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»Wat weeß ick! Irjendn Kaff an der Wolga–ick gloob, es heeßt Stalingrad!«

12

Berlin-Tiergarten, Ost-West-Achse                  | 09.45h

»Klarer Fall von Mord, keine Frage!«, sagte Klinke und überholte eine BMW R 35, die mit überhöhter Geschwindigkeit über die Ost-West-Achse preschte. Der Fahrer verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und bremste ab. »Aber wieso?«

»Eben!«, antwortete Sydow, als der VW-Kübelwagen wieder auf der rechten Spur einfädelte.

»Wieso? Und vor allem, was hat die Gestapo damit zu tun?«

»Glaubst du, die haben von Möllendorf auf dem Gewissen?«

»Keine Ahnung. Fest steht, dass sie uns aus dem Verkehr ziehen wollten. Oder vielmehr wollen. Und das offensichtlich mit allen Mitteln. Jede Wette, dass uns dieser Moebius demnächst wieder auf die Pelle rückt.«

»Mit anderen Worten, die Sache ist eine Nummer zu groß für uns und wir sollten uns überlegen, ob wir nicht lieber die Finger davon lassen.«

Um seinen Kater endgültig in die Flucht zu schlagen, kurbelte Sydow das Fenster herunter, legte den Ellbogen auf die Kante und lehnte sich zurück. »Auf keinen Fall!«, entschied er sofort. »Es sei denn, dir wird die Sache zu heiß. Wegen Edith und der Kinder, meine ich.«

»Und wenn schon!«, gab Klinke achselzuckend, aber wenig überzeugend zurück, reihte sich in den Kreisverkehr an der Siegessäule ein, um ihn gleich darauf in Richtung Brandenburger Tor wieder zu verlassen.

»Sieben Kilometer betonierte Angeberei, Kandelaber, Säulen und was weiß ich nicht alles für ein Schrott! Und das zum Spottpreis von 60 Millionen im Jahr! Wenn dieser Speer keine Meise hat, will ich Winston Churchill heißen!«, grummelte Sydow vor sich hin.

»Lieber nicht!«, ging Klinke bereitwillig auf den Themenwechsel ein. »Dazu bist du einfach nicht schön genug! Von mangelnder Trinkfestigkeit gar nicht zu reden.«

»Hahaha! Sehr witzig!«, blaffte Sydow, während sein Magen hörbar zu rebellieren begann. »Ist ja nicht jeder so grundsolide wie du.«

»Nee. Neidisch?«

»Nicht die Bohne. Auf die Gefahr, dass du gleich eingeschnappt bist. So etwas wie bei dir und Edith ist einfach nichts für mich.«

»Sagst du

»Weiß ich.«

»Na gut!«, antwortete Klinke pikiert, während seine Finger auf dem Lenkrad herumtrommelten. Mit einem verkaterten Tom Sydow war nicht gut Kirschen essen, deshalb hielt er lieber den Mund.

»Sauer?«, brach dieser erst kurz vor dem Brandenburger Tor sein Schweigen.

»Sauer? Ich? Wenn, dann höchstens, weil wegen der Beerdigung von Heydrich so viel…«

»Was hast du da eben gesagt?«

»… Theater gemacht wird. Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«

»Aber klar doch, tu ich!«, warf Sydow halbherzig ein und starrte die überdimensionalen schwarzen Stoffbahnen, Vorboten des Staatsbegräbnisses in zwei Tagen, mit nachdenklicher Miene an.

»Was ist denn auf einmal mit dir los?«

»Nichts!«, beteuerte Sydow, während sie die Säulenhalle hinter dem Tor passierten, vor der die Ehrenformation der SS Aufstellung nahm. Auf dem Boulevard Unter den Linden das gleiche Bild: Säulen, mit Trauerflor drapiert, Fahnen auf Halbmast und noch mehr Hakenkreuzfahnen als sonst. Eine Atmosphäre, die das Wort ›gespenstisch‹ nur unzureichend beschrieb.

»Scheint mir aber nicht so!«

»Gegenfrage, erinnerst du dich an das Bild im Wohnzimmer der Möllendorfs?«

»Was zum Teufel hat das mit der Beerdigung von Heydrich…«

»Erklär ich dir gleich. Erinnerst du dich an das Bild, ja oder nein?«

»Denkst du vielleicht, ich bin verkalkt oder was? Klar erinnere ich mich dran!«

»Und an ihre Reaktion, als die Rede auf Heydrich kam?«

»Logisch.«

»Auch daran, wie mir die gute Frau ihren Herzallerliebsten gezeigt hat?«

Klinke grinste verschmitzt. »Und ob! Als wäre es ein Aktfoto von ihm. Falls es das ist, worauf du anspielst.«

»Nicht ganz.«

»Auf was dann?«

»Auf die blonde Bohnenstange, die neben ihm stand. Fängt es vielleicht jetzt an zu klingeln?«

»Nicht wirklich. Wieso?«

»Drei Mal darfst du raten, wer das war!«

»Und wer, bitte schön, sollte es deiner Meinung nach gewesen sein? Komm schon–lass dir doch nicht andauernd die Würmer aus der Nase ziehen!«

»Es war Heydrich. Und dir, Kriminalassistent Erich Kalinke, wohnhaft in Kreuzberg, Mariannenstraße, gebührt das Verdienst, mich auf diese Spur gebracht zu haben.«

»Heydrich? Bist du dir da auch absolut sicher?«

»So ziemlich.«

»Na schön, nehmen wir an, du hast recht. Was hat das deiner Meinung nach zu bedeuten?«

»Dass es zwischen dem Attentat auf Heydrich und der Ermordung Möllendorfs möglicherweise eine, wie auch immer geartete, Verbindung gibt. Das hat es zu bedeuten!«

Wäre Klinke nicht gerade am Zebrastreifen vor der Staatsoper gestanden, hätte er wahrscheinlich eine Vollbremsung gemacht. Vor Schreck, wie seine konsternierte Miene bewies: »Und selbst wenn es sie gäbe«, polterte er, »was, glaubst du, ist los, wenn wir in diese Richtung ermitteln? Ein Wespennest ist nichts dagegen. Dann geht es wirklich aufs Ganze. Anders ausgedrückt, da können wir uns ja gleich einen Strick kaufen!«

»Das können wir sowieso!«, ließ Sydow nach einem Blick in den Rückspiegel verlauten.

»Sehr witzig! Komm schon, Tom! Du bist doch lange genug in der Firma, um zu wissen, dass es uns dann definitiv an den Kragen geht. Wenn es so ist, wie du glaubst, ist die Sache eine Nummer zu groß für uns. Mit Sicherheit.«

»Kann es sein, dass ich dich vorhin falsch verstanden habe?«

»Verdammt noch mal, Tom!«, fluchte Klinke und gab wieder Gas, »ich weiß, was ich vorhin gesagt habe!«

»Fracksausen?«

Klinke lief vor Wut rot an. »Ehrlich gesagt, ja!«, bekräftigte er. »Gesetzt den Fall, du hast recht und wir gehen der Sache auf den Grund: Dann hetzt uns dieser Moebius die gesamte Gestapo auf den Hals! Und die SS mit dazu.«

»Zu spät.«

»Wieso?«

»Ein Blick in den Rückspiegel, und du weißt Bescheid.«

»Scheiße!«, rief Klinke, als sein Blick auf die dunkle Limousine fiel, die dem VW seit geraumer Zeit folgte. »Da haben wir uns ja was Schönes eingebrockt!«

»Nur die Ruhe!«, redete ihm Sydow gut zu. Aber es half nichts. Klinke beschleunigte, riss das Steuer herum und raste mit über 80 Sachen an der Vorderseite des Stadtschlosses entlang. Dann wiederholte er sein Manöver, vollführte eine Linkskurve und bog mit quietschenden Reifen in die Königsstraße ein.

»Jetzt haben wir wenigstens Gewissheit!«, verkündete er lapidar, denn der dunkle Mercedes Benz230 war immer noch hinter ihm.

»Immer mit der Ruhe!«, war es zur Abwechslung einmal Sydow, der seinem Assistenten gut zuredete, dies allerdings mit wenig Erfolg. Klinke war jetzt so richtig in seinem Element.

»Die wollen uns nur beschatten!«

»Wie beruhigend!«, blaffte Klinke, während er in den vierten Gang schaltete, Vollgas gab und ohne Rücksicht auf Verluste Richtung Alexanderplatz raste. »Wenn hier jemand beinahe überfahren worden wäre, dann doch wohl ich!«

»Besser ein paar blaue Flecken als 1,80 m tiefer!«, orakelte Sydow, als der Tacho über 100km/h anzeigte.

»Zum Totlachen!«

»Wenn du so weitermachst, Fangio-Verschnitt, ist dir ein Strafzettel sicher! Frei Haus.«

»Noch ein Wort, und du kannst ins Präsidium laufen!«

»Jetzt mach aber halblang! Geht man so mit seinem Lebensretter um?«

»Wer weiß, vielleicht kann ich mich demnächst revanchieren!«

»Nicht nötig, die Luft ist rein.«

Klinke warf einen Blick in den Rückspiegel, gerade rechtzeitig, um die schwarze Limousine in die Spandauer Straße abbiegen zu sehen. »Tatsächlich!«, rief er erleichtert aus, schaltete einen Gang herunter und atmete tief durch. »Die sind wir los!«