Выбрать главу

Bonin hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als er erneut gegen die Wand geschleudert wurde. Rebecca ballte die Rechte zur Faust. Der Aufprall, die halb erstickten Schreie und das zu Bruch gehende Mobiliar sprachen eine deutliche Sprache. Kein Zweifel, die Gestapo-Männer ließen es jetzt darauf ankommen: »Auf ein Neues, Vaterlandsverräter, für wen hast du das Zeugs da zusammengeramscht? Wohl ein Judenfreund, was?« Die Stimme des Obersturmführers hörte sich beileibe nicht mehr gelangweilt an. Aus ihr sprach der blanke Hass. Hass gepaart mit Brutalität und der Lust am Töten.

Dann wurde es still. Auf einmal. Über dem Gartenhaus in der Nähe des Kurfürstendamms lag die Ruhe eines Friedhofes. Rebecca erschauderte. Bonins Schicksal war besiegelt. Im selben Moment, als sich der Schlägertyp wieder zu Wort meldete: »So wie dir roter Drecksau wird es auch den ganzen anderen Ratten und Schmeißfliegen ergehen!« Mit diesen Worten goss er seine Häme über dem halb tot geprügelten Musiker aus. »Besser, du kooperierst! Hintermänner, Drahtzieher und die Namen der Schleuser. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt!«

Aber Bonin ließ sich nicht unterkriegen. Ein Wunder, wie viel Leben noch in dem tapferen kleinen Mann steckte. »Heydrichs Schicksal wird auch euch ereilen!«, stieß er mit dem Mut der Verzweiflung hervor. Bonin hatte nichts mehr zu verlieren, und er wusste es.

Rebecca presste die Handballen gegen die Stirn. Sie konnte und wollte nicht mehr hinhören. Was dieser Mann um ihretwillen auf sich nahm, brachte sie fast um den Verstand.

Doch was sie befürchtet hatte, blieb aus. Vorläufig. Fast schien es, als habe der Obersturmführer überhaupt nichts gehört: »Bevor wir dich zu Brei schlagen, du Ratte, noch eine kurze Frage!«, zischte er, während sich die Dielenbretter unter dem Gewicht seiner Stiefel bogen. »Wobei du hoffentlich klug genug bist, zu wissen, dass dein Abgang entweder auf rasche oder extrem qualvolle Weise über die Bühne gehen kann!«

»Und die wäre?«

»Wohin ist der Vogel ausgeflogen, dem du Unterschlupf gewährt hast? Leugnen bringt nichts, also raus mit der Sprache!«

Das linke Ohr gegen die Wand gepresst, lauschte Rebecca mit angehaltenem Atem ins Wohnzimmer hinüber. Die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht, und ihr Inneres war vollkommen aufgewühlt.

Totenstille. Rebecca hielt den Atem an. In diesem Moment würde sich alles entscheiden.

Kurz darauf undeutliches Murmeln. Ein Schuss aus einer schallgedämpften Pistole. Schleifgeräusche. Und Schritte, die sich in Richtung Tür entfernten.

Eine Blutlache, die Überreste einer Violine und eine Trümmerwüste: Bonins Hinterlassenschaften. Als Rebecca endlich aus ihrem Verschlag kroch, fühlte sie sich wie betäubt. Eine Weile stand sie regungslos, den Blick gesenkt. Dann sprach sie das jüdische Totengebet. »Segen, Segen diesem großen Namen. Jetzt und immerdar. Amen.«

Als sie den Blick hob, fiel er auf den Barockspiegel an der gegenüberliegenden Wand. Außer dem Stillleben das einzige Möbelstück, das sich noch an seinem Platz befand.

Beim Anblick der ausgemergelten jungen Frau, die sie darin erblickte, erschrak Rebecca zutiefst. Sie erkannte sich kaum wieder, wollte nicht glauben, dass dies ihr Spiegelbild war. Und doch war es so. Die ihr da entgegenstarrte, das war sie, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Rebecca Kahn, 22 Jahre, schlank, mit sanft gewelltem, dunklen Haar, fast ebenso dunklen Augen und cremefarbener Haut, existierte nicht mehr. Übrig geblieben war eine in die Enge getriebene, ums nackte Überleben kämpfende Kreatur, die zur Gartentür stürzte, sich kurz umsah und wie ein Gespenst in der Morgendämmerung verschwand.

Sie wollte leben. Einfach nur leben. Sämtlichen Henkersknechten der Gestapo zum Trotz.

Und das würde sie auch.

Amen.

7

Berlin-Tiergarten                                             | 7.32h

Ein Tag ohne Luftalarm. Eigentlich ein guter Tag. Wenn nur sein Kater nicht gewesen wäre. Und der Tote auf der Parkbank gleich neben dem Wagner-Denkmal.

Gerade einmal 29, war Tom Sydow von der Berliner Kripo schon ein alter Hase. Deshalb überließ er zunächst seinem Assistenten das Feld. Ein Selbstmord war ja nun weiß Gott nichts Besonderes. So etwas kam zurzeit fast täglich vor. Tom Sydow steckte sich eine ›Ernte 23‹ an und fuhr durch das dichte rotblonde Haar. Gründe dafür gab es natürlich genug. Vor allen anderen jedoch den Krieg. Diesen Scheißkrieg, der schon beinahe drei Jahre dauerte.

Zu spüren war davon jedoch nichts. Die Luiseninsel erstrahlte im Frühlicht, der Himmel in seidigem Blau. Auf der Tiergartenstraße herrschte kaum Verkehr, im angrenzenden Botschaftsviertel Totenstille. Sydow inhalierte tief. Bis jetzt hatte Berlin ja ziemlichen Dusel gehabt. Der letzte größere Luftangriff war schon fast ein Jahr her, seitdem war es verhältnismäßig ruhig geblieben. Das dicke Ende würde aber bestimmt noch kommen. Davon war Sydow felsenfest überzeugt.

Ein Sonntag wie jeder andere. Wenn nur dieser Scheißkater und der noch viel beschissenere Krieg nicht wären. Dann wäre ihm eine Menge erspart geblieben. Der Tote auf der Bank mit inbegriffen.

Auf einmal hatte Tom Sydow die Qualmerei satt. Es gab Tage, an denen ihm alles auf den Wecker ging, so zum Beispiel heute. Der breitschultrige, knapp 1,90 m große Polizeihauptkommissar mit dem Dreitagebart ließ seine Kippe fallen, drückte sie aus und wandte sich mit übernächtigter Miene der Parkbank zu.

»Na, wie siehts aus, Klinke?«, erkundigte er sich bei seinem Assistenten, der gerade dabei war, die Leiche genauer unter die Lupe zu nehmen. »Irgendwelche Erkenntnisse?«

Kriminalassistent Erich Kalinke, Spitzname ›Klinke‹, ein Berliner Kleiderschrank mit butterweichem Kern, rümpfte die Nase. Obwohl ihn Sydows Fahne fast umhaute, verkniff er sich jeglichen Kommentar. »Und ob!«, warf er lakonisch ein, auf gleicher Höhe mit dem Einschussloch, das sich an der rechten Schläfe des Mannes befand.

»Jetzt machst du mich aber neugierig!«, spöttelte Sydow, während Messerschmidt, der Polizeifotograf, das übliche Blitzlichtgewitter losließ. Doktor Boehm, der Pathologe, hielt sich dagegen zurück. Sydow wusste es zu schätzen. Er konnte diesen blutleeren Schnüffler nicht ausstehen. Nazi vom Scheitel bis zur Sohle. Und dann noch Gestapo-Spitzel. Und ein höchst unbegabter dazu. Genug, um Sydow auf die Palme zu bringen, wenn er nur den Mund aufmachte.

»Ich fürchte, deine Neugier wird dir ziemlich bald vergehen.«

Es war Klinkes Tonfall, der dafür sorgte, dass Sydow seine Apathie abstreifte und er den Toten jetzt erst richtig in Augenschein nahm. Er war um die 40, vielleicht jünger, hatte lichtes Haar und Geheimratsecken. Am Einschussloch klebte getrocknetes Blut, und sein Kopf war leicht zur Seite geneigt. Die Walther-Pistole vom Kaliber 7,65 Millimeter lag neben der Bank im Gras. Sydow runzelte die Stirn. Irgendwie kam ihm die Szenerie unwirklich vor. Der Mann hatte einen Anzug an, inklusive gestreifter Krawatte und Hut. Als sei er bei Großmutters Nachmittagstee einfach so vom Schemel gekippt. Und da war noch etwas. Sydow massierte die Nasenflügel und machte ein skeptisches Gesicht. Es war dieser schwache, kaum merkliche Geruch, der ihn irritierte, in einem Ausmaß, dass sich sein Kater heftiger denn je bemerkbar machte.

Irgendwas war hier faul, keine Frage.

Aus reinem Selbsterhaltungstrieb, nicht etwa, weil ihm der Anblick des Mannes übermäßig an die Nieren ging, wich Sydow einige Schritte zurück. »Und wieso?«, fragte er, während sich Klinkes massiger Rumpf langsam aufzurichten begann.

»Wirst du gleich sehen.« Sydow horchte auf. Klinke wirkte besorgt, vor allem als er dicht neben ihn trat. Von einer Frohnatur wie ihm war man das einfach nicht gewohnt. Wenn er dann auch wie jetzt die Stimme senkte, ahnte Sydow, dass es sich bei dem Toten um keinen gewöhnlichen Selbstmörder handeln konnte.