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»Jetzt machen Sie es halt nicht so spannend, Lawrenti Pawlowitsch!«, forderte ihn Stalin mit spöttischer Miene auf. Aber selbst ihm sollte das Lachen noch vergehen.

»Eine Katastrophe, Genosse Stalin. Eine blanke Katastrophe!«, antwortete Berija, wobei es ihn nicht mehr in seinem Korbsessel hielt.

»Und wieso?«

»Heydrichs Geheimsafe ist geknackt worden. Sämtliche Unterlagen sind verschwunden, inklusive der Gesprächsprotokolle, die während und nach meinen Geheimverhandlungen mit den Deutschen angefertigt wurden.«

»Was? Das darf doch wohl nicht wahr sein!«

»Ist es aber!«, erwiderte Berija geknickt.

»Woher wissen Sie das?«

»Von einer unserer Quellen in Berlin.«

»Zuverlässig?«

»Mit Verlaub, Genosse, das Beste, was wir momentan zu bieten haben. Eine Speerspitze der Arbeiterklasse, ohne Fehl und Tadel.«

Stalin klopfte den Pfeifenkopf aus, nahm die ›Prawda‹ in die Hand und faltete sie seelenruhig auseinander. »Wenn dem so ist, Genosse, wird es vermutlich ein Kinderspiel sein, mithilfe dieses Wundermannes wieder in den Besitz dieser Geheimprotokolle zu kommen!«

»Bei allem gebührenden Respekt, Josef Wissarionowitsch: Mein bestes Pferd im Stall ist eine Frau.«

Stalin blickte überrascht auf. »Eine Frau? Wie das?«

Berija schmunzelte. »Glück für uns, dass der mutmaßliche Dieb offenbar nichts Besseres zu tun hatte, als sich nach getaner Arbeit…«

»... in einem Bordell zu entspannen, stimmts?«

»Woher…«

»Woher ich das weiß, Lawrenti Pawlowitsch?«, würgte Stalin seinen Geheimdienstchef mit hintergründigem Lächeln ab. »Erfahrung, Genosse, weiter nichts. Und das Gesprächsprotokoll?«

»Nicht auffindbar.«

»Eine reizvolle Aufgabe, in der Tat.«

»Wie meinen, Josef Wissarionowitsch?«, ließ Berija kläglich verlauten.

»Was ich damit meine, Lawrenti Pawlowitsch, liegt doch wohl auf der Hand.«

»Ach, ja?«

»Aber gewiss doch!«, versetzte Stalin mit sichtlichem Vergnügen. »Sie beziehungsweise Ihre sagenumwobene Spezialagentin in Berlin werden alles daransetzen, um in den Besitz von Heydrichs Geheimakten zu gelangen. Koste es, was es wolle.«

»Nicht gerade ein Kinderspiel, Josef Wissarionowitsch.«

»Und warum?«

»Besagter Agentin zufolge wurde der Mann, der die Geheimakten mitgehen ließ, anscheinend bereits liquidiert.«

»Und wo liegt dann das Problem?«

»Wie bereits erwähnt, Genosse Stalin, liegt das Problem darin, dass kein Mensch, nicht einmal unsere Kontaktperson, die leiseste Ahnung hat, wo die Geheimunterlagen abgeblieben sind.«

»Umso größer der Anreiz, Genosse Berija, Ihr Können wieder einmal unter Beweis zu stellen!«, antwortete Stalin mit boshaftem Lächeln und wandte sich wieder seiner Lektüre zu. »Ich denke, Sie wissen am besten, was in einem derartigen Fall zu tun ist!«

Berija nickte. Oh ja, das wusste er. Schließlich hing sein Überleben davon ab. Und das nicht nur im übertragenen Sinn.

Und wenn es darum ging, es zu sichern, war Lawrenti Berija schon immer extrem erfinderisch gewesen.

11

Berlin-Schöneberg, Hohenstaufenstraße          | 09.30h

Ein nagelneues Namensschild. Genau dort, wo früher ihr Name stand. Das tat weh, weit mehr als körperlicher Schmerz.

Die junge Frau mit den überschatteten Augen, dem ausgemergelten Gesicht und der durchgeschwitzten Bluse war wie betäubt. Einfach unmöglich so etwas zu begreifen! Jetzt und auch in Zukunft.

Aber so war das eben. So wie ihr ging es Hunderten, ach was, Tausenden von Juden in Berlin. Über Rebeccas Gesicht huschte ein ironisches Lächeln. Wenigstens die Klingel war noch die gleiche. Ein schwacher Trost, aber immerhin.

Und dennoch, sie würde darüber hinwegkommen. Wie über so vieles, was ihr in den vergangenen Wochen und Monaten widerfahren war. Nicht mit mir, schwor sie sich. Nicht mit Rebecca Kahn. So wahr Gott ihr Zeuge war.

»Wat denn, Kind, wie siehst du denn aus?«

Wäre ihr die Stimme in ihrem Rücken nicht bekannt vorgekommen, hätte Rebecca das Weite gesucht. So aber gelang es ihr, wenigstens eine Spur von Gelassenheit an den Tag zu legen und sich ohne große Hektik umzudrehen. Da sich die Frage jedoch von selbst beantwortete, war ein gequältes Lächeln das Einzige, wozu sie sich aufraffen konnte.

»Nerven haste, det muss dir der Neid lassen«, keuchte die übergewichtige, knapp 60-jährige Frau, griff sich an die Hüfte und rückte so nahe wie möglich an Rebecca heran.

»Gut möglich, aber ich wollte einfach noch einmal nach Hause!«, entgegnete Rebecca unbeirrt und ließ den Blick über das fünfstöckige Mietshaus wandern. Noch war wenig Verkehr auf der Straße, und so fiel ihr Zwiegespräch mit der ältlichen Matrone nicht sonderlich auf.

Noch nicht.

Die Frau im Sonntagsornat, aus dem der altmodische Hut, Schirm und die schwarz geränderte Handtasche besonders hervorstachen, keuchte wie eine Lokomotive. »Keene jute Idee!«, stieß sie mühsam hervor. »Wenn det eener mitkriegt, biste jeliefert, det kannste mir glauben.«

»Wenn ich mir über eins im Klaren bin, dann darüber, Mutter Schulze!«, antwortete Rebecca und machte Anstalten zu gehen.

»Wat denn, wat denn, Rebeccachen, so schnell scheißen de Nazis nich!«

Beim Anblick der Frau, die so aussah, als sei sie einem Notizbuch von Zille entsprungen, musste Rebecca unwillkürlich lächeln. Und das, obwohl ihr beileibe nicht danach zumute war.

»Wo haste denn die janze Zeit über jesteckt?«

»Das behalte ich lieber für mich, Mutter Schulze.«

»Und deene Mutter?«

Während die Hand am Türpfosten Halt suchte, sackte Rebeccas Kopf kraftlos nach vorn. Die Tränen schossen ihr nur so in die Augen, ob sie wollte oder nicht.

»Det janze braune Pack soll meenetwegen doch glatt die Krätze kriegen!«, polterte Rebeccas ehemalige Nachbarin drauflos und ergänzte: »Keene Angst, Rebeccachen, ne olle Scharteke wie ick kann ab und zu ruhig die Klappe aufreißen! Wat kann mir denn schon noch passieren!«

»Nicht böse sein, Mutter Schulze. Aber sind Sie sicher, dass Sie eine Ahnung haben, was einem heutzutage so alles passieren kann?«

Hermine Schulze, Kriegerwitwe und stolze Besitzerin eines Trödelladens, ließ es bei einem Kopfnicken bewenden, hakte sich bei ihr unter und schleifte sie mit sich fort. »Weeß ick, Rebeccachen, weeß ick!«, bekräftigte sie. »Dat Adolf hat euch Juden böse mitjespielt! Und det mit deene Mutter–ick kriegs in meene matschige Birne nich rinn! Und dann erst die Sache mit Papa Kahn–anständijer als sämtliche Parteibonzen zusammen! Eisernes Kreuz–det musste dir mal vorstellen!«

»Danke, Mutter Schulze, aber ich denke, ich muss jetzt langsam wieder…«

»Gar nüscht musste, Rebeccachen, gar nüscht. Erst päppele ick dir wiedern bisscken uff, un dann wirds schon weitergehn!«

»... gehen, sonst…«

»Papperlapapp! Nüscht wie rinn in meene Kabuff, bevor der Herr Blockwart am Ende noch Lunte riecht!«

»Ich weiß es zu schätzen, Mutter Schulze–ehrlich! Aber wenn Sie sich mit mir abgeben, werden Sie und Ihr Sohn eine Menge Scherereien…«

»Nur die Ruhe! Bis jetzt sind wir zwo ollen Tratschweiber niemandem uffjefallen, un dat soll ja wohl ooch so bleiben, nich wahr? Un wat meen Kalle anjeht–den hamse einjezogen!«

»Und wohin?«

»Russland. Erst jestern hat er mirn Feldpostbrief jeschickt. Riesenschlamassel, aber sonst jehts ihm jut!«

»Hoffen wir, dass es auch so bleibt!«

»Recht haste, Rebeccachen! Dat Problem is nur, dat se bald wieder in Marsch jesetzt werden.«

»Der Ärmste! Und wohin?«