Nähe.«

»Die Tricks der Inquisition…«, murmelte Kostja eingeschnappt. »Trotzdem sollten wir besser nicht auffallen, oder, Anton?«Widerwillig nickte ich.

Zwanzig Minuten später kam Edgar zurück. Auf welche Weise er sich mit dem Zugführer geeinigt hatte - mit Geld oder, was wahrscheinlicher war, unter Zuhilfenahme seines mysteriösen Gehorsamsamuletts -, fragte ich nicht. In Edgars Gesicht standen Zufriedenheit und Beruhigung geschrieben.

»Wir teilen uns in zwei Gruppen.«Sofort übernahm er das Kommando. »Ihr«- er nickte in Richtung der Inquisitoren -»bleibt in diesem Waggon. Ihr bekommt den Raum der Waggonbetreuer und dazu noch das Abteil 1, das sind genau sechs Plätze. Ashat wird es euch zeigen… Überhaupt, zögert nicht, euch an ihn zu wenden, falls etwas sein sollte. Handelt nicht auf eigene Faust, spielt nicht Detektiv. Benehmt euch wie… wie Menschen. Liefert mir alle drei Stunden persönlich einen Bericht über die Lage… oder wann immer es sonst nötig ist. Wir sind im Waggon 7.«

Schweigend folgten die Inquisitoren dem lächelnden Waggonbetreuer zu ihrem Abteil. Edgar drehte sich zu Kostja und mir um. »Wir sind in Waggon 7, Abteil 4. Das können wir als unsere zeitweilige Basis betrachten. Gehen wir.«

»Haben Sie irgendeinen Plan, Chef?«, fragte Kostja in einer Mischung aus Ironie und Aufrichtigkeit.

Edgar sah ihn kurz an. Offenbar versuchte er, sich darüber klar zu werden, was in dieser Frage überwog, das Interesse oder die Frechheit, auf die er dann nicht antworten müsste. »Wenn ich einen Plan habe, werdet ihr es erfahren«, sagte er schließlich doch. »Alles zu seiner Zeit. Im Moment möchte ich nur einen Kaffee trinken und zwei, drei Stunden schlafen. In dieser Reihenfolge.«

Kostja und ich folgten Edgar. Der Vampir grinste. Wohl oder übel zwinkerte ich ihm daraufhin zu. Letzten Endes verband uns die untergeordnete Stellung ja doch - ungeachtet dessen, was ich über Kostja dachte.

Der Waggon, in dem der Zugführer mitfährt, ist der beste im ganzen Zug. Die Klimaanlage fällt hier nie aus. Es gibt immer heißes Wasser für Tee und beim Waggonbetreuer auch Sud. Außerdem ist es hier sauber, selbst in den asiatischen Zügen, die Bettwäsche wird in verschweißten Päckchen ausgegeben und tatsächlich nach jeder Fahrt gewaschen. Beide Toiletten funktionieren, und man kann sie beherzt ohne Gummistiefel betreten.

Zur Krönung des anspruchslosen Glücks eines Reisenden liegt der Waggon direkt zwischen Speisewagen und Schlafwagen - falls es den überhaupt gibt.

Im Zug Moskau-Almaty gab es einen Schlafwagen. Während wir durch ihn hindurchgingen, betrachteten wir neugierig die Passagiere. Bei den meisten handelte es sich um wichtige, wohlgenährte Kasachen. Fast alle trugen ein Aktenköfferchen in der Hand, von dem sie sich auch nicht trennten, wenn sie mal in den Gang hinaustraten. Einige tranken bereits Tee aus bunten Porzellanschalen, einige breiteten ihren Wurstaufschnitt aus, stellten Flaschen auf und tranchierten gekochtes Huhn. Die meisten standen jedoch noch im Gang, um auf die vorbeiziehenden Moskauer Vororte zu schauen.