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Kaum lag Heydrich auf dem Rücken, als die Schmerzen in der Bauchgegend unerträglich wurden. Zeit für die nächste Dosis, schoss es ihm durch den Kopf, während er den Unterarm auf die fieberglühende Stirn presste. Der Herr über Leben und Tod, ein Mann, der Tausende auf dem Gewissen hatte, führte einen aussichtslosen Kampf. Sein Gegner war unbezwingbar, stärker, als er jemals gewesen war.

Heydrich war der Ohnmacht nahe, als ihn ein Geräusch am Fußende aufschrecken ließ. Er hatte Mühe, die Augen zu öffnen, aber als es ihm schließlich gelang, fuhr er wie elektrisiert in die Höhe.

»Reichsführer–Sie?«, keuchte er, während er sich mit letzter Kraft auf die Ellbogen stützte. »Was… was führt Sie hierher?«

Heinrich Himmler, Reichsführer-SS, antwortete nicht auf die Frage, sondern sah mit unbewegter Miene auf Heydrich herab. Die Nachttischlampe verbreitete diffuses Licht, und so fiel es Heydrich schwer, seinen Lehrmeister in Augenschein zu nehmen. Himmler blieb im Schatten. So wie immer.

Als Heydrich schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete, stützte sich Himmler plötzlich auf das Bettgestell, räusperte sich und sagte: »Ich habe mit Ihnen zu reden, Obergruppenführer. Unter vier Augen.«

»Wenn, dann aber schnell!«, retournierte Heydrich in sarkastischem Ton. »Mir bleibt nämlich nicht mehr viel Zeit.«

»Kein Problem. Was ich Ihnen zu sagen habe, wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.«

»Und das wäre?«

»Wie Sie selbst bereits sagten, Heydrich, bleibt Ihnen nicht mehr viel Zeit. Weshalb ich Sie dringend ersuchen muss, mir gegenüber sämtliche Karten auf den Tisch zu legen.«

»Ach, daher weht der Wind.«

»Schön, dass wir so schnell auf den Punkt kommen. Das spart viel Ärger und noch mehr Verdruss.« Himmler pausierte und rückte mit einer wohlkalkulierten Geste seine Brille zurecht. Dann schob er seinen Oberkörper ins Licht. »Machen wirs also kurz, Heydrich«, näselte er, während die Gläser das Licht der Stehlampe reflektierten. »Mir ist daran gelegen, in den Besitz Ihrer Geheimakten zu kommen. Und zwar umgehend. Damit sie nicht in die falschen Hände geraten.«

»Ich fürchte, Sie kommen zu spät, Reichsführer«, antwortete Heydrich süffisant, für Sekundenbruchteile wieder ganz der Alte.

»Was soll das heißen?«

Heydrich ließ sich zurück in sein Kissen sinken, schloss die Augen und lächelte maliziös. Dann begann er zur Verblüffung seines einstigen Lehrmeisters ein Lied zu summen. Es stammte aus einer Oper seines Vaters, dem er seine musische Begabung zu verdanken hatte. »Ja, die Welt ist nur ein Leierkasten, den unser Herrgott selber dreht, und jeder muss nach dem Liede tanzen, das grad auf der Walze…«

Mitten im Satz brach Heydrich ab. Als ihn der wutentbrannte Reichsführer rügen wollte, musste er feststellen, dass er zu spät gekommen war.

Reinhard Heydrich, Obergruppenführer und Massenmörder, hatte noch volle zwei Tage zu leben. Im Koma, wo er einen Vorgeschmack auf die Hölle bekam.

Walhalla

Berlin/London/Moskau 

(Sonntag, 07.06.1942/Montag, 08.06.1942)

6

Berlin-Wilmersdorf, ›Kolonie Emser Platz‹ 07.06. | 4.45h

Sie wollte schreien. Treten. Um sich schlagen. Aber sie konnte nicht. Ihre Füße fühlten sich an wie Blei, der Mund wie geknebelt. Was immer sie tat, es war umsonst. Von hier gab es kein Entrinnen.

Die Luft war zum Schneiden dick. Schweißdurchtränkt. Der Geruch nach Erbrochenem und Fäkalien nicht zu ertragen. Ringsum völlige Dunkelheit. Undurchdringlich. Die reinste Hölle.

Sie konnte das Rattern der Güterwaggons hören, das Wimmern ihrer Leidensgenossen, das Schluchzen der Kinder. Und sie konnte das Entsetzen der Älteren und Gebrechlichen nahezu körperlich spüren.

Es schnürte ihr regelrecht die Kehle zu.

Wie lange die Fahrt bereits dauerte, wusste sie nicht. Das Zeitgefühl war ihr abhanden gekommen, und mit ihm der Glaube, alles werde wieder gut. Lähmendes Entsetzen beherrschte ihre Sinne, eine bleierne, unüberwindliche Apathie. Und dann, urplötzlich der Impuls, sie müsse sich um ihre Mutter kümmern. Doch was Rebecca auch tat, ihre Mutter war und blieb verschwunden.

Spurlos.

An dieser Stelle ihres Albtraums begann Rebeccas Entsetzen gewöhnlich in Panik umzuschlagen. Nicht so am heutigen Tag. Auf einmal war der Traum vorbei, sie selbst wie benommen. Richtig wach wurde sie dennoch nicht.

Das sollte sich jedoch jäh ändern, als sie plötzlich Stimmen hörte. Unter ihnen zumindest eine, die sie kannte. Sie gehörte Bonin, dem Mann, der ihr Unterschlupf gewährte. Er hörte sich besorgt an, geradezu alarmiert. Auf jeden Fall ganz anders als sonst.

Doch es war der Klang der zweiten, ihr unbekannten Stimme, der Rebecca endgültig wach werden ließ. Diese Stimme verhieß nichts Gutes. Rebecca setzte sich auf, schwang die Beine von ihrer Pritsche und lauschte. Und wurde starr vor Entsetzen. Genau wie in ihrem Traum. Mit dem Unterschied, dass dies die Wirklichkeit war.

»Noch so eine dumme Ausrede, Bonin, und wir sehen uns gezwungen, Sie einer Sonderbehandlung zu unterziehen!« Auf einmal begann sich alles um Rebecca herum zu drehen. Sie hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, hin- und hergerissen zwischen Furcht und Resignation.

Gestapo. Also doch. Sie hatten Bonin erwischt. Oder denunziert. Wann, wo und wie auch immer.

»Auf die Gefahr hin, dass Sie mir nicht glauben, Obersturmführer, ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden!«

Der gute alte Bonin. Retter in der Not. Erst hatte er sie auf der Straße aufgelesen, dann über mehrere Zwischenstationen in dieses Gartenhaus gelotst. Und das, obwohl ihm die Gestapo längst auf den Fersen gewesen war.

»In diesem Fall, fürchte ich, werden Sie die Konsequenzen selbst zu tragen haben.«

Als Bonin gegen die Scheinwand prallte, hinter der sich Rebeccas Versteck befand, hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Warum sie es nicht tat, wusste sie hinterher nicht mehr. Ein Gefühl grenzenloser Ohnmacht stieg in ihr empor, und um nicht laut loszuweinen, presste sie die zitternden Hände auf den Mund.

Die Stimme von Bonins Peiniger war jetzt ganz nahe. Gerade so, als spreche er mit ihr und nicht mit ihm. Aber noch hatte er den Mechanismus, mit dem sich die Tür der zwei auf drei Meter großen Geheimkammer öffnen ließ, nicht entdeckt. Wenn er so gewieft war, wie er tat, war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis er den Hebel hinter dem Stillleben fand. »Wenn es sich nicht vermeiden lässt, das Ganze eben noch einmal von vorn!«, leierte der Gestapo-Mann scheinbar gelangweilt, ja geradezu desinteressiert herunter. Reine Taktik, wie unschwer zu erkennen war: »Na los doch, Kruppke, helfen Sie ihm auf!«, schnauzte er seinen Begleiter an. »Schließlich haben wir noch was vor!«

Rebecca standen die Tränen in den Augen. Tränen der Verzweiflung und, als sie das unterdrückte Stöhnen jenseits der Trennwand hörte, auch solche der Wut. Die Miene der attraktiven jungen Frau verfinsterte sich. Nein, das sind keine Menschen, stellte sie grimmig fest, hochrot vor Zorn. Ein normaler Mensch tut so was nicht.

Und doch war es so. Rebecca stand im Zeitlupentempo auf. Wer, wenn nicht sie, hätte wissen müssen, wozu die beiden Folterknechte da draußen fähig waren?

»Machen wirs kurz, Scheißsozi!«, meldete sich der andere Gestapo-Beamte zu Wort, dessen Stimme den vulgären Schlägertypen verriet. »Wozu die Mühe, den ganzen Fresskram hierher zu schleppen? Wo Tausende Volksgenossen am Hungertuch nagen? Das reicht ja, um ein ganzes Bataillon satt zu kriegen!«

»Korrigieren Sie mich, Sturmführer, aber heißt es nicht, die Versorgung der Zivilbevölkerung sei nach wie vor das geringste Problem?«