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»Möllendorf!«, ergänzte Sydow zerknirscht. »Verzeihung, von Möllendorf.«

»Aha, noch so ein Blaublüter. Na ja, ist ja auch wurscht.« Schon eine Nuance gnädiger gestimmt, sagte Behrens: »Ich dachte, mich laust der Affe! Als ob es nicht schon Arbeit genug gäbe, lieferst du mir noch ein hohes Tier von der SS ins Haus! Das nenne ich wahre Freundschaft! Und dann, Abrakadabra, tauchen ein paar Minuten später zwei Rausschmeißertypen von der Gestapo auf. Damit mir nur ja nicht langweilig wird! Wenn du noch alle Tassen im Schrank hast, will ich Hermann Göring heißen!«

»Na, der muss es doch nun wirklich nicht sein!«

Für den Bruchteil einer Sekunde kehrte am anderen Ende der Leitung Ruhe ein. Sydow hielt den Atem an. Doch die Entwarnung folgte schneller als gedacht. »Nein, ganz bestimmt nicht!«, prustete Behrens plötzlich drauflos.

»Jedenfalls danke, dass du mich nicht hast hängen lassen!«

Der Pathologe murmelte etwas vor sich hin, das Sydow geflissentlich überhörte. »Ganz ehrlich, ich hätte große Lust dazu gehabt. Spätestens in dem Moment, als die Gestapo aufgetaucht ist.«

»Kann ich mir vorstellen!«, pflichtete ihm Sydow kleinlaut bei. »Nicht ratsam, den Kerlen ins Gehege zu kommen.«

»Du sagst es. Dafür ist die Sache aber dann doch relativ glimpflich verlaufen. Ein kurzer Plausch, ein paar Fragen. Und schon haben sich die beiden wieder getrollt.«

»Klingt gut«, antwortete Sydow, aber da er sich nicht vorstellen konnte, dass für ihn und Behrens die Sache damit ausgestanden war, behielt er seine Befürchtungen lieber für sich. »Und dann?«, fragte er so unbeteiligt wie möglich, obwohl er es kaum abwarten konnte, Details der Obduktion zu erfahren.

»Na, was wohl?«, flackerte der Unmut des Pathologen kurzzeitig wieder auf. »Ich habe den Herrn SS-Sturmbannführer nach allen Regeln der Kunst obduziert.«

»Hört sich so an, als sei dir das eine oder andere dabei aufgefallen.«

»Und ob!«

»Und das wäre?«

Behrens räusperte sich, und seine Heiterkeit war dahin. »Ich weiß zwar nicht, worauf ich mich da einlasse, aber wenn dir der Fall wichtig ist, solltest du dich vielleicht hierher bemühen.«

Genau das fand Sydow auch. Zumal er sich fragte, ob seine Leitung nicht schon längst angezapft worden war. »Geht klar!«, antwortete er so gelassen wie möglich. »Und wann?«

»Sobald es dir deine kostbare Zeit erlaubt. Damit ich die Sache endlich hinter mich bringen kann.«

Sydow runzelte die Stirn. Doktor Wolfgang Behrens, Chefpathologe an der Charité und eine absolute Koryphäe auf seinem Gebiet, hatte es erfasst. Wann die Gestapo wieder dazwischenfunken würde, war nur eine Frage der Zeit. Dass dieser Moebius zu allem fähig war, hatte er ja bereits unter Beweis gestellt.

»Dann bis später!«, entgegnete Sydow in nachdenklichem Ton. Doch da hatte sein Freund bereits aufgelegt.

Zum Luftholen kam er trotzdem nicht, denn kaum lag der Hörer auf der Gabel, klopfte es an der Tür und Klinke stürzte herein. Er ließ Sydow erst gar nicht zu Wort kommen, drehte den Stuhl vor dem Schreibtisch um und nahm ohne Umschweife Platz. »Das wirst du nicht glauben!«, keuchte er.

»Was denn?«

»Das da!«, erwiderte Klinke und warf eine Akte auf den Tisch.

Sydow nahm sie in die Hand, freilich ohne seinen Kollegen dabei aus den Augen zu lassen. »Irgendwas nicht in Ordnung?«

Klinke stützte sich auf die Oberschenkel, beugte sich nach vorn und rang um Fassung. Keine Spur mehr von dem Kollegen, der in kritischen Situationen die Nerven behielt, der seine Schnitzer ausbügelte, von denen es wahrhaftig genügend gab. Sydow zuckte zusammen. Diesem Mann, gut zwei Zentner angestaute Wut, wollte er nicht in die Quere kommen, schon gar nicht, wenn er sich im gegenwärtigen Zustand befand. Kriminalassistent Erich Kalinke, Vater von drei Kindern und der Polizist mit dem dicksten Fell weit und breit, hatte eine Stinkwut. Auf wen, war natürlich klar, aber ob dies unter den gegebenen Umständen hilfreich war, bezweifelte Sydow stark.

»Na, du machst mir vielleicht Spaß!«, ging Klinke fast an die Decke. »Vier Tote, darunter ein Kleinkind, und du fragst mich, ob irgendetwas nicht in Ordnung ist?«

»Schon gut, schon gut!«, warf Sydow beschwichtigend ein. Klinkes Augen sprangen fast aus den Höhlen, ein falsches Wort, und es gäbe den größten Krach. Aber genau das wollte er unbedingt vermeiden. Der Feind stand woanders, nur wo, das war die Frage. Und vor allem, was Moebius & Co. noch alles in petto hatten. »Was hast du rausgekriegt?«

»Nichts Überraschendes. Für jemanden, der sich mit so was auskennt, das reinste Kinderspiel.« Klinke verschränkte die Hände hinter dem Kopf, lehnte sich zurück und sah ihn erwartungsvoll an.

Auf eine Reaktion seines Vorgesetzten nach beendeter Lektüre brauchte er nicht lange zu warten. »Plastiksprengstoff?«, fragte Sydow verblüfft.

»Du sagst es! Scheint so, als hätten die Jungs aus der Prinz-Albrecht-Straße an alles gedacht.«

»Wieso?«

»Na, du stellst mir vielleicht Fragen! Im Ernst! Der Sprengstoff, mit dem sie unsere Karre in die Luft gejagt haben, ist ein britisches Fabrikat. Sieht aus wie frisch aus dem Knetkasten und trägt die Bezeichnung PE-808. Auf gut Englisch: Plastics Explosive, in der Hauptsache aus Cyclotrimethylen-Trinitramin. Oftmals auch RDX oder Research Department Explosive genannt. Kapiert?«

»Und das alles, damit es nach außen wie ein britischer Anschlag aussieht. Bist ein helles Köpfchen, Dicker. Kompliment.«

Klinke lachte kurz auf, jedoch lange nicht so unbeschwert wie sonst. »Die arbeiten wirklich mit allen Tricks.«

»Das kannst du laut sagen! Die Frage ist nur, wie den Kerlen beizukommen ist. Beziehungsweise wie und unter welchen Umständen dieser Möllendorf ins Jenseits befördert worden ist.« Sydow drückte seine Zigarette aus, stand auf und trat ans Fenster, das der Hitze wegen offen war. Er konnte sich nicht helfen, aber irgendwie kam ihm das Panorama am Alexanderplatz total verändert vor. Er wirkte wie ausgestorben, Fußgänger und Autos konnte man an einer Hand abzählen. Eine eigentümliche Spannung lag in der Luft, durchbrochen nur durch den Zug, der soeben in den Bahnhof einfuhr. »Und vor allem, wieso!«, meinte er mit Blick auf das Kaufhaus ›Wertheim‹, Straßenbahnkreuzung und U-Bahn-Station.

»Ganz egal, wie, wann und wieso«, ließ Klinkes Antwort nicht lange auf sich warten. »Wer immer das getan hat, kann sich meiner innigen Fürsorge sicher sein.«

»Bist du dir sicher, dass du die Sache durchziehen willst?«

»Um nicht unnötig Zeit zu verschwenden, ich habe bereits mit Edith telefoniert.«

»Du hast was?«

»Keine Bange, sie hat nicht die Spur einer Ahnung.« Klinke sah auf die Uhr. »Wenn alles glattgeht, steigt sie gerade mit den Kindern in den Zug. Ab nach Breslau–zur Frau Mama!«

Zunächst einmal war Sydow erleichtert, aber es dauerte nicht lange, bis seine Skepsis wieder die Oberhand gewann. »Bist du dir wirklich sicher…«, wagte er den nächsten Versuch, Klinke die Gefährlichkeit ihres Vorhabens vor Augen zu führen. Doch der ließ ihn nicht einmal ausreden.

»Wenn du mich aufs Abstellgleis schieben willst, vergiss es, Tom!«, fiel ihm Klinke entschieden ins Wort. »Wenn hier jemand weiter an dem Fall arbeitet, dann nur wir beide! Auf die Tour wirst du mich jedenfalls nicht los.«

Sydow drehte sich um, ein Lächeln auf dem übernächtigten Gesicht. »Ehrlich gesagt habe ich auch mit nichts anderem gerechnet.«

»Dann bin ich ja beruhigt. Und was nun?«

»Fürs Erste bin ich erleichtert, dass der hochverehrte Herr Polizeipräsident die Wochenenden samt Familie am Wannsee zu verbringen pflegt.«