Aus alter Gewohnheit zog ich mir die Schuhe aus und ging in die Küchenecke. Einen Kühlschrank gab es nicht, genauso wenig wie Möbel, aber auf dem Fußboden stand ein großer Pappkarton voll Proviant: Flaschen mit Mineralwasser und Alkohol, Konserven, Tütensuppen, Päckchen mit Zwieback. Vielen Dank auch, Geser. Wenn Sie vielleicht auch noch an einen Topf hätten denken können…
Aus der»Küche«steuerte ich auf die Badezimmertür zu. Offensichtlich hatte ich genug Verstand besessen, das Klo und die Jacuzzi nicht auch noch dem Blick der Allgemeinheit preiszugeben…
Ich öffnete die Tür und sah mir das Bad an. Ganz passabel. Ein zehn, zwölf Quadratmeter großer Raum, hübsche türkisfarbene Kacheln, eine futuristisch anmutende Duschkabine. Allein bei dem Gedanken, was sie gekostet haben musste, wurde mir mulmig. Und womit sie wohl aufgemotzt sein mochte.
Eine Jacuzzi gab es nicht. Es gab überhaupt keine Badewanne. In einer Ecke hingen lediglich ein paar abgedichtete Wasserleitungen heraus. Und dann…
Während ich das Bad weiter inspizierte, bestätigte sich mein schrecklicher Verdacht. Das Klo fehlte ebenfalls!
Es gab nur ein Fallrohr, in das ein Holzverschluss gerammt worden war. Wirklich, vielen Dank auch, Geser!
Aber Stopp. Nur keine Panik. In Wohnungen wie diesen gibt es mehr als eine Toilette. Es musste noch ein Klo vorhanden sein. Für Gäste. Kinder. Angestellte…
Ich stürzte ins Studio zurück und entdeckte in einer Ecke tatsächlich eine weitere Tür. Direkt neben dem Eingang. Mein Instinkt hatte mich nicht getäuscht: das Gästeklo. Eine Wanne war hier sowieso nicht zu erwarten, die Duschkabine schlichter.
Anstelle des Klos entdeckte ich jedoch nur ein weiteres abgedichtetes Rohr. Mist. Scheiße!
Sicher, mir ist klar, dass echte Profis auf diese Kleinigkeiten nicht achten. Wenn James Bond mal aufs Klo geht, dann bloß, um ein Gespräch zu belauschen oder einen Gangster zu erledigen, der sich im Spülkasten versteckt hat. Aber ich sollte hier wohnen!
Ein paar Sekunden lang spielte ich mit dem Gedanken, Geser anzurufen und einen Klempner samt kompletter Ausstattung anzufordern. Dann stellte ich mir seine Reaktion vor.
Aus irgendeinem Grund lächelte Geser in meiner Phantasie. Dann seufzte er und gab einen Befehclass="underline" Danach kam der Oberinstallateur Moskaus ins Assol und baute höchstpersönlich ein Klosett ein. Während Geser immer noch lächelte und den Kopf schüttelte.
Magiern seines Niveaus unterlaufen in Details keine Fehler. Ihre Fehler, das sind brennende Städte, blutige Kriege und Impeachments von Präsidenten. Aber nicht ein fehlendes Klo.
Wenn es in meiner Wohnung keine Toilette gab, sollte das so sein.
Abermals durchstreifte ich meinen Wohnraum. Fand eine aufgerollte Matratze und eine Garnitur fröhlich bunt bedruckter Bettwäsche. Ich entrollte die Matratze, packte die Tasche mit meinen Sachen aus. Zog Jeans und das T-Shirt mit dem optimistischen Aufdruck zum klinischen Tod an. Schließlich bräuchte ich in meiner eigenen Wohnung nicht in Schlips und Kragen rumzulaufen! Dann holte ich den Laptop heraus. Übrigens, wie sollte ich hier ins Internet kommen - übers Handy?
Ich musste noch einen Streifzug durch die Wohnung machen. Eine Steckdose fand sich in der Wand des großen Badezimmers - glücklicherweise sogar auf der Seite zum Studio. Das konnte kein Zufall sein. Deshalb schaute ich ins Bad. In der Tat: Neben dem nicht funktionierenden Klo prangte eine weitere Steckdose.
Was hatte ich bloß für einen seltsamen Geschmack, als ich mit der Modernisierung begonnen habe…
Strom war da. Wenigstens etwas, aber schließlich war ich nicht deswegen hierher gekommen.
Um die lastende Stille wenigstens ein bisschen zu vertreiben, öffnete ich das Fenster. Warmer Wind strömte ins Zimmer. Über
dem Fluss leuchteten die Fenster der Häuser. Gewöhnlicher Häuser von Menschen. Und immer noch diese Stille. Kein Wunder, um ein Uhr nachts.
Ich kramte den MD-Player heraus. Wühlte in den Scheiben und entschied mich für Belaja gwardija, eine Gruppe, die niemals die Charts auf MTV anführen oder Stadien füllen würde. Mit eingestöpselten Kopfhörern streckte ich mich auf der Matratze aus.
Als ich mich dabei erwischte, wie ich die leise Frauenstimme mit unmelodischem Gesang begleitete, stöpselte ich die Kopfhörer aus und stellte den Player ab. Nein. Ich war nicht hier, um rumzuhängen.
Was hätte James Bond an meiner Stelle getan? Den geheimnisvollen Anderen, diesen Verräter, gefunden, seinen menschlichen Auftraggeber und den Verfasser des anonymen Briefes! Und was tue ich?
Ich suche etwas, das für mich schlicht und ergreifend lebensnotwendig ist. Da unten, bei dem Security-Menschen, wird es doch wohl ein Klo geben!
Irgendwo draußen - nein, ganz in der Nähe - dröhnte mit voller Wucht eine Bassgitarre. Ich sprang auf, aber in der Wohnung entdeckte ich niemanden.
»Und jetzt los, Kumpel!«, drang es von draußen herein. Ich beugte mich zum Fenster hinaus und ließ den Blick über die Fassade des Assol wandern. Zwei Stockwerke weiter oben bemerkte ich die offenen Fenster, aus denen diese grauenvollen, erstaunlicherweise für eine Bassgitarre arrangierten Akkorde hochschallten.
Unmöglich, sich einen größeren Kontrast vorzustellen, als die leise Stimme von Soja Jaschtschenko, der Sängerin von Belaja gwardija, und diesem unvorstellbaren Chanson zur Bassgitarre. Trotzdem gefiel mir das Lied irgendwie. Der Sänger, der nur drei Akkorde hinbekam, streute sich weiter aufs Haupt:
Ich lachte los. Ein echter Underdog-Song. Alle Attribute stimmten: Der lyrische Held erinnert sich an die Tage seines vergangenen Ruhmes, beschreibt seine jetzige Misere und klagt darüber, dass er nie wieder etwas Großes vollbringen werde.
Ich hatte den starken Verdacht, dass, wenn dieses Lied im Schlagerradio gespielt werden würde, neunzig Prozent der Hörer die Anspielungen nicht einmal mitbekämen.
Die Gitarre stieß ein paar Seufzer aus. Dann stimmte der Sänger ein neues Lied an.