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»Womit wir auf den Grund zu sprechen kämen, weshalb der Herr Sturmbannführer vergangenen Mittwoch von der Bildfläche verschwand«, ließ sich Sydow nicht beirren.

»Des Pudels Kern, keine Frage.« Die Handfläche auf der Tischkante, starrte Behrens geraume Zeit ins Leere. Dann deckte er den Leichnam wieder zu, ließ den Blick über seine Umrisse schweifen und begab sich zu seinem Schreibtisch, der sich am Kopfende des Sezierraumes befand. Im krassen Gegensatz zu seinem bisherigen Gebaren schien er es auf einmal ziemlich eilig zu haben.

»Was hast du denn vor?«, blieb Sydow der Sinneswandel seines Freundes nicht verborgen.

»Weißt du, Tom«, war Behrens bemüht, die urplötzlich aufgekommene Hektik herunterzuspielen, »ich denke, es ist an der Zeit, mal wieder auszuspannen. Urlaub habe ich sowieso genug zu kriegen. Ein, zwei Anrufe und dann nichts wie ab durch die Mitte! Es soll ja noch ein paar Orte geben, wo mich keiner kennt.«

»Ein weiser Entschluss.«

»Auf alle Fälle!«, antwortete der Pathologe, während er die hastig zusammensortierten Unterlagen in seiner Aktenmappe verstaute, den Kittel auszog und ihn achtlos über die Stuhllehne warf. »Wenn du schlau bist, tust du das Gleiche!«, fügte er eilig hinzu.

»Ich fürchte, das wird nicht gehen.«

»Typisch Sydow!«, entrüstete sich Behrens, wenn auch nicht ohne Hochachtung im Ton. »Immer noch ganz der Alte. Ein Ritter ohne Furcht und Tadel!«

Sydow blieb nicht einmal Zeit zu antworten, denn kaum hatte Behrens seinen Hut vom Haken genommen, war er auch schon verschwunden.

»Machs gut, Tom!«, hörte er es noch durch den Gang hallen, bevor er das Licht ausknipste und in der entgegengesetzten Richtung verschwand.

*

Mit dem, was nun geschah, hatte Sydow gerechnet. Nur eben nicht so schnell.

Das Institut für Pathologie, ein potthässlicher Gebäudekomplex aus der Kaiserzeit, lag in Sichtweite der Spree, nur einen Katzensprung vom Lehrter Bahnhof entfernt. Als er auf die Straße trat, war ihm die Freude, dem Gewirr aus Gängen, Hörsälen und Treppenfluchten entronnen zu sein, deutlich anzumerken. »Das hätten wir hinter uns!«, seufzte Sydow erleichtert auf, während er sein Sakko über die Schulter hängte und sich auf den Weg zu seinem Maybach SW 38 Cabrio machte. Seine Erleichterung sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein, und das nicht nur wegen der Hitze, an die er sich erst wieder gewöhnen musste.

»Kommissar Sydow?« Die Stimme hinter seinem Rücken ließ jegliche Zweifel auf Anhieb verstummen. Dies war keine Frage, sondern die Aufforderung zur Kapitulation. Gestapo. Um das herauszufinden, hätte er sich nicht einmal umzudrehen brauchen.

Was Sydow denn auch nicht tat, denn die obligatorische Mercedes-Limousine vom Typ 230, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte, war auffällig genug. Noch auffälliger jedoch war der Mann, der hinterm Steuer saß. Nicht etwa, weil es sich um einen der beiden Assistenten von Moebius handelte. Sondern weil er sich sicher war, den Mann, der sich in aller Gemütsruhe auf dem Beifahrersitz räkelte, früher schon einmal gesehen zu haben. Die Frage war lediglich, wo. Und vor allem wann.

Müßig, darüber nachzudenken. Denn da war ja noch dieser Kerl hinter ihm, das momentan weit größere Problem.

Der Entschluss, so man ihn denn als solchen bezeichnen konnte, war binnen Sekundenbruchteilen gefasst. »Kommissar…?«, wiederholte der Mann, kam jedoch nicht mehr dazu, seine Frage zu vollenden.

Die Hand am Abzug, wirbelte Sydow herum. Dass es sich bei dem Mann um Kruppke, SS-Sturmführer und Mann fürs Grobe, handelte, war keine sonderlich große Überraschung mehr für ihn. Überrascht war in diesem Moment nur einer, und das war Kruppke selbst. Zum einen, weil sich sein Kollege auf dem Sozius nicht rührte, zum anderen, weil ihm Sydow eine WaltherPPK vor die Nase hielt. Und von ihr, so wurde dem Kahlkopf mit dem Gesicht eines Bullterriers klar, würde dieser hergelaufene Bastard auch Gebrauch machen.

»Kommissar Sydow!«, stieß Kruppke paradoxerweise hervor, kein Bellen mehr, sondern ein jämmerliches Quieken, das aus dem Spalt zwischen den wulstigen Lippen drang.

»Hauptkommissar–Ordnung muss sein!«, erwiderte Sydow und drückte ab. Dann duckte er sich, riss den Arm herum und nahm den Mann in der Limousine ins Visier.

Und war wie vom Donner gerührt.

Der Mann auf dem Sozius, schlank, braungebrannt und mit Sonnenbrille, lächelte. Sydow traute seinen Augen nicht. Erst recht nicht, als er sich eine Zigarette anzündete, die Hände hinter dem Kopf verschränkte und so tat, als ginge ihn sein Kollege, dessen Gesicht nur noch aus Blut, Hautfetzen und Knochensplittern bestand, nicht das Geringste an. In diesem Moment, als SS-Sturmführer Kruppke laut winselnd um Hilfe flehte, trafen sich ihre Blicke. Der Mann, in etwa so alt wie er, zog an seiner Zigarette und lächelte. Sydow wollte abdrücken, aber er konnte nicht. Wut stieg in ihm auf. Wut und der geradezu unwiderstehliche Drang, diesem arroganten Schnösel in seiner Luxuskarosse eins auf die Kinnlade zu geben.

Doch nichts von alldem geschah. Wie lange er wie ein begossener Pudel in der Gegend herumstand, wusste Sydow nicht. Wäre die Lernschwester nicht gewesen, mit der sich seine Pfade kreuzten, hätte das Drama vermutlich einen anderen Verlauf genommen. So aber blieb die graue Maus mit der Rotkreuzhaube stehen, schlug die Hand vor den Mund und ergriff laut kreischend die Flucht.

Sydow blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls zu verduften, und als sein Maybach endlich angesprungen war, warf er einen kurzen Blick in den Rückspiegel–und war so platt wie schon lange nicht mehr.

Als habe er alle Zeit der Welt, verließ Kruppkes vermeintlicher Begleiter seinen Wagen, drückte die Zigarette aus und strich die Krawatte glatt. Dann rückte er seine Sonnenbrille gerade und schlenderte über die Straße, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Sydow bekam den Mund nicht mehr zu. Die Szene war so unwirklich, dass sich ihm der Eindruck aufdrängte, der junge Mann im feinen Zwirn sei dabei, seinen ostelbischen Herrensitz zu inspizieren.

Doch dem war nicht so. Ohne sich im Mindesten an seiner Anwesenheit zu stören, blieb der Gestapo-Agent neben seinem sich vor Schmerzen krümmenden Kollegen stehen, zückte die Pistole und schoss sein Magazin bis auf die letzte Kugel leer.

Das Letzte, was Sydow registrierte, war sein Lächeln.

Dann nahm er sich zusammen, trat aufs Gas und raste mit quietschenden Reifen davon.

20

Berlin-Zehlendorf, König-Heinrich-Straße      | 14.05h

Als er das Wohnzimmer der Möllendorfs betrat, beziehungsweise das, was davon übriggeblieben war, traute Kriminalassistent Erich Kalinke seinen Augen nicht. Das hier war der reinste Trümmerhaufen, das größte Chaos seit Attila.

Klinke blieb wie ein begossener Pudel stehen. Die Haustür offen, leergefegte Regale, aufgeschlitzte Polster–und jede Menge Krimskrams, der auf dem Boden herumlag. Um den Volksempfänger, nur noch ein Haufen Draht, Elektroden und Kabelsalat, war es natürlich nicht schade, noch weniger um ›Mein Kampf‹. Das Buch war einfach in die Ecke gepfeffert worden.

Nicht gerade die feine germanische Art, dachte Klinke, als sich seine Verblüffung allmählich zu legen begann. Ganz klar. Um dem Urheber des Durcheinanders auf die Spur zu kommen, bedurfte es keiner großen Fantasie. Die Frage war allerdings, warum die Gestapo die Bude des einstigen Vorzeige-Nazis auf den Kopf gestellt hatte. Und wo die Dame des Hauses, mit der er zu gerne ein paar Takte geredet hätte, abgeblieben war.

Eine Frage rein rhetorischer Natur, wie Klinke kurz darauf konstatierte. Die Miene des Zwei-Zentner-Mannes verfinsterte sich. Erst Tom und er, dann der Bombenanschlag und jetzt das. Der Fall, der schon längst keiner mehr war, drohte endgültig aus dem Ruder zu laufen.