»Nein.«
»Und wann genau, gesetzt den Fall, Ihre Intimsphäre würde nicht allzu sehr verletzt, ist er am vorhergehenden Abend nach Hause gekommen? Oder sollte ich vielleicht ›in der vorhergehenden Nacht‹ sagen?«
Irene von Möllendorf schloss die Augen, kaum mehr fähig, sich zu konzentrieren. Der Pfeifton in ihrem Ohr schwoll an, und als sie sich über die Lippen fuhr, spürte sie, dass Blut an den Fingern klebte. »Ich weiß es nicht!«, wimmerte sie, doch da war es bereits zu spät. Moebius machte einen Schritt nach vorn, packte sie an den Haaren und zerrte sie wieder hoch.
Klar, dass dies erst der Anfang war. »Sicher?«, gab der Obersturmführer zurück. Ein Blick von ihm, und es lief ihr kalt über den Rücken.
»Ja.«
Mehr tot als lebendig biss Irene von Möllendorf die Zähne zusammen, klammerte sich an die Bettkante und schwieg.
Moebius ließ dies völlig kalt. »Wenn wir gerade dabei sind–«, setzte er unerbittlich nach, »können Sie mir sagen, in welcher Beziehung Ihr Gatte zu Obergruppenführer Heydrich stand?«
Nicht schon wieder, durchzuckte es ihr Gehirn, während sie verzweifelt über einen Ausweg nachsann. »Sie waren miteinander befreundet, soweit ich weiß.«
»Sagten Sie ›waren‹?«
Irene von Möllendorf stierte dumpf vor sich hin. Dann nickte sie, wohl wissend, dass Moebius ihr nicht glauben würde.
»Gesetzt den Fall, Sie sagen die Wahrheit«, gab sich der Obersturmführer keinerlei Mühe, mit seiner Skepsis hinterm Berg zu halten, »woher haben sich die beiden gekannt?«
»Aus seiner Zeit auf der Marineschule«, gab seine Gesprächspartnerin mit dünner Stimme preis.
»Etwas lauter, ich kann Sie nicht verstehen!«
»Aus Mürwick!«, wiederholte sie. »Soweit ich weiß, haben sie sich dann aber aus den Augen verloren.«
»Tut mir leid, wenn ich Ihnen zu nahe treten muss, aber ich glaube Ihnen kein Wort.«
»Und warum nicht?«
»Weil wir über Beweise verfügen, dass sich Ihr Mann und Obergruppenführer Heydrich keineswegs aus den Augen verloren, sondern vor knapp fünf Tagen ein–wenn auch kurzes–Telefonat geführt haben!«
»Davon weiß ich nichts.«
»Durchaus möglich.« Moebius ging in die Hocke, schob die Hand unter ihr Kinn und drückte es unbarmherzig hoch. »Wissen Sie eigentlich, was Ihr Mann in der fraglichen Nacht sonst noch alles getrieben hat?«
»Nein.«
»Aber ich.« Mit einem Lächeln im Gesicht rappelte sich Moebius wieder auf. Dann nahm er die Brille ab, rieb die Gläser am Ärmel sauber und setzte sein Himmler-Imitat wieder auf. »Um ehrlich zu sein, sind wir ziemlich genau im Bilde. Besonders, was seine Stippvisite in einem Edelbordell betrifft.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Wusste ichs doch, dass Sie das interessiert!«, erwiderte Moebius aalglatt. Sein Lächeln war schmieriger denn je, falls dies überhaupt möglich war. »Finden Sie nicht, es wäre an der Zeit, Ihre Reserviertheit mir gegenüber aufzugeben?«
Anstatt etwas zu erwidern, verbarg Irene von Möllendorf das Gesicht zwischen den Händen und schwieg.
Für Moebius ein Grund mehr, sein Spiel auf die Spitze zu treiben: »Ach so, Sie glauben mir nicht?«, tat er mit gespielter Entrüstung kund. »In diesem Fall, so steht zu befürchten, muss ich Sie eines Besseren belehren. Um es kurz zu machen, Gnädigste. Als Ihr Mann den Anruf des Obergruppenführers entgegennahm, war es exakt 20.55 Uhr. Woraufhin er offenbar nichts Eiligeres zu tun hatte, als das Prinz-Albrecht-Palais geradezu fluchtartig zu verlassen. So zumindest der Wachhabende, der ihn dabei beobachtet hat. Mit anderen Worten: Zwischen seinem überstürzten Aufbruch und dem Auftauchen im Bordell liegen gut eineinhalb Stunden. Ein Zeitraum, dem mein spezielles Interesse gilt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich fürchte, nein.«
»Dann muss ich Ihnen eben ein wenig auf die Sprünge helfen.« Moebius schürzte die Lippen und ließ den Blick scheinbar ziellos durch die Zelle wandern. Die Luft war fast aufgebraucht, so stickig, dass es kaum zum Aushalten war. »Damit wir uns richtig verstehen–«, fuhr er geraume Zeit später fort, »für den Bordellbesuch Ihres Mannes gibt es Zeugen und das in rauen Mengen. Sollten Sie ernsthafte Zweifel hegen, wäre es mir ein Leichtes, sie Ihnen zu präsentieren.«
Irene von Möllendorf blickte kurz auf, verneinte dann aber stumm.
»Da somit keinerlei Grund mehr zu übertriebener Anhänglichkeit besteht«, ließ Moebius die Katze aus dem Sack, »nochmals die Frage: Gibt es irgendetwas, das Sie mir im Zusammenhang mit den–gelinde ausgedrückt–Machenschaften Ihres Mannes zu sagen haben?«
»Wäre es nicht an der Zeit, mir mitzuteilen, wie er zu Tode kam?«
Wieder ein Lächeln, diesmal jedoch denkbar kurz. »Irre ich mich, oder können Sie sich das nicht denken?«, wehrte Moebius höhnisch ab.
»Doch.«
»Na also–wo ist denn dann das Problem?«
Irene von Möllendorf zuckte die Achseln, aber anscheinend war es genau diese Geste, die den Jähzorn ihres Peinigers erneut aufflammen ließ: »Und darum, Gnädigste, bevor ich Ihnen endgültig die Freundschaft kündigen muss, wenn Sie Ihre Haut retten wollen, dann packen Sie aus und zwar gleich!« Der Blick des Obersturmführers verengte sich, und die Zornesader auf seiner Stirn schwoll urplötzlich an. »Wo hat Ihr sauberer Herr Ehemann die Geheimakten des Obergruppenführers verschwinden lassen, raus mit der Sprache!«
In der Gewissheit, der Mann mit den geröteten Augen, dem Borstenschnitt und der ausgebleichten Haut würde vor nichts zurückschrecken, um sie zum Reden zu bringen, dachte Irene von Möllendorf geraume Zeit nach. Dann richtete sie sich auf und reckte das Kinn nach vorn. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen!«, erwiderte sie mit neu erwachtem Trotz.
Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, mit dem Moebius ihre Weigerung quittierte, war ihr Leben damit keinen Schuss Pulver mehr wert.
Aber das hatte Frau von Möllendorf einkalkuliert.
16
Polizeipräsidium am Alexanderplatz | 12.15h
»Sag mal, Tom, hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank?«
Den Hörer in der einen Hand, die Fluppe in der anderen, ließ Sydow die Schimpfkanonade seines Freundes, Chefpathologe an der Charité, mit stoischer Gelassenheit über sich ergehen. Er war immer noch völlig fertig, viel zu k.o., um dagegenzuhalten.
Genau genommen gab es auch keinen Grund. Er war dabei, Wolfgang in etwas hineinzuziehen, von dem man vielleicht besser die Finger ließ. Im Grunde war es dazu jedoch schon zu spät. Ein fingierter Selbstmord, gefolgt von einem Mordanschlag beziehungsweise Bombenattentat, das menschenverachtender nicht hätte sein können. Dies war kein Nullachtfünfzehn-Fall. Ganz bestimmt nicht. Hier ging es um mehr, erheblich mehr, als er hatte vorausahnen können. Sydow inhalierte, legte den Kopf in den Nacken und ließ den Qualm an die Decke seines Büros steigen.
Es ging ums nackte Überleben. Daran gab es nichts zu beschönigen.
»Wieso?« Es war so ziemlich das Dümmste, was er hätte antworten können, denn dadurch kam Dr.Wolfgang Behrens erst richtig in Fahrt.
»Wieso, fragst du?« schnauzte er ihn an. »Sag mal, Sydow, bist du besoffen, oder was?«
Nein, war er nicht. Zumindest nicht mehr. Dank eines turbulenten Vormittags hatte sich sein Kater fluchtartig verzogen. Das bislang einzig Gute an diesem Tag. »Nee.«
»Sollte dem tatsächlich so sein, hätte ich trotzdem gern gewusst, was du dir bei dieser Aktion gedacht hast, mein Freund.«
»Nicht viel, wenn es das ist, was du hören willst.«
»Sieht mir ganz danach aus.« Behrens schnappte hörbar nach Luft, und bei der Vorstellung, dass der sonst so besonnene Pathologe wie Rumpelstilzchen in seinem Labor herumtobte, konnte sich Sydow trotz allem ein Grinsen nicht verkneifen. »Eine Leiche zum Frühstück! Hab ich mir immer schon gewünscht!«, strotzte er nur so vor Ironie. »Und dann ausgerechnet noch diesen… diesen… wie war doch gleich sein Name?«