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»Proskauer Straße–Nummer 10, glaube ich!«, lautete die Antwort, doch als Rebecca einen Blick über die Schulter warf, hatte sich die uniformierte Frau scheinbar in Luft aufgelöst.

Und mit ihr der letzte Rest, der Rebecca mit ihr verband.

*

»Und damit, verehrter Herr von Sydow«, fuhr Moebius mit seiner Vernehmung fort, »wäre es an der Zeit, mir detaillierte Angaben über den derzeitigen Aufenthaltsort Ihres Sohnes zu machen!«

Die Luft im Wohnzimmer der noblen Etagenwohnung mit Blick auf den Lützowplatz war zum Schneiden dick, nicht nur im wortwörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn. Außer Freiherr von Sydow, 62-jähriger, in Ehren ergrauter Ministerialdirigent im Außenministerium, befanden sich insgesamt drei weitere Gestapo-Agenten im Raum, und genau das war es, was dem distinguierten älteren Herrn mit dem weißen Schnurrbart und dem spitzen Kinn nicht passte. »Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen!«, schätzte er sich und seine Lage völlig falsch ein. »Seit dem 8. November 1938, also seit nunmehr fast vier Jahren, habe ich nichts mehr von meinem Sohn gehört.«

»Das sagten Sie bereits!«, verschärfte Moebius seinen Ton. Mit diesem stockpreußischen Gesockse, das nicht wahrhaben wollte, dass die alten Zeiten vorbei waren, konnte man eben nicht anders reden. »Von daher mein Vorschlag, mit mir und meinen Kollegen nicht länger Katz und Maus zu spielen. Was für Sie und Ihre Familie auf dem Spiel steht, brauche ich wohl nicht zu betonen!«

Trotz dieser unverhüllten Drohung zeigte der Aristokrat alter Schule keinerlei Reaktion. Man musste kein Menschenkenner sein, um zu bemerken, dass er Moebius am liebsten an die frische Luft gesetzt hätte. »Wie darf ich das verstehen?«, gab er zurück, während seine Tochter Agnes ins Wohnzimmer trat und die Aufmerksamkeit seines Gesprächspartners auf sich zog.

»Irgendetwas von Bedeutung?«, fragte Moebius barsch.

»Eine Hausiererin!«, hörte sich ihre Antwort nicht gerade überzeugend an. Wider Erwarten gab sich Moebius jedoch damit zufrieden.

»Wie das zu verstehen ist?«, fragte er gedehnt, während er die 24-jährige Flakhelferin mit den Augen verschlang. »Ganz einfach: Wenn Sie weiter so tun, als hätten Sie von Tuten und Blasen keine Ahnung, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu Ihrem Glück zu zwingen!«

»Was glauben Sie überhaupt, wen Sie hier vor sich haben?«, gab der Hausherr seine diplomatische Zurückhaltung auf. »Ein Wort gegenüber dem Herrn Staatssekretär, und Sie können von Glück sagen, wenn Sie als Portier arbeiten dürfen!«

»Ein Wort gegenüber dem Reichsführer, und Sie werden den Rest Ihres Lebens im Arbeitslager verbringen!«, konterte Moebius, ließ von Sydow links liegen und schlenderte auf eine Glasvitrine zu, die sich direkt neben einem Stillleben von Chardin befand. Dass die von Sydows nicht am Hungertuch nagten, war kaum zu übersehen. Die museale Ausstattung des Wohnzimmers ließ keine andere Schlussfolgerung zu.

Und genau das war es, was ihm nicht in den Kram passte.

»Ein Bild aus glücklichen Tagen?«, fand Moebius exakt das, wonach er suchte, um von Sydow in die Enge treiben zu können, nämlich ein gerahmtes Familienporträt, das sich inmitten einer Sammlung von Schnupftabakdosen befand. Bevor der Hausherr überhaupt reagieren konnte, hatte sein ungebetener Gast die Vitrine geöffnet und hielt das verhängnisvolle Foto in der Hand.

»Was glauben Sie überhaupt, wer Sie…«, kochte der alte Herr vor Zorn, aber ein Blick auf die Begleiter des Obersturmführers ließ seinen Mut schwinden.

»Wie schön, dass wir uns endlich verstehen!«, ließ Moebius seiner Häme freien Lauf, nur um den Finger erneut in die Wunde zu legen: »Ihre Frau?«

»Meine Eltern sind seit 14 Jahren geschieden!«, warf die Tochter des Hauses ein.

Doch Moebius ließ sich nicht beirren. »Sieht mir irgendwie…«

»... britisch aus, falls es das ist, was Sie sagen wollen!«, fiel ihm von Sydow ins Wort. »Um es vorwegzunehmen. Meine Frau lebt in London und ich habe seit meiner Rückkehr nach Deutschland keinerlei Kontakt mehr zu ihr gehabt.«

»Wie bedauerlich!«, warf Moebius sarkastisch ein. »Die Frage ist nur, ob das auch auf Ihren Sohn zutrifft.« Um die Wirkung seiner Worte zu steigern, ergänzte er einige Sekunden später: »Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Das mit Altersflecken gesprenkelte Gesicht des einstigen Karrierediplomaten verfärbte sich dunkelrot. »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte er, obwohl er die Anspielung auf Anhieb verstand.

»Sagen wir es einmal so: Ihr Sohn, immerhin Kriminalhauptkommissar, ist da in etwas hineingeraten, was erhebliche Zweifel an seiner Loyalität gegenüber Führer, Volk und Vaterland wach werden lässt.«

»Wollen Sie etwa andeuten, er sei ein britischer Spion?«

Moebius ging nicht auf die Frage ein, sondern taxierte von Sydows Tochter mit einem anzüglichen Blick. Diese wich ihm aus und starrte mit versteinerter Miene auf die gegenüberliegende Wand. »Was ist der Grund, Herr von Sydow«, wechselte er daraufhin das Thema und stellte das Bild wieder in die Vitrine zurück, »weshalb Sie und Ihr Sohn derart aneinandergeraten sind, dass er sich seit vier Jahren nicht mehr hat blicken lassen?« Moebius pausierte und warf seinen Begleitern Kruppke und Claasen vielsagende Blicke zu. »Immer vorausgesetzt, Sie führen mich nicht an der Nase herum!«

»Dinge rein privater Natur.«

»Die gibt es nicht. Insbesondere dann, wenn das Wohl des Staates auf dem Spiele steht.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, Herr von Sydow, dass Sie als Träger von Staatsgeheimnissen in besonderer Weise zur Loyalität gegenüber dem Führer und der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft verpflichtet sind. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Nein? Dann eben auf ein Neues. Trifft es zu, dass Sie als Ministerialdirigent im Ministerium des Äußeren zu dem Personenkreis gehören, der über die Durchführung der auf der Konferenz am Großen Wannsee gefassten Beschlüsse in Kenntnis gesetzt wurde? Trifft dies zu, Herr von Sydow, ja oder nein?«

»Was wollen Sie von mir?«

»Eine Warnung aussprechen, verehrter Herr Ministerialdirigent. Der geringste Verdacht, und unsere Wege werden sich wieder kreuzen. Eins kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Sollte es dazu kommen, wird das Ganze beileibe nicht so glimpflich enden wie jetzt. Und was Ihren Sohn betrifft. Die Fahndung nach ihm läuft bereits auf vollen Touren!«

19

Pathologisches Institut der Charité                 | 13.40h

»Wie gesagt, Tom, ein klarer Fall, klarer gehts nicht!«, zog Dr. Wolfgang Behrens, Chefpathologe an der Charité, ohne erkennbare Gemütsbewegung Bilanz. Mit seiner schnoddrigen Art und seinem Hang zum schwarzen Humor wirkte er wie der Stereotyp eines Pathologen. Hinter dieser Fassade steckte jedoch eine absolute Koryphäe. Das war auch der Grund, weshalb sich Sydow an ihn gewandt hatte. Auf ihn, den ehemaligen Schulfreund, war wenigstens Verlass.

Behrens nahm das Röntgenbild von der Projektionsfläche, drückte es Sydow in die Hand und verdrückte die Reste seiner Stulle, ohne sich dabei an dem Leichnam auf dem Seziertisch zu stören. Das hier war Routine für ihn. Auf die Idee, dass Sydow diesbezüglich nicht die gleiche Abgeklärtheit besaß wie er, kam er schlichtweg nicht.

»Und die Kugel?«, fragte Sydow mit Blick auf die Aufnahme, während sich ein flaues Gefühl in seiner Magengegend bemerkbar machte.

»Stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der 7,65-Millimeter-Pistole, die ihr am Tatort gefunden habt. Linkshänder, sagst du?«

Sydow nickte.

»Schön blöd, wenn einem so ein Schnitzer unterläuft!«, warf Behrens kopfschüttelnd ein, tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und genehmigte sich noch einen Bissen. »Irgendeinen Schimmer, wer das gewesen sein könnte?«, fragte er mit vollem Mund und hielt es nicht für nötig, die Brotkrumen auf seinem Kittel zu beseitigen.