Выбрать главу

»Ja und?«, ermunterte mich Geser.

»Was machen Sie dann noch in der Nachtwache, Chef?«, fragte ich. »Haben Sie es nicht über… nach Tausenden von Jahren?«

»Nehmen wir einmal an, dass mir die Auseinandersetzungen und Abenteuer immer noch gefallen«, gab Geser zu bedenken. »Was dann?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Boris Ignatjewitsch. Das glaube ich nicht. Ich habe Sie schon… anders gesehen. Zu müde. Zu enttäuscht.«

»Dann gehen wir halt davon aus, dass ich trotz allem noch mit Sebulon abrechnen will«, sagte Geser ruhig.

Ich dachte kurz darüber nach. »Das kann auch nicht sein. In all den Jahrhunderten… da hätte einer von Ihnen den andern schon längst erledigt haben können. Sebulon hat gerade gesagt, dass die Magie wie ein Stoß mit einem Degen ist. Sie kämpfen jedoch gar nicht mit Degen, sondern mit Sportfloretts. Sie deuten den Stoß an, spießen den Feind aber nicht auf.«

Nach kurzem Zögern nickte Geser. Abermals ergoss sich dichter Qualm in die nebelgraue Rauchwolke.

»Was denkst du, Anton, kann man Jahrtausende leben und die Menschen nach wie vor bedauern? »

»Bedauern?«, fragte ich zurück.

Geser nickte. »Ja, bedauern. Nicht lieben, denn es steht nicht in unseren Kräften, die ganze Welt zu lieben. Nicht bewundern, denn wir wissen nur zu gut, was das ist, ein Mensch.«

»Bedauern kann man sie vermutlich«, sagte ich. »Aber wozu brauchen sie Ihr Mitleid, Chef? Es ist leer und unfruchtbar. Die Anderen machen diese Welt nicht besser.«

»Das machen wir, Anton. Wie auch immer sie jetzt ist, aber genau das tun wir. Glaub einem alten Mann, der schon viel gesehen hat. »

»Aber trotzdem…»

»Ich warte auf ein Wunder, Anton.«Fragend sah ich Geser an.

»Ich weiß nicht, auf was für eins. Dass alle Menschen die Fähigkeiten von Anderen bekommen. Dass die Anderen wieder zu Menschen werden. Dass irgendwann die Teilung nicht nach»Mensch oder Anderen«vorgenommen wird, sondern nach»gut oder schlecht«.«Geser lächelte sanft. »Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie das vor sich gehen sollte und ob es irgendwann dazu kommt. Aber wenn…, dann würde ich es vorziehen, auf der Seite der Nachtwache zu stehen. Und nicht in der Inquisition zu sein, dieser starken, weisen, gerechten, allmächtigen Inquisition. »

»Ob Sebulon auf dasselbe wartet?«, fragte ich.

»Vielleicht«, antwortete Geser. »Ich weiß es nicht. Aber lieber habe ich es mit einem alten Feind zu tun, den ich kenne, als mit einem jungen, unberechenbaren Dummkopf. Halte mich für konservativ, aber die Sportfloretts und Sebulon sind mir lieber als ein Baseballschläger und ein progressiver Dunkler Magier. »

»Und was raten Sie mir?«

»Was ich dir rate?«Geser breitete die Arme aus. »Dass du selbst eine Entscheidung triffst. Du kannst uns verlassen und ein normales Leben führen. Du kannst in die Inquisition wechseln… Ich würde dich nicht daran hindern. Und du kannst in der Nachtwache bleiben. »

»Und warten?«

»Und warten. In dir das Menschliche bewahren, das noch da ist. Dich weder zu Ekstase noch zu Rührung hinreißen lassen, indem du den Menschen ein Licht bringst, das sie nicht wollen. Nicht in Zynismus und Misstrauen verfallen und dich nicht selbst für rein und vollkommen halten. Und das Schwierigste: nicht verzagen, den Glauben nicht verlieren, nicht gleichgültig werden. »

»Keine große Auswahl…«, sagte ich.

»Ha!«Geser lächelte. »Sei froh, dass du überhaupt eine hast.«

Draußen blitzte der Stadtrand von Saratow auf. Der Zug wurde langsamer.

Ich saß in einem leeren Abteil und sah auf die kreisende Nadel.

Kostja folgte uns weiter.

Worauf wartete er?

In den Kopfhörern erklang die Stimme von Arbenin:

Zwischen Verrat und Ruchlosigkeit Nur Manna vom Himmel schneit. Von einer Siesta zur nächsten Man uns abfüttert mit Manifesten. Einer stirbt, einer verschwindet,
Damit meine Wahl auch schon endet. Doch mein siebter Sinn, der flüstert mir: Wir sind nicht wie alle, Anders sind wir.

Ich schüttelte den Kopf. Wir sind die Anderen. Doch selbst wenn es uns nicht gäbe, würden die Menschen sich und andere gegeneinander abgrenzen. Was auch immer diese Anderen dann ausmachen würde.

Die Menschen können ohne Andere nicht auskommen. Setze zwei Menschen auf einer unbewohnten Insel aus, dann wird einer ein Mensch und einer ein Anderer. Und der Unterschied besteht darin, dass der Andere immer unter seinem Anderssein leidet. Die Menschen haben es leichter. Sie haben keine Komplexe. Sie wissen, dass sie Menschen sind - und das auch sein sollen. Dass alle das sein sollen. Alle. Für immer.

Wir stehen in der Mitte der Gleise, Verbrennen als Lagerfeuer auf dem Eise. Dabei wollten wir nur Wärme schmecken, Doch das Ziel wir hinter den Mitteln verstecken. So brennen wir nieder bis zur Seele Grund Bei diesem Blick in der Ödnis Schlund.

Die Tür öffnete sich, und Geser kam ins Abteil. Ich stöpselte die Kopfhörer aus.

»Schau mal.«Geser legte einen Palm auf den Tisch. Auf dem Display des Organizers kroch ein Punkt über eine Karte, unser Zug. Geser sah flüchtig auf den»Kompass«, nickte und zog selbstsicher mit dem Metallstift eine dicke Linie auf dem Display.

»Was heißt das?«, fragte ich, während ich das Rechteck betrachtete, in dem Kostjas Flugbahn lag. Und gab mir selbst die Antwort: »Der Flughafen?«

»Genau. Er rechnet nicht mit Verhandlungen.«Geser grinste. »Er fliegt auf kürzestem Weg zum Flughafen. »

»Ist das ein Militärflughafen?«

»Nein, ein ziviler. Aber was macht das für einen Unterschied? Das Modul mit den Pilotenkenntnissen ist in ihm abgespeichert.«

Ich nickte. Alle Fahnder verfügen»auf Vorrat«über eine Auswahl nützlicher Fähigkeiten: Sie können mit Autos, Flugzeugen und Hubschraubern umgehen, erste Hilfe leisten, beherrschen den Nahkampf… Natürlich ersetzt ein solches Modul die entsprechenden Fähigkeiten nur ansatzweise. Ein erfahrener Autofahrer hängt einen Anderen mit seinen Modulkenntnissen ab, ein guter Arzt operiert unvergleichlich besser. Aber jedes x-beliebige Fluggerät in die Luft bringen, das konnte Kostja.

»Das ist doch ganz gut«, sagte ich. »Wir schnappen uns ein paar Jagdflugzeuge und…«

»Und die Passagiere?«, fragte Geser scharf.

»Im Vergleich zum Zug ist das trotzdem besser«, sagte ich leise. »Es würde weniger Opfer geben.«

In diesem Moment zog sich etwas in mir schmerzhaft zusammen. Zum ersten Mal wog ich auf der unsichtbaren Waage der Rationalität die menschlichen Opfer aus - und befand die eine Schale für leichter.

»Das würde nichts bringen…«, sagte Geser. Und fügte hinzu: »Zum Glück. Was sollte ihm die Zerstörung des Flugzeugs schon anhaben? Er würde sich in eine Fledermaus verwandeln und entwischen.«

Draußen kam der Bahnsteig in Sicht. Schnaufend fuhr die Lok in den Bahnhof ein. »Atomare Abfangraketen«, sagte ich ganz offen.

Erstaunt sah mich Geser an. »Was ist denn mit dir los?«, fragte er. »Was für Kernsprengköpfe… die sind längst abgerüstet. Möglicherweise gibt es um Moskau noch einen Raketenabwehrgürtel… Aber Kostja wird nicht nach Moskau kommen. »

»Sondern?«, hakte ich nach.

»Woher soll ich das wissen? Es ist deine Aufgabe, dass er nirgendwo hingeht«, entgegnete Geser scharf. »Aha! Er hält an!«